DB: Reisen ohne Geschmack im neuen ICE
Es gibt nun also einen neuen ICE. Er heißt ICE-L, und das „L“ steht für „low floor“. Niedriger Einstieg, barrierefrei, komfortabel – endlich kann man in Deutschland mit einem Rollkoffer in den Zug steigen, ohne vorher ein Work-out zu machen. Allerdings kann man mit dem Rollkoffer ja auch gleich bis zum Reiseziel rollen. Denn viel später als mit der Bahn kommt man da auch nicht an.
Im neuen Zug gibt es auch ein neues Innenraumdesign. Was der ICE-L aber nicht hat, ist eine neue Küche. Und das ist, wenn man ehrlich ist, das, was im deutschen Fernverkehr am meisten fehlt. Niedriger Einstieg hin oder her – die eigentliche Hürde auf langen Reisen bleibt das Bordbistro. Dort, wo es einmal eine Reisegastronomie gab, in der man gern speiste, bietet die Bahn heute nur noch eine Mikrowelle mit angeschlossener Theke.
Morgens nach Prag ein Spiegelei
Gerade hat man bei der tschechischen Bahn die alten Speisewagen ausgemustert. Das waren jene Wagen, in denen man morgens auf dem Weg nach Prag ein Spiegelei bekam, das wirklich noch in der Pfanne gebraten wurde. Oder eine Palatschinke, die mit flüssiger Schokolade übergossen war – zubereitet von einem Koch. Es klang nach echter Küche, wenn das Fett in der Pfanne zischte, während man durch das Elbtal fuhr.
Und ein Gericht war nicht schon deshalb gelungen, weil es von der Mikrowelle einigermaßen gleichmäßig erhitzt worden war. Man fühlte sich wie ein Mitreisender der Zivilisation, nicht wie deren Opfer. So war das – bevor die alten Restaurantwagen durch kleinere Bordbistros ersetzt wurden.
Reisen hat in Deutschland nichts mehr mit Genuss zu tun. Wir würgen vor Remoulade triefende Bahnhofsbrötchen hinunter und schlürfen Automatenkaffee.
Dabei könnte ein Zug mit guter Küche alles sein, was dieses Land braucht: ein rollendes Restaurant mit Aussicht, ein Ort, an dem man seine Verspätung einfach wegisst. Was sind schon 180 Minuten zu spät, wenn man dann eben noch einen zweiten Nachtisch bekommt?
Ein solcher Zug müsste gar nicht schnell sein. Er dürfte sich Zeit lassen, durch Täler tuckern, an Bahnhöfen halten, wo niemand einsteigt – nur damit man noch etwas Zeit für einen Kaffee hat.
Manchmal denke ich, der ideale ICE wäre ein Speisewagen, an den man ein paar Sitzplätze montiert hat. Man könnte dort frühstücken, zu Mittag essen und abends noch einen Espresso trinken, bevor man in München ankommt – oder in Hamburg, falls der Zug sich anders entscheidet.
Denn was hilft ein niedriger Einstieg, wenn man gar nicht einsteigen möchte? Ich will Züge, aus denen ich nicht mehr aussteigen will. Die können gern zu spät sein. Geschwindigkeit ist überbewertet. Geschmack nicht.
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Erstpublikation: 25.10.2025, 10:54 Uhr.