Kommentar: Moderner Fußball braucht den Kapitalismus, um zu überleben


In der Bundesliga spielen derzeit häufig Tennisbälle die Hauptrolle. Fans werfen diese zu Hunderten auf den Rasen, mit dem Ziel, Spiele zu unterbrechen. Es ist ein Protest gegen Investoren im Sport und die jüngste Eskalation eines seit Jahrzehnten schwelenden Interessenkonflikts, der den deutschen Fußball in eine Sackgasse geführt hat.
Kommerzialisierung heißt das Stichwort, Ausverkauf die dazugehörige Schmähung, und das größte Problem daran ist, dass beide Seiten recht haben. Die Fans in den Stadien fürchten, dass sie zu Begleiterscheinungen degradiert werden, ihre Mitbestimmung in den eingetragenen Vereinen verlieren, die hinter den Profiklubs stecken. Die Stadien wiederum stehen in dieser Form nur, weil die Klubs Mittel und Wege gefunden haben, Geld aus der Wirtschaft in den Sport zu ziehen.
Der Fußball ist ein immenses Geschäft. Die Erste und Zweite Bundesliga machten zuletzt mehr als 4,6 Milliarden Euro Umsatz, Rekordmeister ist die FC Bayern München AG mit den Großaktionären Adidas, Allianz und Audi. Die Dax-Konzerne Telekom und Volkswagen lassen sich ihr Trikotsponsoring beim FC Bayern München und beim VfL Wolfsburg pro Saison 50 bis 60 Millionen Euro kosten.
Die Fußballtempel kosten oft mehr, als sie einbringen
Nur: Die Profiklubs müssen ihre Einsätze schon fortlaufend erhöhen, allein um gleichbleibende Resultate zu erzielen. Als Konsequenz daraus möchte der Liga-Verband DFL einen Teil seiner Medienverwertungsrechte an Finanzinvestoren veräußern – für 20 Jahre. Daran entzünden sich die Proteste.
Dabei haben die von ihren Mitgliedern mitkontrollierten Vereine mit knapper Mehrheit ein starkes Verhandlungsmandat für ihren Dachverband beschlossen. Mit der deutlichen Prämisse, dass dieser Beschluss die einzige Abstimmung unter den Klubs bleibt, sofern die klar abgesteckten Rahmenbedingungen für die Verhandlungen nicht verletzt werden.

Aber die Fans fühlen sich übergangen, teils von ihren Vereinsfunktionären verraten. Und der Protest wirkt, als wollten sie als Machtdemonstration neue Abstimmungen erzwingen, bis ihnen das Ergebnis passt. Was interne Querelen der Klubs sein sollten, wird so zum Problem für alle Befürworter. Am Dienstagabend hat sich nun mit Blackstone einer von zwei verbliebenen Interessenten zurückgezogen. Auch wegen der Befürchtung, dass getroffene Vereinbarungen nicht eingehalten werden.
Wo führt der Widerstand also hin? Aus der jüngsten Bilanz der DFL sticht hervor: Insgesamt geben die Klubs mehr Geld aus, als sie einnehmen – das Defizit lag hier zuletzt bei fast 200 Millionen Euro. Und das bei laut Finanzbericht sinkenden Personalkosten für Spieler, deren Leistungen ihrerseits den Großteil der Einnahmen generieren, über Medienverwertung, Werbung, Transfers, Merchandising, Ticketing.
Die schlechte Nachricht für die Fans: Der sogenannte Spiel-Ertrag, grob gesagt die Summe aus Karten- und Würstchenverkäufen, steuert nur noch 7,7 Prozent zum Ertrag bei. Inzwischen müssen absurde Namenssponsorings der Stadien und die Nutzung für Konzerte und Veranstaltungen die finanziellen Wunden bepflastern.
Ökonomische Realität ist, dass margenschwache Unterhaltungsbetriebe hohe Aufwendungen für den Erhalt einer Freizeitaktivität betreiben. Mitbilanziert werden bisher die immateriellen Werte: Kundenbindung und, im Show-Geschäft Fußball, der „Unique Selling Point“: die Emotionalität der Zuschauer. Das reicht an Einnahmen nicht einmal, um den Status quo zu sichern.
Die Premier League ist nicht mehr einzuholen
Die Zahlen zeigen, dass an den verabscheuten Investoren kaum ein Weg vorbeiführt. Nicht, um den Abstand zu den international führenden Ligen aus England und Spanien zu verringern.
Es geht um Geld, das die Modernisierung von Stadien sichert, Investitionen in Spieler, Jugendförderung, Nachhaltigkeit und Digitalisierung – und auch die Gemeinnützigkeit der eingetragenen Vereine, die sich als Hauptanteilseigner gern hinter den ausgegliederten Profiabteilungen verschanzen. Es geht um Geld, dessen bisherige Quellen nicht mehr so ergiebig sind. In Frankreich etwa hat zuletzt kein TV-Sender überhaupt ein Gebot abgegeben. Und es gilt als wahrscheinlich, dass auch der Bundesliga eine empfindliche Abwertung ihrer Haupteinnahmequelle droht.
Schluss mit der Doppelmoral
Der deutsche Fußball muss seine Doppelmoral ablegen. Mehr Geld war immer willkommen, solange Sponsoren es einbrachten. Nun blickt man bange auf institutionelle Investoren, die als Return on Invest wasserdichte Zahlen sehen wollen, statt sich mit dem Versprechen zufriedenzugeben, dass der Werbefetzen am Trikotärmel im TV schon auffallen wird.
Die Klubs, die Fans müssen sich entscheiden, was sie wollen. Eine romantisierte Version des Spiels ist möglich, ist aber dann international nicht mehr wettbewerbsfähig. Die europäische Konkurrenz wird nicht auf Investorengelder verzichten, nur weil die Bundesliga es tut. Und sinkende Investitionen bedeuten: keine Arenen für 80.000 Menschen, keine Champions-League-Finals gegen Manchester, Paris, Madrid und keine Spieler mehr wie Harry Kane. Dafür sinkende Einnahmen, weil die Attraktivität des Produkts für die zahlende Fernsehkundschaft und damit auch für Sponsoren sinkt.
Für den deutschen Fußball schließt sich ein Zeitfenster. Noch gibt es, vor allem in den USA, sportaffine Fonds und Banken, die ein internationales Netzwerk für die Auslandsvermarktung mitbringen. Und mitunter sogar trotz der 50+1-Regel, die ein Durchregieren auf Klubebene verhindert, die Standorte weiterentwickeln wollen.
Und noch gibt es sogar den Luxus, alternative Modelle wie Genossenschaften zu durchdenken und sich für einen anderen, bescheideneren, transparenten Fußball zu entscheiden.




Nur müsste diese Entscheidung, egal für was, jetzt getroffen werden. Und Bestand haben.
Mehr: Mein Haus, meine Jacht, mein Fußballklub – Wie US-Investoren den europäischen Fußball aufmischen.









