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Der ChefökonomDeutschland braucht mehr als Beton und neue Panzer

Mehr Geld und höhere staatliche Investitionen werden allein nicht ausreichen, um die Volkswirtschaft zurück auf einen Wachstumspfad zu bringen. Erforderlich ist ein Mentalitätswandel.Bert Rürup, Axel Schrinner 06.06.2025 - 09:26 Uhr
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Lars Klingbeil (Mitte): Der Finanzminister beim Besuch des Hamburger Hafens. Foto: Marcus Brandt/dpa

Vizekanzler Lars Klingbeil möchte das von ihm geführte Bundesfinanzministerium zu einem „Investitionsministerium“ machen. „Wir fangen jetzt schon an, das Sondervermögen umzusetzen, und wollen schon in diesem Jahr die Investitionen massiv auf rund 110 Milliarden Euro erhöhen“, sagte der SPD-Chef.

Zu dem Investitionsschub sollen der Bundeshaushalt, der Klima- und Transformationsfonds sowie das mit 500 Milliarden Euro ausgestattete Sondervermögen beitragen, das auf zwölf Jahre angelegt ist.

Wo der Vizekanzler recht hat, da hat er recht: In Deutschland wurde in den vergangenen Jahren zu wenig investiert. Und Investitionen sind nun einmal der Herzmuskel einer Marktwirtschaft, denn sie sorgen für Wirtschaftswachstum und Innovationen.

Privatwirtschaft steht für etwa 90 Prozent der Investitionen

Klingbeil irrt jedoch, wenn er der Ansicht ist, dass diese Investitionen vorrangig in die Zuständigkeit (s)eines Ministeriums fallen. Im vergangenen Jahr wurden in Deutschland 900 Milliarden Euro investiert; daran war der Staat lediglich mit 127 Milliarden Euro beteiligt. Für nahezu 90 Prozent zeichnete die Privatwirtschaft verantwortlich, also Unternehmer und Manager, die an die Zukunft des Standorts glauben und in Deutschland Gewinne machen wollen.

Selbst für den hypothetischen Fall, dass die von den Zwängen der Schuldenbremse weitgehend befreiten öffentlichen Hände ihre Investitionen um 50 Prozent steigern würden, wäre die Wirtschaftsleistung gerade einmal 1,5 Prozent höher, wie ein Blick in die Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen zeigt.

Zweifellos zutreffend ist, dass jede Investition das Bruttoinlandsprodukt erhöht. Doch ob deshalb die aus dem Ruder gelaufenen Kosten beim Bau des Berliner Flughafens oder des Bahnhofs „Stuttgart 21“ als gesamtwirtschaftlich positiv zu werten sind, ist fraglich. Auch der Abriss eines funktionierenden Atomkraftwerks, das durch einen neuen Windpark ersetzt wird, erhöht die gesamtwirtschaftliche Leistung, nicht jedoch die Produktionskapazitäten der Volkswirtschaft.

Simulationsrechnungen des Sachverständigenrats zeigen, dass die geplanten neuen Schulden für Rüstung und Infrastruktur je nach Verwendung eine zusätzliche Wirtschaftsleistung in der Spannbreite zwischen nur 250 Milliarden Euro und 580 Milliarden Euro generieren können.

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Hinzu kommt, dass viele öffentliche Investitionen wie etwa modernisierte Universitätsgebäude oder neue Forschungslabore ohne qualifiziertes Personal weitgehend nutzlos sind. Warum ein neuer Uni-Campus eine zukunftsorientierte Investition, neue Wissenschaftlerstellen hingegen weniger zukunftsträchtiger Staatskonsum sein sollen, ist eine wenig überzeugende Konvention.

Oft übersehen wird zudem, dass staatliche Investitionen meist Folgekosten für Unterhalt und Instandhaltung nach sich ziehen, also Ausgaben, die zum Staatskonsum zählen. Insofern ist ein Blick allein auf das Investitionsbudget des Staates nur begrenzt aussagekräftig.

Die deutsche Wirtschaft muss Impulse setzen

Soll die deutsche Volkswirtschaft zur wirtschaftlichen Stärke zurückfinden, so müssen die erforderlichen Impulse vorrangig von der Privatwirtschaft kommen. Nur wenn wieder mehr Unternehmen ihre hiesigen Produktionskapazitäten erweitern und produktive, gutbezahlte Arbeitsplätze schaffen, kann die seit Jahren stagnierende Volkswirtschaft auf einen höheren Wachstumspfad gelangen.

Dieser Glaube fehlt seit geraumer Zeit. Im vergangenen Jahr wurde real weniger investiert als 2017. Die Bauinvestitionen waren 2024 real 13 Prozent niedriger als im Rekordjahr 2020, die Ausrüstungsinvestitionen lagen elf Prozent unter dem Rekordniveau von 2019.

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Die derzeitige Investitionszurückhaltung hat mehrere Ursachen: Die einst dynamisch wachsende Automobilindustrie leidet unter strukturellen Problemen. Der Bauwirtschaft machen rasant steigende Zinsen und Materialkosten zu schaffen. Hohe Unternehmenssteuern und Energiepreise sowie die gesamtwirtschaftliche Stagnation führen dazu, dass viele Investitionen auf dynamischeren Märkten, also im Ausland, getätigt werden.

Darüber hinaus klagen viele Unternehmen über markant wachsende bürokratische Auflagen und komplexe Genehmigungsverfahren. Und in jüngster Zeit führte die erratische Handelspolitik der USA zu wachsender Verunsicherung.

Die Bundesregierung ist mit dem Versprechen angetreten, die Wirtschaft von Ballast zu befreien, die Strompreise zu senken und einen „Investitionsbooster“ zu zünden, der befristete degressive Abschreibungen in Höhe von jährlich 30 Prozent für Ausrüstungsinvestitionen vorsieht.

Baustelle in Berlin: Investitionen sollen der Wirtschaft zum Aufschwung verhelfen. Foto: Soeren Stache/dpa

Diese Maßnahmen sind zweifellos richtig. Doch erfahrungsgemäß schwindet die bekundete Bereitschaft zum Bürokratieabbau, sobald es um Details geht – denn jede Vorschrift hat ihre eigene Lobby. Und im Bundesrat ist es mittlerweile gängige Praxis, dass die Länder Steuerentlastungen aller Art blockieren, sofern sie nicht für etwaige Einnahmeausfälle vom Bund kompensiert werden.

Nicht zu übersehen ist zudem, dass diesen Entlastungen erhebliche Belastungen für die Wirtschaft gegenüberstehen. Ein Plan zur Begrenzung der ungebrochenen Ausgabendynamik bei den gesetzlichen Krankenkassen sowie der Pflegeversicherung existiert nicht. Und die Rentenpläne werden die Beitragssätze markant ansteigen lassen. Zudem ist eine kräftige Anhebung des Mindestlohns geplant. Kurzum: Die Arbeitskosten werden weiter steigen.

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Gleichzeitig sehen sich potenzielle Investoren mit zunehmendem Personalmangel konfrontiert. Die geburtenstarken Jahrgänge scheiden jetzt sukzessive aus dem Erwerbsleben aus und werden durch deutlich kleinere Kohorten ersetzt. Dies zu kompensieren würde eine jährliche Zuwanderung von 400.000 Fachkräften erfordern – was angesichts der aufgeheizten Stimmung in Teilen Deutschlands illusorisch ist. Vielerorts ist in Vergessenheit geraten, dass es das „Wirtschaftswunder“ der alten Bundesrepublik ohne „Gastarbeiter“ wohl nicht gegeben hätte.

Ein erster, einfacher und kostenloser Schritt

Sicher, es gibt nicht die eine Maßnahme, die Deutschlands Wirtschaft wieder auf einen höheren Wachstumspfad bringen könnte. Vor etwa einem Viertel Jahrhundert, als Deutschland schon einmal als „kranker Mann des Euro“ galt, veröffentlichte der Sachverständigenrat sein Gutachten „Zwanzig Punkte für Beschäftigung und Wachstum“. Vieles davon mutet heute noch erstaunlich aktuell an. Vielleicht sollten sich die Parteivorsitzenden von Union und SPD einen Tag Auszeit nehmen und diese Zeit zur Lektüre nutzen.

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Ein erster, einfacher und kostenloser Schritt für einen Turnaround wäre, vor der Verabschiedung jedes neuen Gesetzes eine Prüfung vorzuschalten, ob und wie stark davon die Wachstumsdynamik beeinflusst wird. Ansatzpunkte könnten die Kostenschätzungen sein, die Teil jedes einschlägigen Gesetzentwurfs sind. So würde transparent, dass sich nur wenige wirtschaftspolitische Maßnahmen auch nur halbwegs selbst finanzieren, während die mit vielen Reformen verbundenen gesamtwirtschaftlichen Kosten meist keinen Eingang in die parlamentarische Debatte finden.

Höhere staatliche kreditfinanzierte Ausgaben werden nicht ausreichen, um die deutsche Volkswirtschaft auf einen höheren Wachstumspfad zu bringen. Das Investitionsprogramm muss von einem grundlegenden Mentalitätswandel flankiert werden.

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