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KommentarDie EU wagt mit dem CO2-Grenzausgleich ein tollkühnes Großexperiment

In der kommenden Woche geht ein neues klimapolitisches Programm der EU-Kommission in den Probebetrieb. Das System alarmiert schon jetzt unsere Handelspartner.Klaus Stratmann 26.09.2023 - 04:00 Uhr
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Die EU wird ab dem 1. Oktober Abgaben auf energieintensive Güter erheben, die aus Drittstaaten importiert werden.

Foto: dpa

Im Oktober startet die Europäische Union ein großes Experiment mit ungewissem Ausgang: Der CO2-Grenzausgleich, im Fachjargon Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM) genannt, wird am 1. Oktober eingeführt. Dann verlangt Brüssel umfassende Berichtspflichten zum CO2-Fußabdruck von Importeuren, die Eisen und Stahl, Eisenerz, Aluminium, Zement, Ammoniak, Kaliumnitrat, Wasserstoff und Elektrizität einführen wollen.

Ab dem Jahr 2026 dann wird der CO2-Grenzausgleich scharf gestellt: Es werden bei der Einfuhr von Produkten aus Nicht-EU-Staaten Abgaben erhoben. Die Höhe der Abgaben soll den Mehrkosten entsprechen, die europäische Hersteller aufgrund des europäischen Emissionshandels haben.

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Auf den ersten Blick erscheint das Projekt logisch und nachvollziehbar. Auf den zweiten Blick stellt man schnell fest: Es handelt sich um einen tiefen Einschnitt mit unabsehbaren Folgen.

Die EU-Kommission hat selbstverständlich ganze Arbeit geleistet. Sie hat ein neues System der Berichtspflichten entwickelt, bürokratisch und starr, mit einer Bagatellgrenze von – sage und schreibe – 150 Euro. Theoretisch sind nach jetzigem Stand auch Privatpersonen von der Berichtspflicht erfasst.

Die EU ist wild entschlossen, aber Partner und Konkurrenten ziehen nicht mit

Natürlich werden sich noch viele Ecken und Kanten abschleifen, die ersten gut zwei Jahre bis Ende 2025 sind ja schließlich eine Art Probelauf. Noch besteht also Hoffnung, dass am Ende vieles nicht so schlimm und ausufernd bürokratisch wird, wie es im Moment noch aussieht.

Viel schwerer aber wiegt, dass die EU zwar bereit ist, Detailaspekte noch anzupassen, aber wild entschlossen ist, das System durchzusetzen – koste es, was es wolle. Noch sind viele Grundsatzfragen aber nicht geklärt, etwa die Frage, ob Partner wie die USA oder strategische Konkurrenten wie China überhaupt dazu bereit sind, sich dem europäischen System unterzuordnen.

Die Volksrepublik hat bereits deutlich gemacht, dass man den EU-Vorstoß als handelspolitischen Trick wahrnimmt, gegen den man vorgehen will. Indien und Brasilien sind skeptisch, auch die USA fremdeln mit dem Plan der Europäer.

Der Klimaklub ist bislang nur eine leere Hülle

Zwar kann sich das alles noch ändern, schließlich treiben die Europäer, allen voran Bundeskanzler Olaf Scholz, die Klimaklub-Idee auf jedem Gipfeltreffen mit Staats- und Regierungschefs aus Nicht-EU-Staaten voran. Formal gibt es den Klimaklub sogar schon. Aber er ist im Moment nicht viel mehr als eine leere Hülle.

Scholz ist schon lange ein Verfechter der Klimaklub-Idee.

Foto: Reuters

Der Gedanke hinter der Klimaklub-Idee: Die dort zusammengeschlossenen Staaten sollen sich auf ein gemeinsames Ambitionsniveau im Klimaschutz verständigen – und möglichst gemeinsam das CBAM-Instrument nutzen. Ob das aber innerhalb der nächsten zwei Jahre gelingt, ist ungewiss.

Für Exporte gibt es keine überzeugende Regelung

Die EU hat den zweiten Schritt vor dem ersten gemacht. Denn es gibt zu dem Problem, dass nicht einmal Partner sich dem System unterordnen wollen, noch weitere wichtige Fragen, die ungeklärt sind. Zum Beispiel diese: Wie wird die Ausfuhr von Produkten aus der EU geschützt?

Ziel der EU ist es, die kostenlose Zuteilung von Emissionszertifikaten an Unternehmen, die im globalen Wettbewerb stehen, im Gegenzug zur CBAM-Einführung schrittweise auf null zu reduzieren. Die kostenlose Zuteilung ermöglicht es den Herstellern bislang, zumindest einen Teil ihrer CO2-Kosten auszugleichen, sodass sie überhaupt noch eine Chance haben, auf dem Weltmarkt anzutreten.

Was genau passieren soll, wenn die kostenlose Zuteilung innerhalb weniger Jahre wegfällt, ist ungewiss. Für Unternehmen mit langfristigen Investitionszyklen ist das eine Zumutung.

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Auch Verlagerungseffekte scheint die EU billigend in Kauf nehmen zu wollen. Die Gefahr ist völlig real. Ein Beispiel: Wenn Stahl aus Nicht-EU-Staaten mit einer Einfuhrabgabe belegt wird, verarbeitete Produkte aus Stahl aber nicht, wächst der Anreiz, die Weiterverarbeitung aus der EU in Regionen außerhalb der EU zu verlagern.

Das ist ein recht simpler und wohl bekannter Zusammenhang. Eine überzeugende Antwort darauf, wie man mit diesem Risiko umgeht, hat die EU bislang nicht gefunden.

Mit CBAM setzt sich fort, was die Europäer schon lange erfolglos praktizieren. Sie gehen mit gutem Beispiel voran und setzen darauf, dass andere ihnen nacheifern. Das ist aber mitnichten der Fall. Die geopolitische Lage ist inzwischen eine völlig andere, wie das jüngste Treffen der BRICS-Staaten in Südafrika gezeigt hat. Der globale Süden will sich nicht mehr vom Westen belehren lassen – und bündelt seine Kräfte, um eigene Interessen durchzusetzen.

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Woraus sich der Optimismus der CBAM-Apologeten speist, dass das System auf Akzeptanz stoßen wird, ist ein Rätsel. Das Gegenteil ist das wahrscheinlichere Szenario. Und so birgt der CO2-Grenzausgleich die Gefahr handelspolitischer Konflikte und einer Strangulierung der energieintensiven Industrie.

Und das in Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit und eines gerade in Deutschland hohen Energiepreisniveaus. Leichtfertiger lässt sich industrielle Substanz kaum aufs Spiel setzen.

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