Kommentar Die Autoindustrie hat krisenanfällige Schönwetter-Lieferketten

Die Sorge war groß, dass Grenzkontrollen zu Tschechien die Autoproduktion beeinträchtigen könnte.
Was war die Aufregung groß Anfang der Woche. Die verschärften Grenzkontrollen an der tschechischen Grenze würden die Autoproduktion gefährden, polterte der Automobilverband VDA. Kurze Zeit nach dem Chipdebakel sahen sich die Lieferketten-Manager der Autoindustrie der nächsten Stresssituation ausgesetzt.
Passiert ist dann am Ende so gut wie nichts. Verschärfte Grenzkontrollen können den Lieferketten glücklicherweise nicht so viel anhaben wie befürchtet.
Doch die Warnungen des VDA offenbaren, dass die Autoindustrie offenbar mit Schönwetter-Lieferketten hantiert. Sie sind zu stark durchoptimiert und drohen selbst bei kleinsten Erschütterungen zu reißen. Bereits wenige Stunden ohne frische Komponenten reichen aus, um die reibungslose Autoproduktion zu gefährden.
Der Autoindustrie ist es nach den Lockdown-Erfahrungen im Frühjahr 2020 anscheinend nicht in den Sinn gekommen, die internen Einkaufs- und Lieferprozesse zu hinterfragen. Denn noch immer verweisen Automanager gerne auf das goldene Dezennium zwischen 2008 und 2018, als die Autoindustrie nahezu vollständig von Krisen verschont blieb.
In dieser Zeit hätten die Lieferketten einwandfrei funktioniert, sagen sie. Doch Lieferketten, die Krisenszenarien ausblenden, werden im Ernstfall nutzlos.
Übertriebene Optimierung
Viele Lieferketten-Experten sagen, dass es die Autoindustrie zu weit getrieben hat. Bestes Beispiel ist der aktuelle Chipmangel. Hier sind die Autobauer von einem oligopolistisch geprägten Markt abhängig. Weil es jahrelang nur darum ging, die Preise zu drücken, blieb vielen Lieferanten keine andere Wahl, als sich den wenigen großen Chip-Auftragsfertigern wie TSMC zuzuwenden. Nur sie sind in der Lage, in ihren gigantischen Fabriken in Südostasien über Skaleneffekte Chips zu so niedrigen Preisen herzustellen. Die Folge: totale Abhängigkeit.
Wenn Volkswagen nun ankündigt, den Halbleiter-Einkauf an den Zulieferern vorbei selbst in die Hand zu nehmen, dann spricht daraus die pure Verzweiflung. Denn VW ist auf TSMC angewiesen, TSMC aber nicht auf VW. Auf das margenschwache Geschäft mit Autochips kann der Chipfertiger aus Taiwan verzichten.
Die Lieferkette wiederum würde nochmals um mehrere Glieder verlängert. VW selbst kann mit den Chips nämlich nur wenig anfangen. Die Steuergeräte, die auf die Chips angewiesen sind, kommen von den Zulieferern. VW müsste die aus Asien gelieferten Chips also an seine Zulieferer weiterreichen. Die bauen daraus Steuergeräte und liefern diese wieder zurück an VW. Sinnvoll ist das nicht.
Die Autoindustrie wäre daher besser beraten, wenn sie sich um resiliente Lieferketten kümmern würde, statt sie noch komplexer zu machen.
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