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GeoeconomicsOrban macht Zugeständnisse

Der EU-Gipfel zeigt, dass das Einstimmigkeitsprinzip die Handlungsfähigkeit der EU in wichtigen geopolitischen Fragen lähmt. Die Staaten hätten das ungarische Veto bei den Finanzhilfen umgehen müssen.Jana Puglierin 22.12.2023 - 09:59 Uhr

Im Vorfeld des Europäischen Rats vom 14. und 15. Dezember rätselten viele EU-Beobachter, ob die kompromisslose Blockadehaltung Viktor Orbans in Sachen Ukraine nur eine Verhandlungsstrategie sei, um den Preis für eventuelle Kompromisse so hoch wie möglich zu treiben. Ich war der Auffassung, dass es dieses Mal unmöglich sein würde, Orban zu Zugeständnissen zu bewegen – weder bei der Aufnahme von Beitrittsverhandlungen noch bei den geplanten Finanzhilfen für das kriegserschütterte Land. Ich glaubte, dass es ihm bei seinem Widerstand um etwas Grundsätzliches ging, nämlich darum, im Vorfeld der Wahlen zum Europäischen Parlament im Juni 2024 den Ton für den Wahlkampf zu setzen und sich als Vorreiter einer rechtsgerichteten politischen Bewegung zu positionieren, die die EU grundlegend verändern will.

Letztlich habe ich Orban falsch eingeschätzt. Der ungarische Staatschef war schließlich bereit, den Raum im entscheidenden Moment der Abstimmung kurz zu verlassen, um damit den Weg für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine frei zu machen. Allerdings erst, nachdem es ihm gelungen war, zehn Milliarden Euro an eingefrorenen EU-Geldern für Ungarn freizupressen. Auch wenn die Kommission, um ihr Gesicht zu wahren, behauptet, Ungarn habe die nötigen Justizreformen durchgeführt, spricht alles dafür, dass Orbans Veto-Verzicht hier schlicht erkauft wurde.

Natürlich ist ein solch schmutziger Deal nicht ideal. Aber ein Nein zu Beitrittsgesprächen wäre für die Ukraine angesichts der bedrückenden Situation auf dem Schlachtfeld und der noch immer nicht erfolgten Zustimmung des US-Kongresses zu neuen Finanzhilfen ein verheerendes Signal gewesen. Die EU hat in dieser Situation entschlossen demonstriert, dass sie weiterhin fest an der Seite der Ukraine steht. Letztlich ist Politik oft nur die Wahl zwischen schlechten und noch schlechteren Optionen.

Und so bleibt ein bitterer Beigeschmack. Gerade in dem Moment, in dem der 2021 geschaffene Rechtsstaatlichkeitsmechanismus zu wirken begann und Orban die Gelder ausgingen, hat die Kommission Zugeständnisse gemacht. Damit hat sie ihr stärkstes Instrument zum Schutz von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit geschwächt. Nicht nur Ungarns Ministerpräsident wird aus dieser Erfahrung die Lehre gezogen haben, dass die EU erpressbar ist.

Einstimmigkeitsprinzip lähmt EU

Letztlich zeigt die Episode erneut, wie sehr das Einstimmigkeitsprinzip die Handlungsfähigkeit der EU in wichtigen geopolitischen Fragen lähmt. Das EU-System ist darauf ausgerichtet, dass die Mitgliedstaaten zwar ihre nationalen Interessen verfolgen, sich am Ende aber dem Prinzip der „loyalen Kooperation“ verpflichtet fühlen. Es sieht nicht vor, dass einzelne Länder ihr Veto als Druckmittel benutzen, um Zugeständnisse in Bereichen zu erzwingen, die mit dem eigentlich zur Abstimmung stehenden Thema gar nichts zu tun haben.

Richtigerweise liegt ein Fokus der Reformdebatte deshalb darauf, wie man eine totale Blockade der europäischen Außenpolitik zukünftig verhindern kann. Dabei ist der Übergang zu qualifizierten Mehrheitsentscheidungen ein sinnvoller Vorschlag, für den es allerdings den politischen Willen aller Mitgliedstaaten braucht. Der ist momentan nicht zu erkennen. Deshalb sollte das Nachdenken über europäische Handlungsfähigkeit auch kreative Möglichkeiten außerhalb des formalen EU-Rahmens einschließen.

Statt zum Beispiel Orbans weiteren finanziellen Forderungen nachzugeben, um die von ihm noch immer geblockten Finanzhilfen für die Ukraine im EU-Rahmen zu mobilisieren, sollten die Mitgliedstaaten zu 26 einen Weg finden, das Orban-Veto zu umgehen – zum Beispiel, indem sie die Summe im Rahmen eines außerbudgetären Finanzpakets bereitstellen. Während ein solches Vorgehen in der Erweiterungsfrage unmöglich ist, ließe es sich hier realisieren.

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Orbans Bereitschaft zu (Teil-)Zugeständnissen sollte jedenfalls nicht darüber hinwegtäuschen, dass sein Ziel noch immer der Umbau der EU ist, wie er neulich wieder in einem Interview mit dem ungarischen Nachrichtenmagazin „Mandiner" sagte: „Mein Plan ist es nicht, sie zu verlassen, sondern Brüssel zu übernehmen.“ Die jüngsten Wahlerfolge von Robert Fico und Geert Wilders haben ihm das Gefühl gegeben, auf dem richtigen Weg zu sein. Es bleibt zu hoffen, dass ihn die EU-Bürger bei der Europawahl nicht darin bestätigen.

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