Militär-Technologie Innovation ist die beste Verteidigung: Deutschland drohen bald Auseinandersetzungen mit ungleichen Waffen

Die Firma entwickelt Drohnen für das Militär.
Foto: Quantum Systems
Istanbul, Tel Aviv, München, New York, Paris Als der dunkel bekleidete Mann in das Militärfahrzeug einbricht und davonfährt, sieht General Alfons Mais nur zu: Der Diebstahl ist gespielt. Und Start-ups wollen ihm zeigen, wie moderne Aufklärung in solchen und ähnlichen Szenarien heute geht.
Die Drohne „Scorpion“ der jungen Techfirma Quantum Systems schraubt sich wie ein Mini-Hubschrauber in die Höhe. Dann nimmt eine zweite, flugzeugartige Drohne die Verfolgung des Fahrzeugs auf. Mais, weitere Generäle und zahlreiche Vertreter von Sicherheitsbehörden in Tarnfarben oder Anzug lassen sich hier vorführen, was in künftigen Einsätzen entscheidend sein wird: Technologie.
Als Inspekteur Heer muss Mais sich die Konflikte der Zukunft ausmalen und sagen, was die Truppe dafür braucht. Immer häufiger denkt er dabei an Lösungen, bei denen die klassischen Rüstungsunternehmen hinter junge Wettbewerber zurückfallen. „Ich bin überzeugt, dass wir auch bei klassischen militärischen Problemen jetzt mit Start-ups zusammenarbeiten müssen“, sagt Mais dem Handelsblatt: „Heute geht auch im Militärischen nichts mehr ohne Digitalisierung.“ Mais sieht Konflikte vor sich, in denen mit Drohnen, Robotern und Künstlicher Intelligenz gekämpft wird.
Es ist ein Kampf, in dem Deutschland aus heutiger Sicht schon weit unterlegen scheint. Denn einerseits schützt die deutsche Industriepolitik mit ihren Aufträgen an die immer gleichen Unternehmen traditionelle Rüstungskonzerne. Andererseits sind Gründer wie Florian Seibel eine Ausnahme.
Er war 16 Jahre lang Soldat, ehe er aus der Bundeswehr-Uni in München seine Drohnen-Firma Quantum Systems ausgründete. Auf seine Initiative hin haben sich Anfang Juli weitere Start-ups, Wagniskapital-Investoren, Politik und Sicherheitsbehörden im bayerischen Königsdorf getroffen. Sie könnten zusammen eine neue Ära einläuten.

Der Gründer war 16 Jahre lang Soldat.
Foto: Quantum Systems
Gekommen ist auch Verteidigungspolitiker Reinhard Brandl von der CSU – weil er überzeugt ist, dass die Bundeswehr das Innovationspotenzial der Start-ups dringend brauchen wird: „Viele Innovationen wie die Quantum-Drohne finden gerade bei kleinen, jungen Unternehmen statt“, sagt der Bundestagsabgeordnete. In Königsdorf etwa stellt die bayerische Firma Blackned die sichere Kommunikation zwischen den Drohnen und den Smartphones der Einsatzkräfte über ein dezentrales 5G-Netz sicher. Und eine Künstliche Intelligenz von Spleenlab aus Thüringen beginnt im Rahmen des gespielten Militärfahrzeugdiebstahls unmittelbar mit der Identifizierung der unbekannten Person.
Die schnelle Datenauswertung ist für die Bundeswehr eine der zentralen Zukunftskompetenzen. Doch bisher fehlen Deutschland die Strukturen, um solche Technologien für die Armee nutzbar zu machen. Im Ausland ist man hingegen längst weiter.
USA: Eine Behörde wird zum Geburtshelfer für Start-ups
In den USA begann alles mit dem Sputnik-Moment. Der erfolgreiche Erstflug des gleichnamigen russischen Satelliten hatte den Vereinigten Staaten 1957 gezeigt, dass sie hinter die Russen zurückgefallen waren. Nur ein Jahr später reagierten sie mit der Gründung der Darpa: Mit der Defense Advanced Research Projects Agency hat das US-Verteidigungsministerium im Pentagon seither eine eigene Innovationsbehörde, die Start-ups zur Gründung und bahnbrechenden Technologien zum Durchbruch verholfen hat. Ob Internet, Drohnen, GPS oder autonomes Fahren – ohne die Vorarbeit der Darpa wäre all das nicht denkbar.
Heute verfügt die Darpa über sechs technische Büros und ein jährliches Budget von etwa drei Milliarden Euro. Die Agentur hat Tarnkappenbomber ebenso entwickelt wie das Maschinengewehr M-16. Zu den weniger rühmlichen Entwicklungen der Agentur gehört das Entlaubungsmittel Agent Orange, das im Vietnamkrieg zum Einsatz kam. Bis heute sollen drei Millionen Menschen an Spätfolgen leiden. Aber auch Künstliche Intelligenz steht seit den 80er-Jahren ganz oben auf der Prioritätenliste. iPhones Spracherkennungssoftware Siri war eine Art Spin-off der Darpa.
Die Förderorganisation hat keine eigenen Labore oder Forscher. Kern des Programms sind rund 100 Manager, die Mitglieder der US-amerikanischen Regierung sind. Sie identifizieren und unterstützen Wissenschaftler-Teams in maximal fünfjährigen Forschungsprogrammen. Wie sie ihre Budgets von jeweils mehreren zehn Millionen Euro verwalten, steht ihnen weitgehend frei. Sobald ein Prototyp fertig ist, soll die Privatwirtschaft übernehmen und ihn zur Marktreife bringen.
Die Programm-Manager selbst müssen immer wieder zwischen öffentlicher Forschung und Privatwirtschaft wechseln. „Der dauernde Turn-over ist eines der Erfolgsgeheimnisse der Darpa“, sagt Andrew Hunter, Direktor beim Thinktank Center for Strategic & International Studies.
Israel: Hier lernt jeder Gründer zuerst, was die Armee braucht
In Israel sind Gründer wie Florian Seibel der Normalfall. Für die gesamte Bevölkerung ist eine dreijährige Wehrpflicht vorgesehen. So hat praktisch jeder Gründer eine Militärvergangenheit – und das verhilft der Armee zu einem Innovationspotenzial, das weltweit bewundert wird.
Ofer Ben-Noon und Ohad Bobrov beispielsweise hatten während ihres Armeedienstes in der Cybereinheit 8200 gearbeitet. Dann gründeten sie Argus: Die Firma zählt heute zu den führenden Cybersicherheitsanbietern der Autoindustrie. 2017 wurde sie an Continental verkauft. Im Anschluss gründeten Ben-Noon und Bobrov ein weiteres Unternehmen, das Firmen vor Cyberbedrohungen schützen soll.
Die Cybereinheit 8200 der israelischen Streitkräfte habe sich regelrecht zum Inkubator und Accelerator der Start-up-Szene entwickelt, sagt der ehemalige 8200-Kommandant Nadav Zafrir. Er selbst hat nach dem Armeedienst mit drei weiteren Cyberoffizieren die Hightech-Beteiligungsfirma Team8 gegründet.
Eine wichtige Rolle spielt auch die Einheit 81. Sie soll für die Armee neueste Technologien aus der zivilen Wirtschaft verfügbar machen. Oft handelt es sich um integrierte Hardware-Software-Produkte. Dvir Cohen entwickelte etwa Robotiksysteme für die Armee – und später wiederum mit der Firma Memic Roboter für den Operationssaal.
Dieser positive Effekt für die Gesellschaft ist gewollt und wird gezielt durch die Einheit Talpiot verfolgt. Zu der handverlesenen Elite zählte etwa Marius Nacht. Er hat mit den ehemaligen 8200-Cybersoldaten Gil Shwed und Shlomo Kramer die Cybersicherheitsfirma Checkpoint gegründet und damit die Grundlage für die israelische Cyberindustrie gelegt.
Frankreich: Science-Fiction-Autoren als Innovationstreiber
In Europa ist es Frankreich, das am ehrgeizigsten das Ziel verfolgt, sein Militär zum Innovationstreiber zu machen. Dabei holt sich das Verteidigungsministerium ungewöhnlichen Expertenrat ein, um wie General Mais bei der Bundeswehr in die Zukunft der Streitkräfte zu blicken: Seit zwei Jahren denken sich Science-Fiction-Autoren im Auftrag der Regierung künftige Bedrohungsszenarien aus und beratschlagen, welche Technologien für das Militär wichtig werden könnten.
Die Schriftsteller im „Red Team“ kollaborieren dabei eng mit Wissenschaftlern und Armeevertretern. Der Zeitraum für die kreativen Strategiespiele: 2030 bis 2060.
Bereits 2018 hat Präsident Emmanuel Macron zudem die „Agence de l’innovation de défense“ (AID) gegründet. Sie identifiziert gezielt auch zivile Innovationen, die für das Militär adaptiert und vorangetrieben werden.
Mit Steuergeldern werden so etwa Laserkanonen zur Abwehr von Drohnen und Künstliche Intelligenz gefördert, die U-Boote aufspüren soll. Bald läuft ein Programm zu Robotik für die Streitkräfte an. In der Ausschreibung erklärt die AID ausdrücklich, dass bei geförderten Projekten Nebeneffekte im zivilen Bereich erwünscht sind.
Türkei: Innovation auf Befehl
Nach einem Verfassungsreferendum im April 2017 hat der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan die Macht der Generäle über die Militärbeschaffung beschnitten. Jetzt formt er sich selbst eine militärische Innovationsschmiede, die auf die interventionistische Außenpolitik der Regierung zugeschnitten ist. Und nicht nur die in Ankara: 2020 exportierte die Türkei Rüstungsgüter im Wert von zwei Milliarden US-Dollar, mit steigender Tendenz.
Das Herzstück türkischer Militärinnovation liegt in den Händen von Erdogans Schwiegersohn Selcuk Bayraktar. Der 41-jährige Ingenieur baut militärische Drohnen. Mit den unbemannten Kampfflugzeugen hat das türkische Militär zuletzt Schlachten und ganze Konflikte in Syrien, Aserbaidschan und Libyen für sich entschieden.
Jetzt exportiert der Absolvent der US-Eliteuni MIT die Drohnen zum Unmut von Russlands Staatschef Wladimir Putin nach Polen, in die Ukraine und weitere Länder Osteuropas. Laut dem US-Analysten Michael Doran sind außerdem Kasachstan, Ungarn und Rumänien interessiert. Länder wie Marokko und Katar sind bereits Kunden des türkischen Militär-Start-ups.
Deutschland muss sein Innovationsmodell für den Militärsektor noch finden, wenn es einen Kampf mit ungleichen Waffen in Zukunft vermeiden will. Verteidigungspolitiker Brandl schlägt etwa eine Mittelstandsquote bei Direktaufträgen vor, um junge Unternehmen als Militärlieferanten aufzubauen. „Start-ups brauchen keine finanzielle Förderung, sondern die Möglichkeit, über Aufträge ihr Können zu beweisen“, sagt er.
Zugleich könne die Regierung laut Brandl auch dazu beitragen, dass die Firmen mehr Zugang zu Wagniskapitalgebern bekommen. Der Schritt könnte zumindest auch das schlimmste Szenario verhindern: dass Hoffnungsträger wie Quantum Systems ans Ausland übergehen.
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