Globale Trends: An die Arbeit, Kapitalisten: Wie eine Reichensteuer den ökonomischen Wandel befördern könnte

Handelsblatt-International-Correspondent Torsten Riecke analysiert jede Woche in seiner Kolumne interessante Daten und Trends aus aller Welt. Sie erreichen ihn unter riecke@handelsblatt.com.
Olaf Scholz will sie. Annalena Baerbock will sie. Joe Biden will sie. Reichensteuern sind en vogue. Insbesondere seit die massiven Corona-Hilfen riesige Löcher in die Haushalte vieler Staaten gerissen haben, wollen viele Politiker die Besserverdienenden und Vermögenden verstärkt zur Kasse bieten.
Dafür gibt es gesellschaftspolitisch und ökonomisch gute Argumente. Dass die Stärkeren mehr Lasten schultern sollten, gehört nicht erst seit der Pandemie zum Credo einer Sozialen Marktwirtschaft. Progressive Einkommensteuern sind seit Langem Ausdruck dieser sozialpolitischen Überzeugung.
Hinzu kommt, dass gerade die Superreichen zu den finanziellen Gewinnern der Coronakrise gehören – auch in Deutschland. Das Vermögen der Milliardäre ist in den vergangenen zwölf Monaten dank boomender Kapital- und Finanzmärkte weltweit um fünf auf 13 Billionen Dollar gestiegen, hat der Morgan-Stanley-Ökonom Ruchir Sharma gerade ausgerechnet. In den meisten Industrieländern steigt das Privatvermögen weitaus stärker als das nationale Volkseinkommen.
Die Gerechtigkeitsdebatte können FDP-Chef Lindner und seine Bataillone gegen Steuererhöhungen also kaum gewinnen. Meinungsumfragen zeigen, dass zumindest eine befristete Reichensteuer bei der Bevölkerung auf große Zustimmung stößt.
Superreiche sind die Krisengewinner der Pandemie
Dennoch wird den modernen Nachfahren Robin Hoods von Wirtschaftsliberalen ein kräftiges „Ja, aber“ entgegengehalten. Und das „Aber“ wird immer größer, je länger man über das ökonomische Für und Wider einer Reichensteuer diskutiert: Zu kompliziert, zu aufwendig, nicht effektiv und kontraproduktiv sind die gängigen Einwände, je nachdem ob die Reichen mit höheren Spitzensteuersätzen, einer Vermögensteuer oder höheren Erbschaftsteuern geschröpft werden sollen.
Steuersenkungen für die Reichen sind keine Garantie für Wachstum
Die wirtschaftliche Vernunft ist jedoch keineswegs das Totschlagargument gegen jede Form von Reichensteuer. Im Gegenteil. Selbst ideologisch unverdächtige Institutionen wie der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) fordern zusätzliche Abgaben für Vermögende und begründen das auch mit guten wirtschaftlichen Argumenten.
Das populärste Argument gegen eine Reichensteuer ist zugleich das schwächste. Wer wie die FDP niedrige Einkommen- und vermögensbezogene Steuern als wichtigen Motor für Wachstum und Wohlstand für alle betrachtet, ist durch zahlreiche empirische Studien widerlegt worden.
So hat zuletzt die London School of Economics (LSE) die Wirkungen von Steuersenkungen in den vergangenen 50 Jahren in 18 OECD-Ländern untersucht. Und sie kam zu dem Ergebnis, dass niedrige Steuern für die Reichen die Wettbewerbsfähigkeit einer Volkswirtschaft kaum, die Ungleichheit aber umso mehr erhöhen.
Kapitalisten für Vermögensteuer
Komplizierter wird es bei der Frage, welche Reichensteuer ökonomisch die richtige ist.
Aus Sicht eines dynamischen Kapitalismus spricht viel für eine progressive Abgabe auf das Nettovermögen oberhalb eines Steuerfreibetrages. So macht es viel mehr Sinn, das Nettovermögen zu besteuern als etwa die Vermögensweitergabe zum Beispiel durch Erbschaften oder Schenkungen. Solche Transaktionssteuern führen dazu, dass Vermögen gehortet und nicht zeitgerecht ihrer produktivsten Verwendungsart zugeführt werden.
Gerade Deutschland mit seinem chronischen Kapitalmangel für Risikoinvestitionen könnte den Umbau in eine digitale Wirtschaft schneller finanzieren, wenn es sein enormes Privatvermögen mehr arbeiten lassen würde. Bei den Betriebsvermögen des Mittelstandes geschieht das bereits.
Gegen eine Vermögensteuer sprechen unter anderem die hohen administrativen Kosten, die nach Schätzungen von Steuerexperten bis zu ein Drittel der Einnahmen verzehren können. Allerdings sorgt die gerade auf den Weg gebrachte Reform der Grundsteuer dafür, dass die Immobilienbewertung deutlich einfacher wird. Die Schweiz zeigt, dass eine Steuer auf das um Hypothekendarlehen verminderte Nettovermögen den Immobilienbesitz fördert und die Altersvorsorge flexibler macht.
OECD fordert höhere Erbschaftsteuern
Eine politische Wiederauferstehung der Vermögensteuer ist dennoch unwahrscheinlich. Frankreichs Präsident Macron hat sie gerade abgeschafft, und US-Präsident Biden will an anderen Steuerschrauben drehen, um die Reichen stärker am wirtschaftlichen Wiederaufbau nach der Pandemie zu beteiligen. Dass Scholz und Baerbock beim kommenden Koalitionspoker eine Vermögensteuer zur Conditio sine qua non für eine Regierungsbeteiligung machen werden, ist unwahrscheinlich.





Die Reichensteuern sind damit aber nicht vom Tisch. Gerade hat sich die OECD für eine höhere Erbschaftsteuer ausgesprochen und das mit ihrer hohen Effizienz und leichten Umsetzung begründet. In Deutschland beträgt deren Anteil am Bruttoinlandsprodukt jedoch nur 0,2 Prozent. Das wird kaum reichen, um die Corona-Löcher zu stopfen.
Die Krux mit einer Reichensteuer ist nicht, dass sie eine „Mission impossible" ist. Sie erfordert jedoch politischen Mut und eine kluge ökonomische Güterabwägung: Soll das Kapital mehr arbeiten, oder sollen die Arbeitenden mehr Steuern zahlen? Letzteres wäre die schlechteste aller Optionen.
Mehr: Was Deutschland bei der Vermögensteuer von der Schweiz lernen kann.





