Kommentar: Nachhaltiges Fliegen ist wichtig – aber gebt der Luftfahrt noch etwas Zeit

Auf die Luftfahrt kommen massive Vorgaben in Sachen Emissionen zu.
Luftfahrtmanager rund um den Globus ahnen, was da auf sie zukommt. Noch während sich die Luftverkehrsbranche schleppend langsam aus ihrer schwersten Krise befreit, wartet schon das nächste große Problem. Das Dauerthema Klima kehrt zurück, und zwar mit mehr Wucht als jemals zuvor. Im Juni will die EU-Kommission ihr Emissionshandelssystem reformieren. Noch ist nicht genau klar, was am Ende beschlossen wird.
Doch vieles spricht dafür, dass sich die Luftfahrtbranche auf einiges gefasst machen muss. Darauf deutet das Ergebnis einer im März bekannt gewordenen Studie der EU-Kommission hin. Danach sind die Klimavorgaben – bis 2030 sollen die CO2-Emissionen gegenüber 1990 um 55 Prozent sinken – mit dem System „Corsia“ nicht zu erreichen. Corsia ist sozusagen das Freiwilligenprogramm der weltweiten Luftfahrt.
Die Studie ist harter Tobak für die von der Pandemie geplagten Branche. Ihr Ziel, über eine Selbstverpflichtung einer zu harschen Regulierung zuvorzukommen, droht zu scheitern. Kein Wunder also, dass sich die Luftfahrtverbände seit einigen Wochen gegenseitig darin überbieten, die eigenen Bemühungen rund um den Klimaschutz öffentlichkeitswirksam zu präsentieren.
Kritiker werden das als billigen Lobbyismus abtun. Richtig ist: Die Luftfahrt war beim Thema Klimaschutz viel zu lange viel zu defensiv. In der stark fragmentierten Wertschöpfungskette zeigte jeder mit dem Finger auf den anderen. Airlines verwiesen auf die Hersteller, die konterten mit den enormen finanziellen Risiken bei der Neuentwicklung völlig neuer Jets und Antriebe. Und alle zusammen riefen nach der Hilfe des Staats.
Die Rechnung für dieses Verhalten muss die Branche jetzt teuer bezahlen. Der Hinweis ist insofern korrekt, als dass die Unternehmen den nun entstandenen enormen Zeitdruck beim Thema Klima sich selbst zuzuschreiben haben. Doch er führt nicht weiter: In ihrer derzeitigen Verfassung können die Unternehmen der Luftfahrt den enorm hohen Erwartungen der Politik, von Umweltverbänden und Teilen der Bevölkerung gar nicht gerecht werden.
Wiederbelebung des Luftverkehrs kostet viel Geld
Schon ohne das Thema Klima ist der Neustart nach der Krise schwer. Die Monate des Stillstands haben den Unternehmen und deren Bilanzen großen Schaden zugefügt. Doch dank Kurzarbeitergeld und anderer Maßnahmen konnten Airlines, Flughäfen und Hersteller die finanziellen Einbußen zumindest etwas in Grenzen halten. Das ist demnächst vorbei.
Der Betrieb muss sukzessive wieder hochgefahren, Personal aus der Kurzarbeit geholt und das Material einsatzbereit gemacht werden. Das wird die Aufwendungen sprunghaft in die Höhe schnellen lassen – bei weiterhin klammen Kassen und unsicheren Einnahmen. Denn vorerst wird es wohl weiter wechselnde Reiserestriktionen geben.

Hinzu kommt: Die Rohstoffpreise steigen seit Wochen deutlich. Das gilt auch für das wichtigste „Vorprodukt“ der Luftfahrt: Öl beziehungsweise Kerosin. Kostete das Fass (Barrel) Rohöl der Marke Brent vor zwölf Monaten noch gut 22 Dollar, sind es mittlerweile fast 70 Dollar.
Kerosin ist bei allen Fluggesellschaften ein großer Kostenblock. Lufthansa etwa wies für das Vorkrisenjahr 2019 beim Posten Treibstoff Kosten von 6,7 Milliarden Euro aus. Im Krisenjahr 2020 waren es nur noch 1,88 Milliarden Euro. Das führt vor Augen, wie schnell die Kosten bei steigendem Flugverkehr kombiniert mit steigenden Kerosinpreisen durch die Decke gehen können.
In dieser sensiblen Aufbauphase die Airlines mit ehrgeizigen Klimavorgaben zusätzlich zu belasten ist äußerst riskant. Viele sind hochverschuldet. Geld für neues und klimaschonendes Gerät ist knapp. Ähnlich sieht es bei den Flugzeugherstellern aus.
Eine Pleitewelle bei Airlines wird dem Klima wenig helfen
Natürlich kann das Klima nicht warten. Aber es ist keinem geholfen, wenn am Ende reihenweise Airlines zugrunde gehen, weil die Emissionsvorgaben die Bilanzen überfordern. Die Lücken würden mit hoher Wahrscheinlichkeit sofort von anderen, teilweise auch neuen Anbietern gefüllt. Auch die werden aber kaum die Mittel haben, in hochmodernes Gerät zu investieren.
Nachhaltiges Fliegen ist ein wichtiges Ziel. Aber es braucht Zeit, dieses zu erreichen. Nicht nur wegen der angespannten Finanzen der Unternehmen, auch technisch ist es eine gewaltige Herausforderung. Allein mit synthetischem Treibstoff ist die Klimawende in der Luftfahrt nicht zu schaffen. Völlig neue Antriebe sind notwendig. Das geht nicht von heute auf morgen.


Das gilt auch deshalb, weil es zu kurz gedacht ist, beim Thema nachhaltiges Fliegen nur die Flugzeuge ins Visier zu nehmen. Luftfahrt ist Teil der gesamten Mobilität. Nachhaltiges Reisen gelingt nur dann, wenn verschiedene Verkehrsträger intelligent vernetzt werden – etwa Bahn und Flugzeug. Doch auch das braucht Zeit.
Die Kritik an der Selbstverpflichtung der Branche mit dem Namen Corsia ist sicher berechtigt. Dennoch gibt es nur einen Weg aus dem Dilemma: Politik und Branche müssen gemeinsam einen eigenen Zeitplan für das klimaneutrale Abheben entwickeln. Das ist wohl das einzig Gute an der Pandemie: Niemals zuvor war die Gelegenheit besser, genau das jetzt zu schaffen.
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