Kommentar: Die Ukraine muss Teil Europas werden – damit Putin scheitert


EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen Empfehlung für einen Beitritt der Ukraine hat historische Bedeutung.
Warum kämpft die Ukraine? Es ist wichtig, diese Frage, nach bald 650 Tagen Krieg gegen Russland, einmal mehr zu stellen. Warum opfern junge Frauen und Männer in schlammigen Schützengräben ihr Leben, statt zu studieren, Kinder großzuziehen oder Firmen zu gründen?
Die Antwort ist dieselbe wie zu Kriegsbeginn: Die Ukrainer wollen als freie Menschen leben, nicht unter russischer Knechtschaft. Die Ukraine ist das erste Land in der Geschichte des vereinten Europas, das Krieg führen muss, weil es Teil der EU werden will. Dies ist der Hintergrund, vor dem die 27 Mitglieder der Union in den kommenden Wochen darüber entscheiden müssen, ob die EU Beitrittsverhandlungen aufnimmt.
„Leistungsabhängig“ sei das Aufnahmeverfahren, heißt es in Brüssel nun, ein Verwaltungsprozess, der sich an objektiven Kriterien bemisst. Das ist Unsinn. Die Beitrittsperspektive ist ein geopolitisches Gestaltungsinstrument, das wirksamste im Arsenal der EU. Und es ist höchste Zeit, es wieder als solches einzusetzen.
Natürlich gibt es in der Ukraine noch immer rechtsstaatliche Defizite. Doch die Erweiterungsdebatte darf sich nicht im Klein-Klein der Geldwäschebekämpfung und der Vergabe von Richterposten verlieren. Es geht um Größeres: die Stabilität des Kontinents.
Ohne es zu wollen, hat sich die EU zu einem Imperium entwickelt, das mit den imperialen Ambitionen der russischen Führung kollidiert. Das russische Imperium fußt auf Repression. Das europäische dagegen auf der ebenso simplen wie revolutionären Idee, dass die Europäer in Frieden, Freiheit und Wohlstand leben wollen. Es sind unterschiedliche Gesellschaftsentwürfe, die nicht konfliktfrei koexistieren können.
Signal an Putin
Wladimir Putin hat das früh erkannt. Es war nicht die vage Aussicht auf einen Nato-Beitritt, die Russland zur Aggression gegen die Ukraine verleitete. Es waren die proeuropäischen Maidan-Proteste und der Sturz der Kreml-Marionette Viktor Janukowitsch.
Putin hat es offen formuliert: Die Ukraine sei „zu einer Art Anti-Russland“ geworden, sagte er im Mai 2021. Neun Monate später gab er den Befehl zum Angriff, um in Kiew ein neues Marionetten-Regime zu installieren.
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Dass EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen am Mittwoch, zehn Jahre nach der Maidan-Revolution, den Mitgliedstaaten empfahl, Beitrittsverhandlungen mit Kiew zu eröffnen, hat historische Bedeutung. Es signalisiert: Die ukrainische Demokratie hat überlebt, Putin ist gescheitert.




Ja, viele Fragen bleiben offen. Ist die EU in der Lage, einen so großen Agrarstaat wie die Ukraine aufzunehmen? Kann ein Land beitreten, dessen Grenzen umkämpft sind? Diese Debatten werden die kommenden Jahre prägen.
Was heute zählt, ist das Zeichen an die Ukrainer – ihr gehört zu uns. Und die Botschaft an Putin, dass die EU niemanden in Europa im Stich lässt, der sich aus der Einflusszone des Kremls lösen will.
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