Kommentar: EY wagt die Revolution – und das ist trotz aller Risiken richtig

Die Prüfer werden das Geld, dass sie für hohe Investitionen in die digitale Prüfung brauchen, allein verdienen müssen.
Die Prüfungsgesellschaft EY hat nach monatelangen Debatten ihre Pläne für eine Aufspaltung vorgestellt. Auch wenn es jenseits der Ankündigung noch wenig Konkretes gibt, allein der Wille, eine Trennung von Prüfung und Beratung zu vollziehen, wird die Zukunft der Wirtschaftsprüferbranche neu definieren. Und: Es ist ein komplexes Abenteuer, in das sich die EY-Führung begibt.
Dennoch ist es ein richtiger und wichtiger Schritt der drittgrößten Prüfungs- und Beratungsgesellschaft. Stimmen die Partner dem Vorhaben zu, hat EY die Chance, die Spielregeln in der Branche neu zu bestimmen und sich als modern zu präsentieren.
Denn letztlich setzt die Gesellschaft das um, was nach den zahlreichen Bilanzskandalen der vergangenen Jahre vielen in Öffentlichkeit, Politik und Regulierungsbehörden notwendig erscheint: In ihrer Wahrnehmung passt es nicht zusammen, dass Wirtschaftsprüfer im großen Stil zugleich Berater sind.
EY handelt als Getriebener – und es gibt große Risiken. Die Gesellschaft ist in zahlreiche Bilanzskandale in vielen Ländern verwickelt – allen voran Wirecard. Die Vorwürfe fehlerhafter Testate bei dem zusammengebrochenen Konzern hat EY einen massiven Reputationsschaden zugefügt – und zwar in allen Geschäftsbereichen.
Mögliche finanzielle Folgen aus dem Wirecard-Skandal werden zwar alle neu entstehenden EY-Nachfolgeunternehmen tragen müssen. Doch der Imageschaden haftet am Namen EY, den aller Voraussicht nach die Prüfereinheit weiter tragen wird. Und genau dort zeigen sich die Risiken: Wir stark sind die beiden Sparten wirklich, die künftig getrennte Wege gehen?
Für die Steuer- und Managementberater ist die Sache einfach. Sie können künftig frei agieren und müssen nicht mehr Rücksicht auf die Zwänge aus der Wirtschaftsprüfung nehmen. So manche Berater bei EY und anderen Gesellschaften haben frustriert hingeworfen, weil sie aus Compliance-Gründen Mandanten nicht anwerben oder behalten durften.
Neuer Consultingkonzern wird einzigartig sein
Jetzt formen sie einen unabhängigen Consultingkonzern, der mit einem Mix aus Steuer-, Rechts-, Management- und Strategieberatung samt möglicher Börsennotierung (IPO) einzigartig wird. Und sie dürfen sich auf einen ordentlichen „Payday“ freuen, wenn der abgespaltene Konzern tatsächlich einen IPO umsetzt und ihnen Aktien zuteilwerden.
Bei den Partnern in der EY-Prüfereinheit ist das anders. Für sie stellt sich vielmehr die Frage, ob ihr Unternehmen in der neuen Form attraktiv genug ist – und zwar in finanzieller wie personeller Hinsicht.
Drei der „Big Four“ halten nicht umsonst an der Mischstruktur fest. Diese ermöglicht Ihnen, hohe Kapazitäten an Mitarbeitenden und Kompetenzen vorzuhalten und dort einzusetzen, wo sie gerade gebraucht werden. Motto: Wer das ausgeklügelte Steuersparmodell eines Prüfungsmandanten versteht und prüft, der kann seine Kompetenz bei anderen Kunden in der Beratung einbringen.
Mit der Verzahnung bietet das Mischmodell jungen Wirtschaftsprüfern Karriereoptionen in der quirligen Beratung, wenn denen das Testat von Bilanzen zu öde wird. EY als „Pure Play“ wird dies nicht anbieten können. Die Gefahr ist groß, dass die auf Prüfung gestutzte EY auf junge wie ältere Talente wenig attraktiv wirkt und somit der benötigte Strom an neuen Mitarbeitenden abreißt.
Keine Frage: EY wird die Prüfungseinheit zu Beginn mit Milliardenkapital ausstatten. Doch die Prüfer werden danach das Geld, dass sie für hohe Investitionen in die digitale Prüfung brauchen, allein verdienen müssen. Sie werden nicht mehr aus dem Gesamttopf eines integrierten Konzerns schöpfen können – und das auf Basis von Margen, die weitaus weniger üppig sind als im Consultinggeschäft.
Reputation, Finanzen, Mitarbeiter: Sollte eine auf Prüfung fokussierte EY bei diesem Dreiklang schwächeln, gibt es zwei Optionen:
EY könnte stark an Bedeutung verlieren, was aber in der Wirtschaft, bei Regulatoren und bei den anderen der „Big Four“ eigentlich niemand will. Denn wenn aus den vier nur noch drei global tätige Firmen werden, haben große internationale Kunden noch weniger Auswahl bei der Suche nach einem Abschlussprüfer.
Prüfung und Beratung ziehen sich magisch an


Die zweite Option wäre: EY baut nach und nach doch wieder ein Beratungsgeschäft auf, um Mitarbeitenden Karrieren zu bieten und die Kompetenten im Haus besser auszulasten. Das aber wäre ein erstklassiges Déjà-vu. Vor gut 20 Jahren gab es das bereits: Nach Bilanzskandalen wie Enron verkauften viele der großen Prüfungsgesellschaften damals ihre Beratungseinheiten.
Es dauerte nicht lange, bis die Firmen wieder mit dem Aufbau von lukrativen Consultinggeschäften begannen. Gut möglich, dass dies auch bei der neuen EY Wirtschaftsprüfung passieren wird. Denn Prüfung und Beratung ziehen sich nahezu magisch an. Dann wäre aber in Sachen vorbildhafter organisatorischer Trennung beider Geschäfte nichts erreicht.
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