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Kommentar – Der ChefökonomBedeutet KI das Ende der Vollbeschäftigung?

Künstliche Intelligenz wird große Teile des Arbeitsmarkts verändern. Viele Beschäftigte fürchten um ihren Arbeitsplatz. Individuell ist das verständlich, gesamtwirtschaftlich jedoch wenig begründet.Bert Rürup 16.06.2023 - 04:00 Uhr
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Seit dem Start von ChatGPT ist der jüngste technologische Sprung in aller Munde.

Foto: dpa

Deutsche gelten als skeptisch gegenüber neuer Technik. So hatte vor 50 Jahren, am Vorabend der Automatisierung, der damalige Bundesarbeitsminister Herbert Ehrenberg gar über eine „Maschinensteuer“ als Ersatz für die Arbeitgeberanteile an den Sozialbeiträgen nachgedacht.

Heute, in der Frühphase des Einsatzes von Künstlicher Intelligenz (KI), ist diese Skepsis, wenn nicht Angst, wieder zu spüren. Fast 40 Prozent der jüngst von der Beratungsgesellschaft BCG befragten Deutschen gaben an, dass ihre Arbeit künftig von KI erledigt werden könnte und ihr Arbeitsplatz mutmaßlich bald nicht mehr existieren werde.

Seit dem Start von ChatGPT (Chatbot Generative Pre-trained Transformers) ist dieser jüngste technologische Sprung in aller Munde – nicht wenige Kommentatoren fragen, ob gerade in den entwickelten Industrieländern bald die Lichter in vielen Büros ausgehen werden.

Richtig ist, dass KI-Systeme viele Arbeitsprozesse in der Verwaltung und zunehmend auch im kreativen Bereich schneller und oft auch besser erledigen können. Menschliche Arbeitskraft könnte also eingespart werden – angesichts des bevorstehenden Alterungsschubs keine ausschließlich schlechte Nachricht.

Dies alles hört sich aus Sicht der Beschäftigten beängstigend an. Und meine Prognose lautet, dass KI mittelfristig mutmaßlich sogar mehr als 40 Prozent der bestehenden Arbeitsplätze so stark tangieren wird, dass – wenn sie nicht verschwinden – sie bald kaum noch wiederzuerkennen sein werden. Das ist aber nichts Neues. Man denke nur daran, wie sich als Folge des technischen Fortschritts etwa der Beruf des Kfz-Mechanikers, des Bankangestellten, des Versicherungsmaklers ja sogar des Chirurgen in den vergangenen Jahrzehnten gewandelt hat – ohne dass diese Berufe verschwunden oder weniger wichtig geworden sind.

Arbeit geht nicht aus – trotz Digitalisierung

Im Jahr 1930 prognostizierte der britische Jahrhundert-Ökonom John Maynard Keynes, dass in 100 Jahren, also 2030, Maschinen einen Großteil der menschlichen Arbeit erledigen würden, sodass dank des technischen Fortschritts die Menschen nur noch 15 Stunden pro Woche arbeiten würden – und irrte damit gewaltig. „Seit vielen Jahren wird beschworen, dass uns mit der Digitalisierung die Arbeit ausgeht“, betonte DGB-Chefin Yasmin Fahimi und fügte zu Recht hinzu: „Das ist offensichtlich Quatsch.“

Valide Untersuchungen darüber, wie viele Arbeitsplätze von KI bedroht sind, gibt es bislang nicht. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) untersucht aber seit geraumer Zeit das Digitalisierungs- und Automatisierungspotenzial der etablierten Berufe.

Danach arbeitet hierzulande gut ein Drittel aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in einem Beruf mit hohem „Substituierbarkeitspotenzial“ – geht also Tätigkeiten nach, die automatisiert werden könnten.

Das mag zutreffen, ist aber nur die halbe Wahrheit. Denn nicht weniger wichtig wäre es, eine Vorstellung davon zu haben, wie viele neue Berufe und Arbeitsplätze durch Innovationsschübe entstanden sind und vor allem in Zukunft entstehen dürften.

>> Lesen Sie hier: Wie der KI-Boom die Geldpolitik in den USA stört

Als vor 25 Jahren der heutige Tech-Gigant Google ins Handelsregister eingetragen wurde, hätten wohl selbst die Gründer nicht zu träumen gewagt, welch Job-Maschine sich daraus entwickeln würde – und zwar nicht nur bei Google selbst.

KI hat Potenzial, Wachstumsschub auszulösen

Nun muss sich Geschichte keineswegs wiederholen. Fakt ist jedoch, dass infolge der großen technologischen Umbrüche in den vergangenen 250 Jahren die Arbeitslosigkeit allenfalls vorübergehend gestiegen ist. Insgesamt haben die durch technologische Schübe ausgelösten Wachstumsimpulse mehr neue Arbeitsplätze entstehen lassen, als bestehende wegrationalisiert wurden.

Viele Berufe haben sich durch technologischen Fortschritt gewandelt, sind aber nicht verschwunden.

Foto: imago/Rainer Weisflog

Künstliche Intelligenz – das Zusammenspiel von hohen Rechnerleistungen, dem Zugriff auf große Datenmengen und Algorithmen – hat zweifellos das Potenzial, einen neuen Wachstumsschub auszulösen. So generiert ChatGPT ungemein schnell Texte zu Sachverhalten, die den von Menschen erstellten Analysen und Auswertungen sehr ähnlich sind – aber komplett anders entstanden sind.

„Es werden Zeichenketten generiert, in denen mit einer Prise Zufall die nächsten Zeichen nach einer Wahrscheinlichkeitsverteilung ausgewählt werden“, beschreibt der KI-Experte Jakob Uszkoreit im „FAZ“-Interview den Prozess. „Und am Ende kommt etwas heraus, das aussieht wie ein Text, der einem Menschen eine enorme Denkleistung abverlangen würde.“

Solche KI-Modelle können kein wirklich neues Wissen erzeugen, aber sie können schnell auf das im Internet verfügbare Wissen zugreifen und sind damit prädestiniert, Recherche- und Routinetätigkeiten zu übernehmen.

Damit schafft diese Technologie Raum dafür, dass sich Erwerbstätige auf höherwertige Tätigkeiten konzentrieren können. Sie werden mehr Zeit für Aufgaben haben, bei denen menschliche Intelligenz und Urteilsvermögen gefragt sind.

>> Lesen Sie hier: OpenAI erweitert KI-Funktionen und senkt Preise deutlich

Viele Berufsbilder werden sich rasant verändern, manche Unternehmen werden verschwinden. Solche schöpferische Zerstörung ist stets Teil einer dynamischen Marktwirtschaft. Wie in der Vergangenheit wird es auch Berufe geben, die von den anstehenden technologischen Umbrüchen vergleichsweise wenig betroffen sein dürften – wie etwa Pflegekräfte in Altersheimen und Krankenhäusern, Betreuer/innen in Kindergärten, in der Gastronomie Beschäftigte oder auch Handwerker.

Technologische Abhängigkeit als Gefahr

Zum größeren Problem für die deutsche Wirtschaft und Gesellschaft könnte werden, erneut in Abhängigkeit von US-amerikanischen oder auch chinesischen Technologiekonzernen zu geraten.

Zwar stammen viele Grundlagen der heutigen KI aus Deutschland. ChatGPT basiert auf Forschungsergebnissen, die in den frühen 1990er-Jahren an der TU München vom deutschen KI-Pionier Jürgen Schmidhuber erdacht wurden.

Allerdings war seinerzeit Rechenzeit sehr viel teurer als heute, sodass diese Netze ihrer Zeit zu weit voraus und faktisch nicht nutzbar waren. Doch während in Europa über mögliche Regeln und Datenschutzprobleme solcher Konzepte diskutiert wird, sind in den USA und China diese Ideen mittlerweile kommerzialisiert und Milliarden Menschen verfügbar gemacht worden.

Die Amerikaner haben die schnellsten Prozessoren und die besten Forschungseinrichtungen, und die Chinesen verfügen über die größte Masse an Daten, haben die geringsten Skrupel bei der Auswertung und das höchste Tempo bei der Implementation von Neuerungen. Europa wird es deshalb sehr schwer haben, Anschluss zu halten.

Deshalb mahnt Schmidhuber heute, die „Open Source“-Bewegung zu unterstützen. Den „immer noch in großer Zahl vorhandenen brillanten KI-Studenten“ sollte durch Subventionierung von Rechenzeit die Möglichkeit verschafft werden, existierende Modelle zu verbessern und neue zu entwickeln. „Ich kann nur hoffen, dass Deutschland und die EU sich nicht in Überregulierung verstricken.“ Vermutlich würde dies für den alten Kontinent Europa den sicheren Abstieg in die Zweitklassigkeit bedeuten.

Prof. Bert Rürup ist Präsident des Handelsblatt Research Institute (HRI) und Chefökonom des Handelsblatts. Er war viele Jahre Mitglied und Vorsitzender des Sachverständigenrats sowie Berater mehrerer Bundesregierungen und ausländischer Regierungen. Mehr zu seiner Arbeit und seinem Team unter research.handelsblatt.com.

Foto: Handelsblatt

Ein erfolgversprechender Schritt könnte es zudem sein, in Europa vorhandene KI-taugliche Daten zu bündeln und der Wirtschaft bereitzustellen, so wie dies mit anderer Infrastruktur geschieht.

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>> Lesen Sie hier: „Für Chinesen ist ein Auto ein Computer auf Rädern“ – Ein Interview

Diese Daten könnten die Basis für spezifische, rechtskonforme und wettbewerbsfähige europäische KI-Systeme für Unternehmen oder ganze Branchen bilden. Die europäische Wirtschaft als Ganzes würde profitieren, sodass nicht nur bestehende Arbeitsplätze gesichert würden, sondern auch neue entstehen könnten.

Mehr: Bremst der AI Act die KI-Entwicklung in Europa?

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