Geoeconomics: Unterstützung ist gut, Nato-Beitrittsperspektive ist besser

Der ukrainische Präsident hatte sich eine klare Zusage der Nato-Länder erhofft.
Die Erwartungen waren hoch, als sich die Bündnispartner am 11. und 12. Juli in Vilnius zum Nato-Gipfel trafen. Eine der zentralen Fragen war, ob sie der Ukraine eine klare Beitrittsperspektive geben würden.
Um Missverständnisse auszuräumen: Nein, ein sofortiger Beitritt stand überhaupt nicht zur Debatte. Es war klar, dass das zu risikoreich wäre. Aber die Ukraine und viele Staaten wünschten sich eine klare Zusage für einen Beitritt und einen konkreten Weg dahin. Weil das nicht nur die Ukraine langfristig schützen würde, sondern auch im geostrategischen Interesse der Nato-Staaten ist.
Bereits 2008 erhielt die Ukraine eine Beitrittszusage, aber keinen Fahrplan, wie sie dorthin kommt. Damit blieb sie in einer sicherheitspolitischen Grauzone: irgendwann Nato-Mitglied, aber bis dahin letztlich vogelfrei. Auch das wird Russland zu seinen Angriffen 2014 und 2022 ermutigt haben.
Vereinfacht formuliert war also das Ziel in Vilnius, die Ukraine langfristig mit einem konkreten Plan in die Sicherheit der EU und Nato-Strukturen zu führen, damit nach diesem Krieg kein weiterer kommt.
Allerdings zeichnete sich schon vor dem Gipfel ab, dass eine konkrete Zusage schwierig würde. Die Alliierten müssen einstimmig entscheiden, die USA und Deutschland lehnten eine solche Zusicherung aber ab.
Fehlende Beitrittszusage für die Ukraine ist unbefriedigend
Folglich blieb die Formulierung im Kommuniqué für die Ukraine und die Unterstützer einer klaren Beitrittsperspektive unbefriedigend: „Wir werden in der Lage sein, eine Einladung an die Ukraine zum Beitritt zum Bündnis auszusprechen, wenn die Bündnispartner zustimmen und die Bedingungen erfüllt sind.“
Aber das Ergebnis von Vilnius ist trotzdem gut. Vereinfacht könnte man es beschreiben als ganz viel G7, bi- und minilaterale Abkommen mit einer guten Prise Nato.

Deutschland hatte sich dagegen ausgesprochen, der Ukraine eine klare Beitrittszusage zu geben.
Die Bündnispartner einigten sich etwa darauf, die Nato-Ukraine-Kommission zum Rat aufzuwerten, was Kiew erlaubt, die Agenda zu setzen. Es gibt weitere Unterstützungspakete, und zwar mehrjährig, um deren Dauerhaftigkeit zu unterstreichen.
Viel mehr kann das Bündnis nicht anbieten. Viele Optionen für einen engen Partner wie die Ukraine unterhalb des Beitritts sind schon ausgereizt. Außerdem stellt die Nato nur nicht-letale Unterstützung wie medizinische Ausrüstung, aber keine Waffen zur Verfügung, um nicht Kriegspartei zu werden.
>> Lesen Sie hier: Der neue Eiserne Vorhang – Wie sich die Nato für einen Krieg mit Russland rüstet
Umso wichtiger war es, weitere Hilfen in anderen Formaten zu organisieren: in der G7, bilateral und in kleinen Gruppen. So haben etwa die USA, Deutschland und Frankreich weitere militärische Lieferungen angekündigt.
Elf Staaten wollen der Ukraine gemeinsam F-16-Kampfjets liefern und ukrainische Soldaten an den Jets ausbilden. Besonders wichtig ist die gemeinsame Erklärung der G7-Staaten. Sie versprechen der Ukraine langfristig angelegte Unterstützung, sowohl militärisch als auch wirtschaftlich, als Sicherheitszusagen.
Zudem sagen die G7 Hilfe bei der Verfolgung von Kriegsverbrechen zu. Verbunden ist dies mit Reformverpflichtungen für die Ukraine.
Nato-Beitritt würde der Ukraine und Europa am meisten Sicherheit bieten
Diese Maßnahmen von EU, Nato und G7 sowie die Treffen der Ukraine-Kontaktgruppe im Ramstein-Format greifen im besten Fall ineinander, verstärken sich und führen das von Russland angegriffene Land immer näher und unwiderruflich an die westlichen Strukturen heran. Das ist die Kraft der Vilnius-Beschlüsse.
Aber sie ersetzen nicht die Sicherheitsgarantie der Nato. Bislang bleibt die Ukraine trotz aller Zusagen ein Partner, der unterstützt wird. Sie ist kein Verbündeter, der verteidigt wird.

Claudia Major ist eine deutsche Politikwissenschaftlerin und Forschungsgruppenleiterin für Sicherheitspolitik der Stiftung Wissenschaft und Politik.
Langfristig bleibt der Nato-Beitritt der Ukraine trotz aller Risiken, von Eskalation bis Nato-Handlungsfähigkeit, die Option, die für die westlichen Staaten am meisten Stabilität und Sicherheit gewährt. Und das bei berechenbaren Kosten und Mitsprache bei der Entwicklung der Ukraine.
Eine russisch besetzte Ukraine, ein siegreiches Russland, würde die Bedrohungslage in Europa massiv verschärfen. Die Sicherheit der Ukraine zu gewährleisten ist damit auch Vorsorge für die EU und die Nato.
Auch wäre die Sicherheitslage in Europa stabiler, wenn nach dem Krieg die Ukraine eine der stärksten und kampferprobtesten Armeen Europas in der Nato integriert wäre. Weiterhin erfordert der Wiederaufbau Sicherheit. Die Weltbank hat dafür Kosten um 411 Milliarden Dollar veranschlagt. Solch enorme staatliche und private Investitionen kommen nur bei sicheren Rahmenbedingungen. Stocken oder scheitern der Wiederaufbau und die demokratischen Reformprozesse, könnte sich auch die sicherheitspolitische Lage verschärfen.
Zum Nato-Beitritt gibt es keine bessere Alternative
Und schließlich gilt es, den EU-Beitritt abzusichern. Alternativen zum Nato-Beitritt, wie das von Biden zitierte Israel-Modell bis hin zu ukrainischen Atomwaffen, sind nicht im europäischen Interesse. Sie sind mit höheren Kosten, weniger Stabilität und weniger Möglichkeiten zur Einflussnahme verbunden.
Das Ergebnis von Vilnius ist also bemerkenswert, wenn es Realität wird. Die meisten Maßnahmen sind dafür gedacht, die Zeit bis zum Nato-Beitritt zu überbrücken.
Genauso sollten sie umgesetzt werden. Sie dürfen nicht als Ersatz für eine als zu riskant und komplex empfundene Nato-Mitgliedschaft herhalten, in der Hoffnung, dass diese in Vergessenheit gerät.
>> Lesen Sie hier: Warum das „Israel-Modell“ als Sicherheitsgarantie für die Ukraine nicht reicht – ein Gastkommentar von Liana Fix
Russland könnte Zögern als Zeichen der Schwäche des Westens und somit als Ermutigung auffassen, den Krieg fortzusetzen – und als Einladung, den Zusammenhalt der Alliierten zu testen.






Eine Beitrittseinladung auf dem nächsten Gipfel 2024 in Washington wäre ein klares Signal an Moskau, dass auch eine Fortsetzung des Krieges Kiews Weg in den Westen nicht aufhalten kann.
Mehr: Wie der Westen die Ukraine bis zum Nato-Beitritt schützen will





