Kommentar: Österreich will Corona-Maßnahmen lockern, weiß aber nicht wie

Ischgl entwickelte sich zur Virenschleuder für Deutschland und viele andere mittel- und nordeuropäische Länder.
Zur Zeit des Frühstücksfernsehen servierte die österreichische Regierung die richtigen Bilder und Nachrichten frei Haus: Die Alpenrepublik prescht mit Lockerungen weiter vor, um das am Boden liegende Tourismusgeschäft schleunigst anzukurbeln.
Bereits ab 15. Mai dürfen Restaurants, Wirtshäuser und Bars zwischen Bodensee und Neusiedler See wieder bis 23 Uhr öffnen. Am 29. Mai werden dann Hotels und Ferienwohnungen folgen. Die ansonsten so redselige Tourismusministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) wurde auf der Pressekonferenz nur unsicher, als es um die praktische Ausgestaltung Lockerungen ging.
Werden die Hotels von oben bis unten täglich desinfiziert? Wie kann ein Selbstbedienungsbüffet funktionieren ohne dass der Mindestabstand von einem Meter unterschritten wird? Wie kann ein Wellnessbereich ohne Gefahr für Gäste genutzt werden? Welches Risiko bedeutet der Besuch des Hotelrestaurants ohne Mundschutz?
Die schwarz-grüne Regierung, die gerne autoritär auftritt, appellierte ausgerechnet an die Eigenverantwortlichkeit der Tourismusindustrie im Land. Wie Eigenverantwortlichkeit in der österreichischen Hotellerie und Gastronomie aussehen kann, hatten im März Wintersportorte wie Ischgl, St. Anton am Arlberg oder Lech/Zürs demonstriert.
Statt angesichts der beginnenden Pandemie sofort den Betrieb zu schließen, blieben die Bars, Hotels und Liftanlagen offen. Aprés-Skibars wie das Tiroler „Kitzloch“ wurde zum Corona-Hotspot. Auf diesem Weg entwickelte sich Ischgl zur Virenschleuder für Deutschland und viele andere mittel- und nordeuropäische Länder.
Wirtschaftlicher Wettkampf
Österreich will bei den Lockerungen unbedingt in Europa den ersten Platz erringen. Für die womöglich gefährliche Politik im Umgang mit dem Coronavirus gibt es handfeste wirtschaftliche Gründe. Mit den unerwartet schellen Lockerungen für Gastronomie und Hotellerie will Österreich das Tourismusgeschäft in diesem Sommer unbedingt nicht verpassen.
Österreich erwirtschaftet schließlich über 15 Prozent seines Bruttosozialprodukts mit dem Fremdenverkehr. Der Tourismus hatte vor der Pandemie nicht nur Städte wie Wien und Salzburg zu Goldgruben gemacht, sondern ganze Alpentäler in Tirol, Vorarlberg, Salzburg und Kärnten. Viele kleine- und mittlere Unternehmen profitierten von dem jahrelangen Boom.
Tourismusländer wie Österreich wollen daher den Traum vom Sommerurlaub aus wirtschaftlichen Gründen nicht aufgeben. Doch seit dem Skandal von Ischgl kämpft Österreich im Umgang mit der Pandemie gegen sein Image der verantwortungslosen Geldmacherei. Der schlechte Ruf wird in der Alpenrepublik noch unterschätzt.
Derzeit ermittelt die Staatsanwaltschaft in Innsbruck, um den katastrophalen Umgang mit dem Coronavirus in Tirol im März aufzuklären. Hunderte von ausländischen Touristen haben sich bereits einer Sammelklage gegen die Republik Österreich angeschlossen.
Bis heute haben es weder der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz noch seine Minister geschafft, sich bei den infizierten Urlaubern von Island bis Deutschland zu entschuldigen. Das wäre ein erster und wichtiger Schritt zur Verbesserung des Images.
Wichtigste Gruppe wird ausbleiben
Die Rechnung der schwarz-grünen Regierung in Wien, bereits ab Ende Mai in der Coronakrise das schnellen Tourismusgeschäft zu machen, wird unterdessen nicht aufgehen. Denn die mit Abstand größte Touristengruppe in Österreich, die Deutschen, wird mit großer Wahrscheinlichkeit ausbleiben.
Dafür gibt es zwei Gründe: große Angst und geschlossene Grenzen. Denn Berlin will mit vorschnellen Lockerungen im grenzüberschreitenden Tourismus einen Rückschlag bei der Bekämpfung der Pandemie unbedingt vermeiden.
Das hatte Außenminister Heiko Maas bereits deutlich gemacht. „Eine normale Urlaubssaison mit vollen Strandbars und vollen Berghütten wird es diesen Sommer nicht geben können. Das wäre nicht zu verantworten“, sagte der Politiker.






Die unpopuläre Zurückhaltung der Bundesregierung in Berlin ist zweifellos eine gute Entscheidung. Denn die jüngsten Zahlen zur Pandemie für die Bundesrepublik haben eindringlich vor Augen geführt, der Kampf gegen das Coronavirus ist noch lange nicht vorbei.
Der Rückschlag in Singapur zeigt, eine zweite Welle ist möglich. Es besteht kein Zweifel: die Zeit für Ferienreisen nach Österreich oder gar nach Italien oder Spanien ist noch lange nicht gekommen – auch wenn das Fernweh gerade die reisefrohen Deutschen sehr plagt. Das Beispiel Ischgl darf sich nicht wiederholen.





