Kommentar: Putin ist der Gewinner der Energiepreis-Explosion – Europa sollte sich endlich unabhängig machen

Der russische Präsident ist die Spinne im weltweiten Energienetz.
Allzu oft schon ist das Kartell der Erdöl exportierenden Staaten, die Opec, für tot erklärt worden. Mindestens so oft übrigens, wie die historisch höchste Ölfördermenge („peak oil“) prognostiziert wurde. Beides ist bis heute nicht eingetroffen. Im Gegenteil: Die Opec ist ungebrochen schlagkräftig und freut sich über steigende Ölpreise.
Zu Beginn der Coronapandemie sah es zu nächst so aus, als bekämen Opec und alle anderen Erdöl fördernden Staaten große Probleme – wegen zerrissener Lieferketten, stillstehender Fabriken und im Homeoffice sitzender Beschäftigter sank der Ölpreis deutlich. Doch dann schloss sich die Opec mit Russland, Kasachstan und anderen Staaten, die Erdöl fördern, aber nicht Kartellmitglied sind, zur Opec-plus-Gruppe zusammen – und gemeinsam trieb man fortan die Preise.
Opec-plus ist der historische Schulterschluss zweier Erzfeinde: Russland und Saudi-Arabien. Der Kreml hilft dem weltgrößten Ölförderer Preise und Fördermengen auszutarieren. Das vermeidet, dass die großen Produzenten allein einfach ihre Förderung hochfahren, ein neues Wettrennen um Absatzmärkte ausbricht und die Preise völlig aus dem Ruder laufen.
Russische Konzerne machen Rekordgewinne
Davon profitieren beide: Das Permafrostland und der Wüstenstaat.
Russland allerdings nützt der aktuell starke Preisanstieg und die Stabilisierung durch eine Opec-plus-Vereinbarung mehr: Denn Moskaus Konzerne wie Rosneft, Lukoil, Gazprom und Surgutneftegas stehen ja nicht nur in der Weltspitze der Ölförderer. Russland profitiert auch als weltgrößter Erdgasexporteur und großer Kohleförderer vom Preisboom auf den globalen Energiemärkten und baut seinen Einfluss mit der umstrittenen Ostseepipeline Nord Stream 2 noch aus.
Russland ist in der Energiewelt die Spinne im Netz.
Finanziell ist Moskau momentan, aller Sanktionen wegen der Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim und der militärischen Einmischung in der Ostukraine zum Trotz, völlig unangreifbar. 600 Milliarden Dollar Währungsreserven, ein gut gefüllter Staatsfonds und aktuell zu erwartende Haushaltsüberschüsse stärken Putin. Er kann seine expansionistische Politik, die Modernisierung seiner Armee und Ausbau des russischen Unterdrückungsapparats locker bezahlen.
Europa braucht eine neue Energiestrategie
Vor allem die Überweisungen aus Europa, das von russischem Öl, Gas und Kohle stark abhängig ist, festigen das System Putin – eigentlich ein unerwünschter Effekt, fährt die EU doch offiziell einen Sanktionskurs gegen den Kreml.
Zu ändern ist dies aktuell aber nicht. Öl und Gas aus Russland sind alternativlos. Denn verflüssigtes Erdgas (LNG) aus Katar oder den USA ist noch mal deutlich teurer und kaum verfügbar wegen des Nachfragebooms aus Asien.




Aber eine Lehre sollten Europas Politik und Unternehmen aus der aktuellen Situation ziehen: In der Nach-Öl-Ära sollte dringend die Abhängigkeit von Russland reduziert werden. Das heißt konkret für die aktuellen Planungen einer Wasserstoffstrategie, dass Deutschland und die EU den Aufbau erneuerbarer Energien und die Produktion von Wasserstoff nur in anderen Ländern fördern: In der Ukraine, Nordafrika und anderen Nachbarstaaten des alten Kontinents.
Das nützt nicht nur den betreffenden Ländern, sondern auch Europa und seinen Unternehmen: Denn diese Kooperation stärkt und stabilisiert die europäische Nachbarschaft. Das ist langfristig sowohl politisch wie auch wirtschaftlich sehr sinnvoll, vor allem aber auch aus Gründen des Klimaschutzes. Denn Russland will jetzt vor allem Wasserstoff aus Erdgas und Atomkraft in den Markt drücken, im Zweifelsfall auch deutlich billiger, um Rivalen wie die Ukraine oder Marokko aus dem Feld zu schlagen. Europa muss diesen Verlockungen aber unbedingt widerstehen – vor allem wegen des Klimaschutzes.





