RESET – die Kolumne zum Wochenende Was nach Corona aus dem globalen Tourismus wird

Eine Reise nach Peru war im vergangenen Jahr nicht möglich. Stattdessen ging es ins Elbsandsteingebirge.
Es gibt eine neue Corona-Variante: die Mallorca-Mutante. Klar ist schon jetzt, dass sie kurz nach Ostern über die Bundesrepublik hereinbrechen wird und weit gefährlicher ist als ihre britischen und südafrikanischen Kolleginnen. Mallorca 08.15; so möchte ich sie hier schon einmal aktenkundig machen, wird mit Eurowings und Tui ins Land eingebracht.
Sie ist schon deshalb hochinfektiös, weil die Mutante nicht nur unter Alkoholeinwirkung zu lautem Gesang neigt wie etwa: „Scheiß drauf, Malle is’ nur einmal im Jahr“ oder „Wie heißt die Mutter von Niki Lauda? Mama Laudaaa“.
Wenn Sie so etwas kurz vor oder nach Ostern in Ihrer Nachbarschaft hören, wechseln Sie nicht nur die Straßenseite, sondern am besten den Wohnort. Mallorca 08.15 tritt gern in der Variante postadoleszenter Schlagerfan auf und neigt zu Geselligkeit, ist also hochansteckend, was ihn unberechenbar macht in seiner Breitenwirkung.
Manche der Mutanten werden nur verkatert zu Hause rumliegen (Post-Malle-Syndrom) und Virus wie Restalkohol ausschwitzen. Die gefährlicheren werden dagegen als grölende Superspreader durch die Kneipen ihrer Heimatdörfer und -städte torkeln und die vierte Welle vorbereiten.
So sieht es jedenfalls nicht nur die Bundesregierung. Jürgen Schmude, Professor für Tourismuswirtschaft und Nachhaltigkeit an der Universität München, befürchtet bereits ein „zweites Ischgl“, was nicht nur promilletechnisch nach großer Gefahr klingt. Kanzleramtsminister Helge Braun warnte via „Bild“ vor dem „Mutantenschmelztiegel“ Mallorca.
Das Verrückteste daran ist: Diesmal trifft zumindest eine Mitverantwortung auch Lothar Wieler, der bislang nicht gerade durch euphorische Lebensfreude und Lockerungslust aufgefallen ist. Sein Robert Koch-Institut war es schließlich, das gemeinsam mit diversen Bundesministerien Mallorca kürzlich von der Liste der aktuellen Risikogebiete gestrichen hat.
Insofern kann ich mich partout nicht empören über die Reiselust der ausgehungert nach Luftveränderung lechzenden Urlauber, sorry. Auch wenn jetzt hektisch versucht wird, das Ganze wieder in den Griff zu kriegen.
Eurowings antwortete jedenfalls sofort mit der Bereitstellung von 300 Zusatzflügen. Und das war ja noch nicht alles. Man durfte plötzlich auch wieder auf den Rest der Balearen. Selbst das dänische Nordjütland kann mittlerweile besucht werden, ohne sich danach zu Hause mit der für Risikogebiete üblich gewordenen einwöchigen Quarantäne selbst aus dem Verkehr ziehen zu müssen.
Wenigstens auf die Bürokratie ist Verlass
Ich will wirklich nichts gegen das landschaftlich sicher außerordentlich reizvolle Nordjütland einwenden. Aber es muss vorher schon einiges passiert sein, dass selbst dieser dänische Inselfetzen plötzlich zum potenziellen Sehnsuchtsort deutscher Osterurlauber werden konnte. Dass die Inzidenzen in Nordjütland so niedrig sind, hat vielleicht damit zu tun, dass dort selbst Coronaviren aus schierer Langeweile sterben.
Trotzdem gilt mein Respekt der Bundesregierung: Besser kann sie das Chaos ihrer eigenen Maßnahmen eigentlich nicht mehr unter Beweis stellen. Wenn wir schon sonst nichts hinkriegen in puncto Digitalisierung oder gar Impf-Fortschritte – wenigstens auf die Bürokratie ist Verlass.
Denn wenn ich die aktuell gültigen Bestimmungen richtig interpretiere, darf man als Deutscher zum Beispiel mit dem Auto nach Valencia fahren und dort Urlaub machen (Nicht-Risikogebiet) – aber auf gar keinen Fall unterwegs in Marseille (Risikogebiet) für eine Pinkelpause anhalten. Angeraten ist in diesem Fall eine ausreichende Ausstattung mit verschließbaren Plastikeimern, Camping-Toiletten und/oder PCR-Tests im Wagen.
In Deutschland ist es noch komplizierter. Von Hamburg ins niedersächsische Celle darf ich offenbar noch fahren, weil „Tagestourismus“ dort aktuell zumindest nicht ausdrücklich verboten ist. In Schleswig-Holstein schon. Einen Ausflug nach Travemünde kann ich also vergessen.
Beide Alternativen sind allerdings gleichermaßen sinnlos, weil weder da noch dort Restaurants oder gar Hotels geöffnet haben dürfen – im Gegensatz zu denen auf Mallorca. Warum? Weiß mittlerweile niemand mehr. Urlauber aus Wunsiedel, Schwäbisch Hall oder dem Vogtlandkreis dürfen übrigens meines Erachtens nach bundesweit sofort den Behörden übergeben werden, weil sie aus Corona-Hotspots kommen.
Die Lage ist eigentlich gar nicht witzig, aber sehr unübersichtlich – auch was die gesamte Urlaubsplanung nicht nur für dieses Jahr betrifft. Wenn zum Beispiel das Konsumentenverhalten meiner eigenen Familie für irgendetwas repräsentativ ist, dann sollten wir uns um die Zukunft der Tourismusbranche endgültig sehr große Sorgen machen.
Neulich habe ich zu Hause gefragt, wer diesen Sommer wo hinreisen möchte. Die Antwort war apathisches Schulterzucken. „Wo soll man denn noch buchen?“, fragte meine Frau. „Man weiß ja nie, ob das in einer Woche nicht schon wieder Risikogebiet ist.“ Ihr eigener großer Traum ist Machu Picchu. Bis Corona wäre man für einen Besuch der peruanischen Ruinenstadt einfach in einen Flieger gestiegen.
Der weltweite Tourismus wird nicht in der gleichen Dynamik zurückkehren
Mittlerweile müsste man bis zum Ziel wohl ein Dutzend Schnelltests machen und dreimal in Quarantäne gehen, um am Ende doch vorm verrammelten Eingang zu stehen. Ich habe neulich gelesen, dass Machu Picchu bis auf Weiteres geschlossen wurde. Einerseits kommt ja eh niemand, andererseits will man zu viel Verkehr eben auch vermeiden. Den Denkmälern und der Natur drumherum tut das vielleicht mal ganz gut. Meiner Frau und der peruanischen Tourismuswirtschaft eher weniger.
Statt in Machu Picchu waren wir vergangenes Jahr übrigens im Elbsandsteingebirge. Es gab dort ebenfalls viele pittoreske Felsen und schwer zu verstehende Ureinwohner. Für einen Sonnenaufgang auf dem Tafelberg Gohrisch im Stile von Caspar David Friedrich sind meine Tochter und ich um 4 Uhr in der Früh aufgestanden. Ganz ehrlich: Dieses gemeinsame Gekraxel und anschließende Staunen über den Frühnebelfeldern werde ich länger im Herzen tragen als die meisten Städte-Kurztrips nach Paris, London oder Mailand.
Überhaupt muss man ja sagen, dass der Spaß oder wenigstens Status einer Urlaubsreise nicht mehr mit der Distanz korreliert, die man bis zum Zielort zurücklegt. Ich glaube deshalb auch nicht, dass der weltweite Tourismus jemals wieder in der gleichen Dynamik zurückkehrt. Sie? Das Reisen muss gar nicht verboten werden. Schon bald könnte es als schick gelten, eben nicht mehr für ein verlängertes Wochenende nach Singapur oder New York zu fliegen, sondern in der Lüneburger Heide Schachtelhalme zu katalogisieren.
Wir hatten ja nun alle ein bisschen Zeit zur Entschleunigung, was nicht heißen soll, dass ich künftig im Leder-Wams auf der Mecklenburgischen Seenplatte zelten möchte, womit wir wieder bei der Schreckensmutante Malle 08.15 sind. Und bei der Spaßbremse Lothar Wieler. Wo der RKI-Chef wohl Ostern verbringt dieses Jahr?
Wieler ist ja eigentlich Tierarzt. Vielleicht beobachtet er schon am Gründonnerstag zwischen Brønderslev und Hjørring auf Nordjütland Zugvögel, die aus Peru oder wenigstens von den Balearen zurückkommen? Ich würde es ihm gönnen. Und wehe, wenn einer der Vögel keinen negativen PCR-Test vorweisen kann.
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