Prüfers Kolumne: Was uns die Nordmanntanne über den Zustand der Nation erzählt
Ich habe einen Weihnachtsbaum gekauft. Eigentlich halte ich mich für einen Nonkonformisten, aber was den Weihnachtsbaumkauf betrifft, bin ich das absolut nicht. Ich habe eine Nordmanntanne gekauft, so wie etwa 80 Prozent der Deutschen.
Die Nordmanntanne ist der Baum der Pragmatiker. Sie nadelt kaum, hat weiche, dunkelgrüne Nadeln, eine gleichmäßige Form und stabile Äste, die auch schweren Baumschmuck tragen. Sie ist pflegeleicht, langlebig und verlässlich.
Erst mit deutlichem Abstand folgt die Blaufichte. Deren Marktanteil liegt zwischen 10 und 15 Prozent. Sie duftet mehr als die Nordmanntanne, aber dafür nadelt sie auch deutlich früher. Alle übrigen Baumarten – Nobilistanne, Kiefer – sind weihnachtsbaummäßig eher Nischenprodukte. Die wirklichen Nonkonformisten haben eine Weißtanne im Wohnzimmer.
Ich glaube, der Erfolg der Nordmanntanne kommt auch daher, dass ihr Name so nordisch klingt. Als komme sie direkt aus dem Wald des Weihnachtsmanns. Dabei ist sie einfach nach Alexander von Nordmann benannt. Der Botaniker hat sie im 18. Jahrhundert zum ersten Mal beschrieben. Natürlich wachsen diese Bäume im Kaukasus und werden dort bis zu 70 Meter hoch. Was wir hier im Wohnzimmer haben, sind also eher Nordbabytannen.
Um für die 40.000 Hektar Weihnachtsbaumplantagen genügend Samen liefern zu können, müssen die Zapfen in großer Höhe geerntet werden. Das ist ein gefährlicher Job. Aber Weihnachtsbäume sind eben auch ein großer Markt: Bis zu 25 Millionen Bäume werden in Deutschland pro Jahr verkauft.
Krisen sind gut für das Baumgeschäft
Ich habe den Baumhändler gefragt, wie sein Geschäft eigentlich so läuft. Die Konjunktur schwächelt ja, und die Erwartungen an die Zukunft sind eher mau. Der Baumhändler sagte zu meiner Überraschung, nach seiner Erfahrung seien Wirtschaftskrisen und politische Krisen eher gut für das Baumgeschäft. Denn wenn die Zeiten härter und kälter würden, wünschten sich die Menschen etwas Schönes für ihr privates Leben und stellten sich einen größeren Baum in die Stube.
Man kann also vermutlich die wirtschaftlichen und politischen Erwartungen an der Höhe der Weihnachtsbäume ablesen. Ich halte die Ermittlung eines Weihnachtsbaumindex für einen sinnvollen Vorschlag.
Vermutlich macht das Sinn. In Berlin vor dem Brandenburger Tor steht ein 16 Meter hoher Baum, das spiegelt die klammen Kassen der Hauptstadt wider. In Stuttgart, wo die Autoindustrie große Rückgänge hinnehmen musste, ist der Baum auf dem Schlossplatz beunruhigende 20 Meter groß.
Das ist allerdings nichts gegen den Riesenbaum, den man in Dortmund aufgebaut hat. Dort steht auf dem Weihnachtsmarkt ein 45 Meter hoher Baum. Ich denke, dort ist die Stimmung katastrophal. Dazu ist das Ding aus 1200 einzelnen Fichten montiert, die nadeln dann auch noch unschön.