Kolumne – Kreative Zerstörung Kontinent von Bord – Europa verpasst den Anschluss bei militärischer KI
Chinas Präsident Xi Jinping neigt manchmal zur bildhaften Erzählung. In einer Begegnung mit Bundeskanzlerin Angela Merkel wählte er die Flussmetapher. China sei ein großer Strom, und die anderen Teile der Welt, auch alle europäischen Staaten, seien kleine Flüsse, die irgendwann alle in den großen Strom Chinas münden würden.
Das klingt nach großer Harmonie und Vereinigung. Und doch ist es ein schön verpacktes Bild für Chinas Hegemonialanspruch und eine Kriegserklärung an die europäische Souveränität.
Wo von Flüssen die Rede ist, sind Datenflüsse nicht weit. Sie sind die neuen Quellen der Dominanz. Wo sie fließen, spuren sie die geopolitische Machtverteilung neu.
Die USA beginnen gerade, das zu verstehen. Die neu geschaffene „US Security Commission on Artificial Intelligence“ unter dem Vorsitz von Ex-Google-Chef Eric Schmidt hat einen geharnischten Bericht vorgelegt, der deutlich macht, es gibt dringenden Handlungsbedarf. „Amerika ist im Feld der Künstlichen Intelligenz nicht darauf vorbereitet, sich zu verteidigen oder mitzuhalten“, so lautet die „brutale Wahrheit“, die der Bericht auf 750 Seiten ausführt.
Die harte Schlussfolgerung beruht auf zahlreichen empirischen Evidenzen. China hat sich zum Ziel gesetzt, im Jahre 2030 die führende KI-Weltmacht zu sein. Dafür buttert der chinesische Staat allein 150 Milliarden Dollar in die Entwicklung der Technologie. Russlands Präsident Wladimir Putin sagt: „Wer bei KI in Führung geht, wird die Welt beherrschen.“
Staaten nutzen KI-basierte Technologien zur Disziplinierung der Bürger
Täglich lesen wir von Cyberangriffen, orchestriert in oder gar durch Staaten, die ihre wirtschaftliche oder geopolitische Position konsequent über den Einsatz von KI ausbauen und stärken wollen. KI-basierte Technologien wie die Gesichtserkennung werden in diesen Staaten eingesetzt, um die eigenen Bürgerinnen und Bürger zu überwachen und zu disziplinieren. Auch die von der Weltgesundheitsorganisation beschriebene „Infodemie“ der Desinformation über soziale Medien und Deepfakes ist Teil einer Strategie, Demokratien überall in der Welt über einen Krieg gegen Fakten und Wahrheit zu schwächen.
Aber diese Herausforderungen betreffen auch direkt die Verteidigungspolitik. An ihr zeigt sich, wie weitgehend KI-Technologien militärische Abschreckung und Abwehr verändern.
Über KI und handelsübliche Drohnen lassen sich intelligente Waffensysteme bauen, die von Staaten, Terroristen oder schlicht Kriminellen eingesetzt werden können. Künstliche Intelligenz ist eine Technologie mit doppeltem Verwendungszweck: Sie kann im zivilen, wirtschaftlichen Gebrauch, aber eben auch im militärischen Bereich für Gutes und Schlechtes eingesetzt werden.
Viele technologische Innovationen im zivilen Einsatz entstammen der militärischen Forschung. Ohne sie gäbe es das Radar, die GPS-Technologie oder auch das Internet nicht.
„KI made in Europe" hat das Potenzial, eine wichtige Alternative zu werden
Auf all das ist die EU nicht vorbereitet. Sie versteht sich immer noch wesentlich als Wirtschaftsgemeinschaft. Wichtige Politikbereiche wie die Sicherheits- und Verteidigungspolitik überlässt sie lieber ihren Mitgliedstaaten. Angesichts der Möglichkeiten militärischer KI in Krieg und Frieden muss die EU endlich raus aus der Vermittlerrolle zwischen den beiden KI-Supermächten USA und China.
Sie muss eine eigene Position und Strategie in einer Weltordnung entwickeln, die wesentlich durch KI bestimmt sein wird. Dafür wird es nicht reichen, militärische KI grundsätzlich ethisch infrage zu stellen. Wer verhandeln und die eigenen Werte sichern will, muss auf Augenhöhe bleiben. Auch die Technologien, die wir nicht einsetzen wollen, müssen wir beherrschen. Man kann die Verwendung autonomer Waffensysteme moralisch verdammen. Wer dies aus der Position mangelnder Expertise tut, ist nicht nur friedliebend, sondern schlicht naiv.
Dabei kann das genau das politisches Alleinstellungsmerkmal der EU werden: technologischen Fortschritt mit ethischen Grundsätzen zu vereinen. „KI made in Europe“ könnte zu einer echten Alternative zu amerikanischen und chinesischen Angeboten werden, zu einem weltweiten Standort- und Exportvorteil. Dafür brauchen wir klare Positionen, die richtigen Allianzen
(z. B. mit der dafür offenen US-Regierung) und europäische Unternehmen, die Daten auf militärischem Niveau und auf Basis klarer ethischer Vorgaben auswerten können.
Zurück zur Flussmetapher des chinesischen Präsidenten: Europa glaubt bislang, es könne auch künftig friedfertig wie einst Moses in der Bibel im Körbchen durch das Schilf eines wachsenden KI-Deltas schippern. Das wird nicht funktionieren. Für eine europäische KI-Souveränität muss die EU auch auf dem Feld militärischer KI zum starken Akteur werden, statt in dem Strom zu schwimmen, den andere vorgeben.
In dieser Kolumne schreibt Miriam Meckel 14-täglich über Ideen, Innovationen und Interpretationen, die Fortschritt und ein besseres Leben möglich machen. Denn was die Raupe Ende der Welt nennt, nennt der Rest der Welt Schmetterling. ada-magazin.com
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