1. Startseite
  2. Meinung
  3. Kolumnen
  4. Globale Trends: „Es bewegt sich was“ – Europa rüttelt am Kündigungsschutz

Globale Trends„Es bewegt sich was“ – Europa rüttelt am Kündigungsschutz

Strenge Regeln schützen Arbeitnehmer, können aber zum Innovationshindernis werden. Vor allem junge, dynamische Firmen aus Deutschland und anderen EU-Staaten leiden unter hohen Folgekosten.Torsten Riecke 11.12.2025 - 13:29 Uhr Artikel anhören
Um den Kündigungsschutz ist eine Debatte entbrannt – nicht nur in Deutschland. Foto: imago images/Ikon Images

London. Verkehrte Welt: In Großbritannien will die Labour-Regierung den Kündigungsschutz verschärfen, in Deutschland denkt Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) dagegen laut über eine Lockerung nach. Das passt eigentlich nicht in die üblichen Denkschablonen der Wirtschaftspolitik, wonach der angelsächsische Kapitalismus den Arbeitnehmern weniger Schutzrechte gewährt als die Soziale Marktwirtschaft.

Der scheinbare Widerspruch entpuppt sich schnell als eine Annäherung, wenn man berücksichtigt, dass der Kündigungsschutz in Deutschland traditionell deutlich stärker ist als im Vereinigten Königreich.

Dass Reiche dies jetzt ändern will, hat viel mit der mangelnden Risikofreude und der fehlenden Innovationskraft in Deutschland zu tun. Die Kosten des Scheiterns seien hierzulande zu hoch, monierte die Wirtschaftsministerin Mitte November auf einem Symposium ihres Hauses. Thema der Veranstaltung: „Soziale Marktwirtschaft in Zeiten des Umbruchs“.

„Es bewegt sich etwas in Europa“, freut sich Olivier Coste und verweist darauf, dass Italien und Frankreich das Arbeitsrecht auf ähnliche Weise lockern. Vor gut einem Jahr hatte der französische Tech-Investor zuerst darauf aufmerksam gemacht, dass Europa aus Angst vor dem Scheitern Gefahr läuft, seine technologische Zukunft zu verspielen. Seitdem haben Ökonomen wie Ifo-Chef Clemens Fuest den Kündigungsschutz als Innovationsbremse thematisiert.

Konkret geht es um den Zusammenhang zwischen Restrukturierungskosten und Innovationskraft. Beim unternehmerischen Umsteuern müssen Abfindungen, laufende Betriebsverluste und Umschulungen finanziert werden. 31 Monatsgehälter zahlen von Coste ausgewählte und untersuchte deutsche Unternehmen im Durchschnitt an ihre Mitarbeiter, wenn unternehmerische Vorhaben scheitern. Zum Vergleich: In Großbritannien sind es nur 18, in den USA nur sieben und in der reichen Schweiz sogar nur 2,5 Monatsgehälter.

Coste hat die Kosten des Scheiterns mit den privatwirtschaftlichen Ausgaben für Forschung und Entwicklung verglichen und kommt zu dem Ergebnis: Je höher die Restrukturierungskosten für die Unternehmen sind, desto geringer sind die Anreize für Innovationen.

„Als ich Firmenchefs davon erzählte, schüttelten viele zunächst den Kopf“, erinnert sich der Franzose. Sie hätten versichert, dass die Kosten der Restrukturierung für ihre Risikobereitschaft keine Rolle spielen. Dabei handelte es sich jedoch überwiegend um Manager ausgereifter Industrien, die ohnehin wenig Risiken eingehen.

Bei disruptiven Unternehmen, die im Moment den technologischen Wandel vorantreiben, sieht es dagegen nach Angaben von Coste ganz anders aus. „Die hohen Kosten des Scheiterns behindern Investitionen und erklären die technologische Kluft zu den USA und anderen Ländern“, sagt der Tech-Investor.

Die Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) sieht das ähnlich. Bereits 2015 wies sie darauf hin, dass strenge Kündigungsschutzgesetze innovative Unternehmen schwächten. Ihnen falle es schwerer, „die ergänzenden materiellen Ressourcen anzuziehen, die für die Umsetzung und Vermarktung neuer Ideen erforderlich sind“. Vor allem jene jungen Unternehmen seien betroffen, die mit radikalen Innovationen experimentierten.

Mehr Flexibilität hilft jungen Unternehmen

Coste fordert deshalb für Besserverdienende mit einem Bruttoeinkommen von mehr als 6000 Euro pro Monat eine Lockerung des Kündigungsschutzes, die er „Flexicurity“ nennt und in Dänemark bereits verwirklicht sieht. „Für 90 Prozent der deutschen Arbeitnehmer würde sich nichts ändern“, sagt Coste.

CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann sieht die Schutzgrenze eher bei einem Jahresgehalt von 100.000 Euro. Zustimmung kommt von Wirtschaftsministerin Reiche: „Menschen mit geringem Einkommen verdienen einen anderen Kündigungsschutz als Menschen mit gut bezahlten Tätigkeiten“, sagt die Ministerin.

Soziale Gerechtigkeit heißt eben nicht, alle gleich zu behandeln, sondern den Kündigungsschutz flexibel an das Schutzbedürfnis  anzupassen. Die Einkommenshöhe ist dabei ein wichtiger Faktor, aber nicht der einzige. Auch das Alter der Betroffenen spielt dann eine Rolle, wenn es einen Arbeitsplatzwechsel erschwert.

Verwandte Themen Deutschland Katherina Reiche Europa Großbritannien USA Carsten Linnemann

Aber schafft Jobsicherheit nicht bei allen Mitarbeitern auch Arbeitszufriedenheit und kann so zum Motor für höhere Produktivität sein? „Das stimmt für jene Teile der Wirtschaft, in denen sich der technische Fortschritt nur noch in kleinen Schritten bewegt“, sagt Coste. Für disruptive Innovationssprünge sei ein rigider Kündigungsschutz jedoch oft eine unüberwindbare Hürde.

Mehr: „Fehlanreize auch unter Schmerzen abbauen“ – Reiche fordert „Agenda 2030“

Mehr zum Thema
Unsere Partner
Anzeige
remind.me
Jetziges Strom-/Gaspreistief nutzen, bevor die Preise wieder steigen
Anzeige
Homeday
Immobilienbewertung von Homeday - kostenlos, unverbindlich & schnell
Anzeige
IT Boltwise
Fachmagazin in Deutschland mit Fokus auf Künstliche Intelligenz und Robotik
Anzeige
Presseportal
Direkt hier lesen!
Anzeige
STELLENMARKT
Mit unserem Karriere-Portal den Traumjob finden
Anzeige
Expertentesten.de
Produktvergleich - schnell zum besten Produkt