Mental Health: Ausrasten schadet uns – warum wir Impulskontrolle lernen sollten und wie das geht

Vergangene Woche trank ich im Wartebereich eines Berliner Autohauses lauwarmen Hagebuttentee, während meine Sommerreifen montiert wurden. Dabei verwickelte mich auf dem verchromten Ledersofa die Frau neben mir unvermittelt in ein Gespräch. Sie schien innerlich aufgebracht zu sein und suchte eine Gelegenheit, sich Luft zu verschaffen.
„Meinem Chef ist gestern auf dem Nachhauseweg voll einer hinten reingefahren“, sagte sie. „Als die Polizei kam, ist der gegnerische Fahrer ausgerastet und hat meinen Chef, der einen SUV fährt, als kapitalistisches Klimaschwein bezeichnet.“ Sie kam immer mehr in Schwung.
„Wäre mir das passiert“, fuhr sie fort, „hätte ich die Dumpfbacke entweder gleich einen Kopf kürzer gemacht oder ihn zumindest auf der Stelle angezeigt.“ Während sie so ihrer Meinung weiter freien Lauf ließ, rückte sie mir physisch auf die Pelle und schob meine Tasche, die zwischen uns stand, immer mehr auf meinen Schoß.
Ich atmete tief ein vor meiner Replik. Natürlich solle sich niemand alles bieten lassen, sagte ich, aber oft sei es doch so, dass Menschen in emotional aufgeladenen Ausnahmesituationen, besonders dann, wenn ihnen jemand dumm komme, die Spannung nicht gut aushalten könnten. Deshalb meinten sie dann, sich in dem Moment durch einen Vergeltungsschlag Luft machen zu müssen.
Zu einer guten Problemlösung trage eine solche affektgesteuerte „Auge um Auge, Zahn um Zahn“-Verhaltensweise aber nicht gerade bei. Im Gegenteil: Die Eskalationsgefahr steige, und darüber hinaus verlängere sich dadurch nur die Zeit, in der man den Groll weiter mit sich herumschleppe, argumentierte ich.
Ja, so was Ähnliches habe ihr Chef nach dem Autounfall auch gesagt. Aber der sei ja sowieso wie der Dalai Lama und meditiere ständig. Sie persönlich könne sich nicht vorstellen, jeden Tag für 30 Minuten im Schneidersitz auf eine weiße Wand zu starren – da ginge sie lieber zum Crossfit oder am Wochenende mit Freunden einen Caipirinha trinken. Trotzdem frage sie sich, ob Meditation auch helfen könne, nicht wegen jeder Kleinigkeit auszurasten oder bei Stress im Büro nicht ständig in die Keksdose zu greifen. Innerlich nickte ich.
Ich erzählte der fremden Frau in dem Moment nicht, dass ich durch die Achtsamkeitsmeditation sowohl meine generalisierte Angststörung (ich hatte früher immer Schwindel, wenn ich mich auf Bahnhöfen oder Flughäfen befand) als auch die regelmäßig auftauchenden Anflüge von Rumination (das wiederholte, anhaltende Kreisen von Gedanken) verlässlich in den Griff bekommen hatte.
» Lesen Sie auch: Gesunder Rücken – So gelingt es auch bei Büromenschen
Stattdessen sagte ich eher nüchtern, dass Meditation eine gute Sache sei und bei richtiger Anwendung unter anderem Stress abbaue, Konzentration und Leistung steigere sowie auch die Impulskontrolle verbessern könne.
Was bitte sei „Impulskontrolle“? Sie schaute mich an. Ich erklärte. Impulskontrolle bedeute beispielsweise, Gelüsten nach bestimmten Nahrungsmitteln zu widerstehen oder in hitzigen Situationen einen kühlen Kopf zu bewahren.
Doch die Kultivierung von Impulskontrolle erfordert Zeit, Übung und Geduld. Ähnlich wie beim Muskelaufbau bedarf es einer regelmäßigen und bewussten Praxis, um nachhaltige positive Veränderungen durch Meditation zu erlangen. Das Investment lohnt sich aber.
Wissenschaftliche Belege zeigen, dass eine regelmäßige Meditationspraxis nachhaltige positive Veränderungen in der Hirnstruktur bewirken kann, insbesondere in den Bereichen, die mit Aufmerksamkeit, emotionaler Regulation und Selbstkontrolle in Verbindung stehen.
Vielleicht sollte sie das dann doch mal ausprobieren, warf meine Sitznachbarin ein. Ich nickte und riet, zunächst einmal für den leichten Zugang mit einer Meditations-App wie 7Mind oder Headspace zu beginnen.


Dann winkte der Servicemitarbeiter mit meinem Autoschlüssel und unser kurzes Gespräch war zu Ende, und gleichzeitig begann für die aufgeregte Frau vielleicht ein gelasseneres Leben.
Meditation ist ein großes Feld und komplexes Thema. Wie sie wirkt, welche Fehlannahmen Menschen oft haben und wie jeder die richtige Meditationspraxis für sich findet, erkläre ich an gleicher Stelle in 14 Tagen.
Mehr: So leben Sie länger – ganz ohne Hightech und Pharmazie







