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KommentarNeun Lehren aus Davos

Das 54. Weltwirtschaftsforum geht zu Ende. Was waren die wichtigsten Themen? Was bleibt? Und vor allem: Lohnt die Reise auf den Zauberberg?Sebastian Matthes 19.01.2024 - 09:03 Uhr
Sebastian Matthes ist Chefredakteur des Handelsblatts. Foto: Max Brunnert für Handelsblatt

Ich bin dieses Jahr durchaus mit gemischten Gefühlen nach Davos gereist. Während ich vergangenen Sonntag durch die verschneiten Schweizer Berge fuhr, musste ich darüber nachdenken, was so ein Forum noch bringt in einer Zeit, in der die großen Ideen von einst verblassen, der Glaube, dass Freihandel, Kooperation und wirtschaftlicher Austausch am Ende zu einer friedlicheren Welt und mehr Wohlstand für alle führen.

    Der emotionale Auftritt des ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski war ein Symbol für das Scheitern dieser Idee. Seine Rede, sie war auch eine Anklage gegen die westlichen Unterstützer:„Seit zehn, nicht erst seit zwei Jahren kämpfen Ukrainerinnen und Ukrainer gegen die russische Aggression!“, rief Selenski in den vollen Saal. Er bekam viel Applaus. Doch der Applaus konnte die Ratlosigkeit im Saal nicht überdecken. Niemand weiß, wie es weitergehen soll, wie der Krieg eines Tages enden kann.Die Woche in Davos ist immer auch eine Zeit, in der Politiker und Wirtschaftslenker gemeinsam in ihre Glaskugeln schauen. Und so beherrschten Kriege und Krisen viele Gespräche auf den Panels und an den Cafébars des Konferenzzentrums. „Was Unternehmen Probleme bereitet“, sagt ein deutscher Firmenlenker, „ist die Unsicherheit darüber, mit welchen Annahmen sie planen sollen.“ Irgendwo ist immer Krise, das ist die neue Normalität.Interessant ist auch zu sehen, wer nicht nach Davos gereist ist. Die russische Delegation zum Beispiel, die schon vergangenes Jahr ausgeladen war. Und der chinesische Premier Li Qiang legte zwar einen glänzenden PR-Auftritt hin, ansonsten waren aber kaum Chinesen zu sehen. Das WEF wird damit immer mehr zu einem Forum, auf dem vor allem der Westen mit sich selbst spricht.Auch der ehemalige US-Präsident Donald Trump blieb zu Hause – und doch war er allgegenwärtig. Während europäische Spitzenpolitiker noch überlegen, wie sie sich auf eine zweite Amtszeit Trumps vorbereiten können, stellt sich die US-Wirtschaft genau darauf ein. Das erkenne man nicht so sehr daran, was die CEOs sagen, sondern daran, „wozu sie schweigen“, sagte einer von ihnen bei einem Abendessen in Davos, namentlich zitiert werden möchte er mit der Aussage freilich nicht.Beim Weltwirtschaftsforum finden die Gespräche nicht nur auf den offiziellen Bühnen oder in zu Meetingräumen umfunktionierten Hotelzimmern statt. Rund um das Forum ist über die Jahre ein umfangreiches Begleitprogramm entstanden, zahlreiche Besucher kommen nur deshalb. Es entsteht deshalb eine Art Forum neben dem Forum. Während auf den offiziellen Bühnen also die großen Probleme der Welt sortiert werden, geht es in umgebauten Bäckereien, Buchläden und Restaurants an der Davoser Promenade um all die Themen, mit denen sich die Unternehmen sonst noch beschäftigen. Natürlich ist da viel PR, Selbstdarstellung, heiße Luft. Damit ist die Promenade aber immer auch ein Indikator dafür, in welche Richtung die Hype-Welle als Nächstes bricht. So waren dieses Jahr vielfach die Krypto-Bühnen abgebaut, auch das Thema ESG ist aus vielen Schaufenstern verschwunden. Stattdessen war der KI-Hype allgegenwärtig.Kein Ort zeigte diesen Wandel so sehr wie das Haus an der Promenade 68 in Davos. Früher warb hier die russische Delegation um Investoren. Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine wurde das Gebäude zum „Russian Warcrimes House“. Dieses Jahr zog dort das „AI House“ ein, wo sich auf 70 Veranstaltungen Expertinnen und Experten über die Chancen des erhofften Booms von Künstlicher Intelligenz austauschten. Die Geschichte dieses Hauses steht auch sinnbildlich dafür, wie sich der Fokus vieler Besucher des WEF verändert.Sobald irgendwas mit „AI“ im Titel von Veranstaltungen in Davos stand, wurde es richtig voll. Am längsten waren die Schlangen vor den Auftritten von OpenAI-CEO Sam Altman, der in Davos verkündete, dass die nächste Version von ChatGPT noch viel mehr können werde, ohne es genauer erklären zu wollen. Und so wurde KI in Davos zum Hoffnungsträger für alle erdenklichen Probleme gehypt (Fachkräftemangel, Klima, die schmerzende Hüfte). Die Realität sieht in vielen Unternehmen freilich anders aus. Hier rechnen einige eher mit einer KI-Eiszeit, weil die Technologie die meisten Hoffnungen gar nicht erfüllt.Nicht nur wegen der fehlenden Ambitionen in Sachen KI blickten in Davos viele mit Sorge auf Europa, insbesondere auf Deutschland. „In den USA wird immer weniger über die deutsche Wirtschaft gesprochen“, sagt BCG-Chef Schweizer. „Wenn überhaupt, dann über das aus der Sicht der Amerikaner abschreckende Beispiel Energiewende.“ Passenderweise wurden Anfang der Woche die miesen Wachstumszahlen Deutschlands veröffentlicht. Der französische Präsident Emmanuel Macron nutzte die Bühne in Davos derweil für eine große Werbeveranstaltung. Er sprach über Reformen, Jobs und Start-ups. Ihm war klar, dass im Publikum zahlreiche potenzielle Investoren saßen. Bundeskanzler Olaf Scholz machte sich nicht einmal auf den Weg nach Davos.Deutschland, das dachte ich in den vergangenen Tagen häufiger, steckt im Abwehrkampf. Unsere Themen sind Schuldenbremse und Heizungskeller, während andere über die Zukunft sprechen. Und damit meine ich nicht nur Macron. Saudi-Arabien präsentierte in einem riesigen Showroom das gigantische Neom-Projekt. Indische CEOs schildern auf den Bühnen ihre Visionen für eine grüne Energierevolution. Und im Microsoft-Pavillon erklärte Konzernchef Satya Nadella die Entwicklungen rund um KI als einen „magischen Moment“. Viel Werbung, keine Frage. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass gerade jetzt technologische Entscheidungen getroffen werden, die die nächsten Jahrzehnte beeinflussen werden.

Muss man nach Davos fahren? Es kommt darauf an. Inhaltlich gibt es auch andere spannende und vor allem innovativere Formate als die vielen, wenig interaktiven Diskussionsrunden mit zu vielen Gästen auf der Bühne. Einige meinen, die Klimakonferenz sei eine ernst zu nehmende Alternative, andere nennen die Münchner Sicherheitskonferenz.

In jedem Fall aber ist das Weltwirtschaftsforum immer noch eine der besten Netzwerkveranstaltungen der Welt. Die Teilnehmer treffen hier in 30-Minuten-Slots viele Menschen, für die sie sonst jederzeit in den Zug oder den Flieger steigen würden. Insofern tut Davos am Ende doch etwas Gutes fürs Klima.

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