Kommentar: Merkels Fehler in der Coronakrise ist ihre Liebe zum Detail

Die Bundeskanzlerin verlässt das Podium, nachdem sie die von ihr durchgesetzte Osterruhe wieder zurückgenommen hat.
Nach nur einem Tag musste Angela Merkel ihren Vorschlag der Osterruhe zurückziehen. Von langer Hand hatte sie einen sechstägigen Komplett-Lockdown vorbereiten lassen und damit die gesamte Ministerpräsidentenkonferenz überrumpelt.
Was vor einem Jahr noch ein genialer Schachzug gewesen wäre, entpuppt sich nun als Osterdesaster. Der Einzelhandel, an der Spitze Aldi, verwies darauf, dass bei einer Umsetzung der Schließungen ein Superspreader-Event am Samstag drohe.
Die Kirchen, die am vergangenen Osterfest und an Weihnachten stillgehalten hatten, wollten aus nachvollziehbaren Gründen ihre höchsten Feiertage nicht noch einmal einer chaotischen Regierungspolitik opfern. Längst gibt es dort Hygienekonzepte.
Es geht nicht nur um die Osterruhe. Die Kanzlerin hat sich für diesen Fehler entschuldigt. Respekt, das hätte nicht jeder getan! Trotzdem ist die Fehlerkette ihrer Regierung einfach zu lang.
Zu viele Pleiten, zu viele offene Fragen
Die Impfkampagne stottert, die Teststrategie zeigt keine Fortschritte, und die Kontaktverfolgung steht still. Insofern wirkte der zusätzliche Lockdown, der epidemiologisch sicherlich notwendig ist, wie ein Konzept von vorgestern. Merkels Methode, ihre Minister laufen zu lassen, funktioniert nicht mehr. So wie vieles andere nicht mehr funktioniert. Ihre Liebe zum Detail, von vielen zu Recht bewundert, wirkt sich in der Pandemiebekämpfung fatal aus.
Es entsteht der Eindruck, dass Merkel sich um Ruhetage kümmert, aber das Großthema Impfkampagne ebenso wie eine Teststrategie delegiert. Auch scheint im Kanzleramt das Gefühl für die Nöte der Menschen abhandengekommen zu sein. Schlecht läuft es auch bei den Wirtschaftshilfen von Minister Peter Altmaier.
Wenn Merkel jetzt erklärt, es sei ihr Fehler gewesen, sie übernehme die volle Verantwortung, hätte sie auch sagen sollen, was das bedeutet. Entlässt sie ihren Kanzleramtsminister? Bildet sie ihr Kabinett um? Oder stellt sie gar die Vertrauensfrage?
Und was bedeutet das für die Kanzlerkandidatur in der Union? CSU-Chef Markus Söder, der gar nicht nah genug bei der Kanzlerin sein konnte und etwa wortgleich von einer „neuen Pandemie“ sprach, hatte den Gründonnerstags-Deal in der Viererrunde mit ausgehandelt.
Man darf gespannt sein, wann der Instinktpolitiker sich von Merkel absetzt. CDU-Chef Armin Laschet hat es etwas leichter. Er hat zwar den Beschluss der Ministerpräsidenten mitgetragen, aber seine Idee war die Osterruhe nicht. Damit kann er die Entscheidung freier kritisieren. Der eigentliche politische Gewinner dürfte aber das Grünen-Duo Annalena Baerbock und Robert Habeck sein. Je dunkler die Schatten auf Merkel, Söder und Laschet fallen, desto heller erscheinen die beiden.
Drei entscheidende Punkte
Am Donnerstag gibt Merkel eine Regierungserklärung ab. Dann muss sie zur Hochform auflaufen. Drei Punkte dürfen nicht länger aufgeschoben werden:
Deutschland braucht einen Neustart
Angela Merkel und auch Deutschland brauchen einen Neustart. Einen Agenda-2010-Moment. Das mag Merkel in ihrer sachlichen Art widerstreben. Doch sie muss der Bevölkerung die Kehrtwende glaubhaft machen.






Die Kanzlerin hat außer ihrem Eintrag ins Geschichtsbuch nichts mehr zu verlieren. Sie tritt im Herbst bei der Bundestagswahl nicht mehr an und könnte befreit aufspielen. Nach 16 Jahren an der Spitze des Landes und vielen gemeisterten Krisen ist es schwierig, den Regierungsstil noch zu ändern. Es führt für die Kanzlerin aber kein Weg daran vorbei.





