Kommentar: Deutschland braucht Reformen – doch die Parteien drücken sich


Die deutsche Wirtschaft steckt in der Rezession. Europa konkurriert mit den beiden Großmächten China und USA und fällt wegen der Bundesrepublik in wichtigen internationalen Rankings zurück. Wie kann sich Deutschland dagegenstemmen? Wie kommen wir aus diesem Zustand zwischen Titanic und Planwirtschaft 2.0 heraus? Im Bundestagswahlkampf gibt es zahlreiche Konzepte und Ideen aus Wirtschaft und Politik.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kann sich einen „Made in Germany“-Bonus für Unternehmen vorstellen. Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck hat nun vorgeschlagen, Sozialabgaben auf Kapitalerträge einzuführen. AfD-Chefin Alice Weidel will alle Windräder abreißen lassen. Und Allianz-Chef Oliver Bäte sprach im Handelsblatt-Interview über die Einführung eines Karenztags.
Ob diese und weitere Vorschläge etwas taugen oder nur die eigene Klientel befriedigen sollen, kommentieren ab sofort sechs renommierte Ökonominnen und Ökonomen in unserer neu aufgestellten Reihe „Homo oeconomicus“. Sachlich, kenntnisreich, aber auch mit spitzer Feder unterziehen Veronika Grimm, Monika Schnitzer, Dominika Langenmayr, Michael Hüther, Jens Südekum und Clemens Fuest künftig alle Vorschläge einem Realitätscheck.
Die Vehemenz, mit der sich SPD und CDU dagegenstürzten – Bundeskanzler Scholz verspottete ihn als „absurde Idee“ –, gibt einen Vorgeschmack darauf, wie es um die Reformfähigkeit des Landes bestellt ist. Wenn schon ein Karenztag Schnappatmung auslöst, wie soll dann der notwendige Umbau der sozialen Sicherungssysteme gelingen?
Die Politik ist zu feige, Prioritäten zu setzen
Was im Wahlkampf bisher auffällt: Ob Scholz oder Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz – keiner traut sich mehr, das R-Wort in den Mund zu nehmen.
Wer es vergessen hat: Das R-Wort steht für Reform und wurde in den vergangenen Jahren durch so wohlklingende Worte wie Wünsche, Nachsteuerungen oder Gesetzesanpassungen ersetzt.
Die Politik, schon gar nicht im Wahlkampf, traut sich mit Ausnahme von FDP-Chef Christian Lindner nicht mehr, mit den Bürgerinnen und Bürger offen über wirtschaftliche Zumutungen zu sprechen.
Oder, wie der Kanzler immer wieder betont, er lasse die Hilfe für die Ukraine nicht gegen die Rente ausspielen. Für Olaf Scholz ist alles finanzierbar. Mit anderen Worten: Die Politik ist zu feige, Prioritäten zu setzen. Ein Schuldenstaat ist die Folge.
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IW-Chef Michael Hüther sieht jedenfalls keinen Spielraum für Steuersenkungen. Vor allem die Ankündigungen von Union, FDP und AfD „widersprechen den Grundrechenarten“, sagte er kürzlich. Vor dem Hintergrund der Schuldenbremse seien diese Pläne nicht darstellbar.
Ein Blick auf die Wahlplakate der Parteien: Da ist viel von Zukunft die Rede, aber nicht von Reformen oder anderen unbequemen Wahrheiten. Aber jeder Bürger setzt Prioritäten, das macht er intuitiv, wenn er zum Beispiel eine größere Anschaffung wie ein Auto tätigt. Dann spart er an anderer Stelle. Mehr geht nicht, wenn er sich nicht verschulden will. Bürger und Unternehmer können die Wahrheit übrigens gut vertragen. Sie wollen nur verlässlich wissen, woran sie sind.

Über die Notwendigkeit niedrigerer Steuern und Energiepreise für die deutsche Wirtschaft hat auch die Wirtschaftsweise Veronika Grimm viel geschrieben. Vor allem die Einsicht bei den Energiepreisen ist bei fast allen Parteien angekommen.
Vier entscheidende Punkte in der Wirtschaftspolitik
Viel entscheidender ist aber das grundsätzliche Denken über Wirtschaftspolitik – und dabei gibt es vier Punkte.
Die Wirtschaftslage kommentieren ab sofort die sechs Top-Ökonomen – dabei bekommen Handelsblatt-Leser spannende Einsichten und manchmal auch überraschende Meinungen.





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Erstpublikation: 14.01.2025, 07:25 Uhr.







