Kommentar: Autobauer werden noch abhängiger von China

Auf dem US-Markt wird die Industrie in den kommenden Monaten vor allem Autoschlüssel einsammeln, in China hingegen Cash.
Erst Volkswagen, jetzt Daimler und demnächst womöglich auch BMW. Reihenweise kassieren die Autohersteller ihre Jahresprognosen. Kein Wunder: Erst standen die Bänder in China, dann in Europa und den USA still.
Noch kann niemand den durch die Coronakrise auflaufenden Schaden abschätzen. Schon ruft der VW-Konzern nach Kaufprämien für Neuwagen, flankiert von Gewerkschaften und jenen Ministerpräsidenten, die um das Wohl der Schlüsselindustrie in ihrem Lande bangen. Wer in Kurzarbeit steckt und um seinen Job fürchtet, der wird vorerst wohl kein Auto kaufen.
Die Produktions- und Absatzausfälle wiegen schwer. Nun kommt aber ein zweites Problem auf die Konzerne zu. In den Bilanzen der deutschen Autoindustrie stehen Milliarden an Leasing- und Kreditverträgen, die mit zunehmender Dauer der Krise unter Druck geraten. Alleine Daimler musste in diesem Quartal 400 Millionen Euro Risikovorsorge für die womöglich platzenden Finanzierungen aufwenden. Wenn es schlecht läuft, dann sehen wir hier die Spitze eines Eisbergs.
Fast jedes zweite Auto, das die Autohersteller verkaufen, wird finanziert, meist von den hauseigenen Banken. Damit ist die Autobranche zentraler Bestandteil der globalen Schuldenwirtschaft, vor allem in den USA. Nirgendwo sonst wird mehr auf Pump gefahren als im Land der scheinbar unbegrenzten Kreditmöglichkeiten.
Amerikaner sparen nicht auf ein Auto, sie unterschreiben einen Leasingvertrag, dessen Rate am Ende des Monats aus dem laufenden Einkommen beglichen wird. Anders als in Europa übernehmen die Hersteller in der Regel auch das Restwertrisiko, wenn das Auto am Ende der Leasinglaufzeit weitervermarktet wird.
In den vergangenen zehn Jahren war das dank der niedrigen Zinsen ein gutes Geschäft. Die Autokonzerne finanzierten dem Verbraucher ein Auto und freuten sich über einen monatlich gut kalkulierbaren Cash-Flow. So wurde für viele Kunden aus einem Kleinwagen ein SUV. So haben nicht nur Ford, Toyota und GM ihren Absatz hochgetrieben sondern auch Daimler, BMW und der VW-Konzern.
Schnellerer Absturz als in der Finanzkrise
Ende 2019 hat sich das Kreditvolumen für Autokäufe laut US-Notenbank auf auf 1,3 Billionen Dollar aufgebläht, das ist so viel wie vor der Finanzkrise 2008. Doch so lange der Arbeitsmarkt funktionierte und die Kredit- und Leasingnehmer ihre Raten abstottern konnten, drehte sich dieses Rad immer schneller. Damit ist es für viele Menschen nun vorbei. Seit Ausbruch der Coronakrise haben sich 26 Millionen Amerikaner arbeitslos gemeldet – ein Absturz schneller und tiefer als in der Finanzkrise vor einem Jahrzehnt.
Wenn diese Menschen nicht bald wieder Arbeit finden, wird es die Autoindustrie doppelt treffen. Neben den geplatzten Kreditverträgen bleiben die Autohersteller dann auf den Gebrauchtwagen sitzen, die ihnen ihre Kunden in immer größerer Zahl auf den Hof stellen. Bei BMW sind die Erinnerungen an die letzte geplatzte Blase noch schmerzlich. In der Finanzkrise musste der Konzern auf Kreditausfälle und Leasingrückläufer auf dem US-Markt rund zwei Milliarden Euro abschreiben. Wie sorgfältig die Konzerne dieses Mal kalkuliert haben, ist offen.
Während der kreditfinanzierte US-Markt wie ein Kartenhaus zusammenzubrechen droht, strahlt China umso heller. Das Riesenreich hat die USA als weltgrößter Absatzmarkt in den letzten zehn Jahren abgelöst. Die Tatsche, dass in Fernost die Coronakrise vorerst überstanden ist, lässt manchen Automanager ruhiger schlafen. Schon jetzt hat der chinesische Markt das alte Niveau fast wieder erreicht. Und anders als die meisten Amerikaner zahlen die Chinesen ihre Autos weitgehend in bar.
Wenn die Kreditblase in den USA platzt, wird der Markt dort lange am Boden bleiben. Für China gilt das nicht. So hat die deutsche Autoindustrie selbst im Shutdown der vergangenen Wochen ihre Komponentenwerke in Deutschland weiterlaufen lassen, um die Werke in China mit Teilen zu versorgen. Wenn VW, Daimler und BMW in ihren deutschen Fabriken wieder Autos bauen, dann geht ein Teil gleich nach Fernost.
Und auch die US-Fabriken der Deutschen sollen vor allem deshalb wieder produzieren, weil die Masse der dort gebauten Geländewagen gleich Richtung Shanghai und Peking verschifft wird.
Krisen verschieben die Kräfte. Schon vor Corona war für die Autoindustrie das Geschäft in China sehr lukrativ, auch weil ausländische Autohersteller zunehmend von der Pflicht entbunden werden, in Joint Ventures mit einem chinesischen Partner arbeiten zu müssen.
Mit BMW wurde dem ersten Autokonzern die Mehrheitsübernahme bereits genehmigt. Daimler und der VW-Konzern wollen lieber heute als morgen nachziehen und ihre Produktion in Fernost erhöhen. Das wird sich nun beschleunigen. Denn auf dem US-Markt wird die Industrie in den kommenden Monaten vor allem Autoschlüssel einsammeln, in China hingegen Cash.
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