Kommentar: Es ist etwas faul im Königreich

Bedrohen Extremisten von links und rechts die britische Demokratie? Diese Frage stellt sich, nachdem der britische Premierminister Rishi Sunak am Freitagabend in einer überraschenden Brandrede das Königreich vor einer politischen Zerreißprobe gewarnt hat.
Großbritannien ist auch dank seines Mehrheitswahlrechts zwar besser vor Extremisten geschützt als viele westliche Demokratien. Die vergangenen zehn Tage haben jedoch gezeigt, dass auch das Mutterland der Demokratie nicht immun ist gegen die politische Pandemie von Populismus, Intoleranz und Hass.
Es begann mit Tumulten im britischen Unterhaus, als sich das Parlament nicht auf eine gemeinsame Resolution für einen Waffenstillstand im Nahen Osten einigen konnte. Wenig später warf Lee Anderson, bis dahin immerhin stellvertretender Generalsekretär der regierenden Tories, dem Londoner Bürgermeister und gläubigen Moslem Sadiq Khan vor, er werde von Islamisten kontrolliert.
Anderson wurde daraufhin von der Partei suspendiert, obwohl die frühere Innenministerin Suella Braverman zuvor ebenfalls geklagt hatte, „Islamisten, Extremisten und Antisemiten“ hätten im Königreich das Sagen.
Auch Sunak selbst goss Öl ins politische Feuer, als er mit Blick auf die wöchentlichen Pro-Palästina-Demonstrationen die Polizei auf der Insel warnte, dass eine „Herrschaft des Pöbels die Herrschaft der Demokratie ersetzen“ könnte. Zuvor hatte das Innenministerium rund 30 Millionen Pfund zusätzlich bereitgestellt, um Parlamentarier in der aufgeheizten Debatte über den Gazakonflikt vor gewaltsamen Übergriffen zu schützen.
Die Briten vertrauen ihren Politikern nicht
Dass Sunaks Vorgängerin Liz Truss zeitgleich vor Trumpisten in den USA eine Verschwörung des „deep state“ (Staat im Staate) für ihren Sturz 2022 nach nur 49 Tagen verantwortlich machte, zeigt, dass auch frühere Premierminister nicht davor zurückschrecken, das Misstrauen in die Demokratie zu schüren. Vorläufiger Höhepunkt der Chaostage in Großbritannien ist die Nachwahl des linken Demagogen George Galloway ins Unterhaus, der seinen Erfolg in der Nähe von Manchester als Sieg für die Palästinenser in Gaza feierte und künftig insbesondere Labour-Chef Keir Starmer das Leben schwer machen dürfte.

Dass diese Verwerfungen keine Ausreißer sind, sondern Symptome dafür, dass auch in Großbritannien der politische Kitt bröckelt, zeigt eine neue Untersuchung der nationalen Statistikbehörde ONS. Demnach vertrauen nur noch zwölf Prozent der Briten den politischen Parteien, bei mehr als zwei Dritteln überwiegt das Misstrauen.
Dennoch hat das Königreich bessere Chancen als andere Länder, sich gegen politische Angriffe von links und rechts zu wehren. Das oft als undemokratisch kritisierte Mehrheitswahlrecht wirkt wie eine Brandmauer gegen Extremisten. Ein britisches Pendant zur AfD gibt es bislang nicht. Wenn die Meinungsumfragen stimmen, wird die Macht bei der kommenden Parlamentswahl von den Tories Mitte-rechts nach Mitte-links zu Labour wechseln.

Das ist beruhigend, aber keine Garantie für eine dauerhafte politische Stabilität auf der Insel. Labour hat eine breite, sehr diverse Koalition für den politischen Wechsel geschmiedet. Zusammenhalten kann Starmer dieses Bündnis aber nur, wenn er als Premierminister zeigt, dass die Demokratie bei der Lösung der drängendsten Alltagssorgen der Menschen liefern kann. In Großbritannien sind das vor allem die desolaten öffentlichen Dienstleistungen.
Mehr: Die zerrissenen Staaten von Amerika – diese Bücher erklären die USA





