Editorial: Das alarmierende Misstrauensvotum der Industrie


In etwas ruhigeren Zeiten ließe sich das Chaos um den Gesetzentwurf zum künftigen Wehrdienst als gewöhnlicher Streit in einer demokratischen Auseinandersetzung verbuchen. Man könnte sagen, am Ende, wenn das Gesetz verabschiedet ist, werde sich sowieso niemand mehr an das Gerangel im Vorfeld erinnern. So oder ähnlich versucht die SPD, die jüngste Peinlichkeit der schwarz-roten Koalition herunterzuspielen.
Und, ja, etwas Wahres ist dran: Wer jeden Streit, jedes Verhaken, jede Blockade einer Regierungskoalition skandalisiert, wie es mit Verweis auf das Ampel-Ende derzeit immer wieder geschieht, schadet dem Ansehen der Demokratie, die eben vom Streit lebt.
Doch der Vorfall diese Woche war mehr als ein gewöhnliches Politscharmützel. Nachdem die Fraktionsvorsitzenden von Union und SPD der Öffentlichkeit ihre Einigung über die personelle Aufstockung der Bundeswehr verkündeten, sagten sie die geplante Pressekonferenz kurz darauf ab – weil es plötzlich doch keine Einigung mehr gab.
Es war ein Moment, der das Unvermögen dieser Koalition offenlegte, in für das Land existenziellen Fragen entschlossen zu handeln. Er zeigte, wie schwer sich diese Regierung tut, Führung zu zeigen – in einer Zeit, in der es wie selten zuvor auf Klarheit und Tempo ankommt. Langsamkeit kann sich Deutschland derzeit absolut nicht leisten, auch über die Verteidigungspolitik hinaus: Der wirtschaftliche Abstiegssog muss gestoppt werden, es geht dabei ja auch um Psychologie, um Stimmung.
Die Industrie hat ihre Hoffnung bereits weitgehend aufgegeben, wie eine Allensbach-Umfrage zeigt, die wir in dieser Woche exklusiv im Handelsblatt veröffentlicht haben. Das Ergebnis ist alarmierend: 51 Prozent der Unternehmen erwarten, dass ihr Geschäft in den kommenden zwölf Monaten stagniert oder sich verschlechtert. Mehr als jeder zweite Maschinenbauer glaubt, die Technologieführerschaft an ausländische Wettbewerber zu verlieren. 94 Prozent der energieintensiven Firmen befürchten eine Abwanderung aus Deutschland.
Misstrauensvotum gegen Kanzler und Koalition
Diese Zahlen sind nicht nur Ausdruck einer entmutigten Branche – sie sind auch ein Misstrauensvotum gegen den Kanzler und eine Koalition, in die vor einem halben Jahr die Wirtschaft noch sehr große Hoffnungen setzte.
Natürlich trägt die Industrie auch selbst Verantwortung für ihren Zustand. Viele Unternehmen haben sich zu lange auf alten Erfolgen einer exportorientierten Volkswirtschaft ausgeruht und die schmerzhafte Transformation gescheut, die ihre Zukunft sichern könnte. Wie das gelingen kann, zeigen wir in unserer Titelgeschichte. Doch so wichtig die Selbstveränderung der Unternehmen ist – ebenso entscheidend ist, dass sich die politischen Rahmenbedingungen verändern, schnell und radikal.

Es ist ja nicht so, dass die Regierung nichts voranbringen würde. Allein in dieser Woche hat das Kabinett ein Sparpaket für das Gesundheitssystem beschlossen, die Aktivrente angeschoben und Steuererleichterungen für Elektroautos verabschiedet. Das Bürgergeld wurde in einem ersten Schritt reformiert, der Digitalminister arbeitet an einem Verfahren, mit dem Firmen rein digital und binnen Stunden gegründet werden können. Es gibt sie also, die Tatkraft.
Doch die wichtigen, aber kleinen Schritte reichen nicht aus. Viele nehmen deshalb die Gegenwart als bleiern wahr, viele warten auf das Startsignal der großen Investitionsoffensive. Sie wollen wissen, wohin das viele Geld aus dem 500-Milliarden-Euro-Infrastrukturpaket konkret fließt, etwa um daraus unternehmerische Schlüsse zu ziehen. Ein Manager sagte mir kürzlich: Es sei, als warte die Wirtschaft darauf, dass die Politik endlich den Startknopf drückt. Und die Politik warte auf die Wirtschaft, dass sie mit dem Investieren beginne. Aus beiderseitigem Warten aber entsteht kein Aufbruch.
Ähnlich verhält es sich mit Europa. Während die USA und China die Welt mit Strafzöllen und Exportbeschränkungen unter Druck setzen, verheddert sich die EU in ihren Abhängigkeiten – und verharrt im Abwarten. Dabei hätte sie die Macht, eigene rote Linien zu ziehen.
China habe sich durch seine exzessive Subventionspolitik in eine Sackgasse manövriert, ein erheblicher Teil der chinesischen Industrie habe sich von europäischer Nachfrage abhängig gemacht, sagte der Ökonom Rolf Langhammer in unserem Podcast „Today“. Europa könnte das als Druckmittel nutzen, um Peking zum Einlenken zu bewegen – etwa bei seltenen Erden. Doch statt Selbstbewusstsein herrscht auch hier eher Lähmung.

Neulich hörte ich den Podcast von OMR-Gründer Philipp Westermeyer. Er sprach mit Daniel Metzler, einem der drei Gründer des Münchener Raketen-Start-ups Isar Aerospace, über das auch wir regelmäßig und sehr intensiv berichten.
Metzler hat geschafft, wovon viele nur träumen: vom Studenten an der TU München zum Gründer eines milliardenbewerteten Raumfahrtunternehmens. Er könnte nun, da die Finanzierung seines Start-ups auch dank staatlicher Milliarden auf Jahre gesichert sein dürfte, seinen Erfolg genießen. Doch Metzlers Energie ist ungebrochen, ebenso sein Mut, alles daranzusetzen, den nächsten Schritt seines Traums zu gehen. Sein Ziel: die Vervierzigfachung der Produktion und europäische Raketenstarts in Serie.






Schon vor einem Jahr sagte Metzler im Gespräch mit meinem Kollegen, Chefredakteur Sebastian Matthes, auf einer Innovationskonferenz des Handelsblatts: „Das größte Problem ist, es gibt keine Vision. Wo möchte Deutschland in 20 Jahren stehen?“ Und jetzt, im Podcast, sagte er, den Menschen sei in den letzten Jahren das Mindset verloren gegangen, „dass man alles schaffen kann“.
Es wäre großartig, wenn dieses Mindset zurückkäme – in die Unternehmen. Und in die Politik.





