Kommentar Die Realteilung von Oetker ist richtig: Was Familienunternehmen daraus lernen können

Bei Oetker hatten alle acht Kinder je 12,5 Prozent der Anteile erhalten.
Von Peter Zinkann, der vier Jahrzehnte die Geschicke des Hausgeräteherstellers Miele führte, ist der Satz überliefert: „Eine Familie in Frieden ist das größte Glück, eine Familie im Streit das größte Unglück eines Familienunternehmens.“
Und ein ungenannter Familienunternehmer fügte noch einen interessanten Gedanken hinzu: „Durch Streit in Familienunternehmen ist mehr Geld verbrannt worden als durch die Pandemie“ – ein großer Satz, der einen nachdenklich stimmen muss.
Die Frage, ob zuerst das Unternehmen oder zuerst die Familie kommt, ist bei Oetker nun beantwortet. Das Unternehmen, so groß es auch ist – 2017 waren es noch fast zwölf Milliarden Euro Umsatz, aktuell sind es noch 7,3 Milliarden Euro – konnte offenbar nicht weiter über der Familie stehen.
Sechs Lehren ergeben sich daraus für Familienunternehmen Oetker:
1. Lehre: Familie vor Unternehmen statt Unternehmen vor Familie
In fast allen der rund drei Millionen Familienunternehmen jeder Größenordnung sitzt das Unternehmen täglich mit am Abendbrottisch. Was lernten die Kinder meistens dabei? Das Unternehmen ist wichtiger als du! Der Fall Oetker aber zeigt, wie andere Realteilungen auch: Die Unternehmen stehen nicht mehr automatisch über der Familie.
Die Organisation Familienunternehmen hat nicht mehr die vereinende Kraft, auseinanderdriftende Interessen zusammenzubringen. Man darf schon ein wenig trauern, dass ein 130 Jahre bestehendes Familienunternehmen nun geteilt wird. Was früher als fatal galt, nämlich eine Aufspaltung, hat heute den Duktus des Versagens ein wenig verloren.
Aus heutiger Sicht kommt es vielleicht dann doch nicht immer nur auf die schiere Größe an, sondern auch auf Potenzial und Agilität. Dann kann man aus einem Familienunternehmen eben auch zwei machen. So haben es die Bahlsens, die Familie Herz und schon viel früher die Albrechts und die Dasslers gemacht.
2. Lehre: Auch eine Unternehmerfamilie ist eine Familie – mit Nebenwirkungen
Sehr viele Familienunternehmen wurden über Jahrzehnte von den Gründern an ihre meist erstgeborenen Söhne übergeben. Die anderen Familienmitglieder wurden bestenfalls ausgezahlt. Manchmal auch nicht. Diese Zeiten gehören der Vergangenheit an.
Kompliziert wird es nicht nur dann, wenn es mehrere Nachkommen gibt, sondern vor allem, wenn es auch mehrere Mütter gibt. Bei den Oetkers waren es insgesamt drei. Was heute vielleicht immer häufiger gut gelingt, eine Patchwork-Familie zu managen, war zu Zeiten Rudolf-August Oetkers weitaus weniger selbstverständlich.
Und wer Kinder hat, weiß um den Wettbewerb, dem sich Geschwister untereinander stellen. Wer ein bisschen Fantasie hat, kann sich die Konkurrenz unter Halbgeschwistern lebhaft vorstellen.
Bei Unternehmerfamilien kommt aber noch ein weiterer Faktor hinzu. Für alle Beteiligten – Eltern und Kinder – ist es schwer auseinanderzuhalten, ob man als Mensch oder als Nachfolger geschätzt wird. Das macht das Leben in einer Unternehmerfamilie komplizierter und die Protagonisten – vor allem in jungen Jahren – verletzlicher. Wunden aus dieser Zeit stehen oft sehr viel später wichtigen Entscheidungen im Wege.
3. Lehre: Die Zeit der Patriarchen ist vorbei
Schon seit einigen Jahren ist klar, dass die Patriarchendämmerung längst eingesetzt hat. Denn der Einfluss der Patriarchen reicht(e) oft weit über ihren Tod hinaus. Das ist aktuell nicht nur bei Oetker zu beobachten.
Rudolf-August Oetker starb 2007 im Alter von 90 Jahren – und letztlich geht es um sein Vermächtnis, das es seinen Kindern fast nicht möglich machte, gemeinsam zu agieren. Schaut man auf den früheren Knorr-Bremse-Haupteigner Heinz-Hermann Thiele so hat auch er bis zu seinem plötzlichen Tod nicht losgelassen. Er war bis zum Schluss in vielen Fragen die letzte Instanz.
Doch an der Spitze von immer mehr Familienunternehmen sitzt nicht mehr nur eine Person, sondern ein gemischtes Team. Nachfolge sollte und wird künftig immer häufiger eine Entscheidung mehrerer Personen und mehrerer Gremien sein.
4. Lehre: Eine Unternehmerfamilie muss immer handlungsfähig sein
Bei Oetker hatten alle acht Kinder je 12,5 Prozent der Anteile erhalten. Das klingt erst einmal gerecht. Zugleich aber hatte der Patriarch Rudolf-August Oetker bestimmt, dass seine drei jüngsten Kinder, die zusammen 37,5 Prozent halten, nicht überstimmt werden.
Diese Konstruktion war geeignet, Blockade und Streit statt Eintracht und Handlungsfähigkeit hervorzurufen. Das hat sicher niemand der Beteiligten, auch der Patriarch nicht, gewollt.
Doch wenn man Psychologen glauben darf, ist es sehr schwer, einem solchen System zu entkommen. Eine Teilung eines Unternehmens hingegen kann neue Systeme erzeugen. Die Protagonisten können angestammte Rollen verlassen, in neue eintauchen – und dann auch handeln.

Kein Unternehmen lässt sich wie ein Kuchen mit dem Messer exakt zerteilen.
5. Lehre: Liquidität für die Trennung ist notwendig
Kein Unternehmen lässt sich wie ein Kuchen mit dem Messer exakt zerteilen. Um Ungleichgewichte auszugleichen braucht es neben den Unternehmensteilen – bei Oetker sind es immerhin weit mehr als 400 – auch Liquidität, um eine Realteilung durchzusetzen.
Die Oetkers waren seit dem Verkauf der Reederei Hamburg Süd für 3,7 Milliarden Euro in der Lage, liquide Mittel in den Prozess mit einzubeziehen. Nach dem inzwischen rechtskräftigen Verkauf des Bankhaus Lampe noch mehr. Das hat auch bei der Trennung der Familie Herz geklappt, nach dem Verkauf von Reemtsma waren 5,5 Milliarden Euro in der Kasse.
6. Lehre: Ohne Familienverfassung sollte kein Familienunternehmen mehr wirtschaften
Um Streit zu vermeiden, gibt es nur einen Weg: Man muss schnellstmöglich mit Familie und Experten eine wirklich passende Familienverfassung entwickeln, die genau regelt, welche Kompetenzen an der Firmenspitze notwendig sind.
Sie muss auch eine Vision zeigen und erläutern, wie Werte im Unternehmen gelebt werden. Und sie sollte ausbaufähig sein. Zudem braucht es einen unabhängigen Beirat, der das Wohl des Unternehmens an die erste Stelle rückt.
Es lohnt sich für jede Unternehmerin und jeden Unternehmer, den persönlichen unternehmerischen Ausstieg zu planen. Immer mehr wollen es tun. Die Eigentümer der beiden neuen Oetker-Unternehmen jedenfalls haben jetzt die Chance, den unternehmerischen Anfang neu zu denken.
Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.