Kommentar: Scholz’ Pläne zur Steuer auf den Aktienhandel zeugen von seiner Unkenntnis über Börsenmechanismen
Der Finanzminister auf dem SPD-Bundesparteitag.
Foto: dpa„Berlin will Aktienanlagen noch unattraktiver machen“, titelte in der vergangenen Woche ein Beitrag in der „Neuen Zürcher Zeitung“. Zwischen Nordsee und Alpen bevorzugen die Menschen immer noch das Sparkonto und andere festverzinsliche Anlagen – wundert man sich im Nachbarland. Anlass ist ein weiteres Kapitel über die Deutschen und ihr Verhältnis zur Aktie: einer schwierigen Beziehung voller Missverständnisse und großer Unkenntnis.
Diese reicht – das sei jetzt hier gesagt – bis hinauf zu Bundesfinanzminister Olaf Scholz. Seine geplante Steuer auf sogenannte Finanztransaktionen gibt vor, Probleme zu lösen, schafft in Wahrheit aber mindestens vier neue, ohne nur einen Vorteil zu bieten, geschweige denn ein Problem zu lösen.
1) Schon mit dem Wort Finanztransaktionssteuer führt uns der Finanzminister in die Irre. Tatsächlich plant die Bundesregierung, dass Anleger, die inländische Aktien erwerben, künftig 0,2 Prozent der Kaufsumme ans Finanzamt zahlen. Die neue Steuer verfehlt damit das ursprüngliche Ziel, unerwünschte Spekulationen zu beenden, die vor zehn Jahren die Finanzkrise ausgelöst haben.
Denn das waren keine Aktiengeschäfte von Kleinanlegern oder Investmentfonds. Ursächlich war vielmehr eine geringe Eigenkapitalausstattung der Banken. In ihrem Streben nach immer größeren Gewinnen mithilfe von Derivaten, Optionsscheinen und kompliziert gebündelten Zertifikaten, deren Preise sich am Ende nicht so entwickelten wie erhofft, mussten viele Finanzinstitute am Ende vom Steuerzahler gerettet werden.
All diese Produkte bleiben jetzt von der neuen Steuer ausgenommen, weil sich die Industriestaaten nicht einigen konnten. Auch der Hochfrequenzhandel, bei dem in Millisekunden Finanzderivate den Besitzer wechseln und der als gefährlich mit Blick auf künftige Krisen gilt, ist nicht von der Steuer betroffen.
2) Die neue Steuer hilft dem Finanzminister nicht wirklich in seinem Bemühen, nennenswerte Mehreinnahmen etwa für die Grundrente zu erzielen. Anstatt eines jährlichen Aufkommens in zweistelliger Milliardenhöhe, wie sie Experten für eine Steuer von nur 0,01 Prozent auf Derivate errechnet hatten, winken dem Finanzminister ab 2021 lediglich 1,5 Milliarden Euro.
3) Betroffen sind genau die Aktien, mit denen viele Anleger und Investmentfonds täglich handeln, auch mithilfe preiswerter ETFs, womit sich Börsenindizes abbilden lassen. Für Kleinanleger bleibt der finanzielle Schaden nur auf den ersten Blick gering. Beim Kauf von Aktien im Wert von beispielsweise 4000 Euro werden acht Euro fällig. Das ist vielleicht verschmerzbar. Anders sieht es aber mit Sparplänen etwa für die Rente aus, weil hier über einen langen Zeitraum viele Aktien ge- und verkauft werden.
Wer drei Jahrzehnte lang monatlich 100 Euro über Fonds oder ETFs in Aktiensparplänen ansammelt, mindert sein Vermögen um mehrere Tausend Euro – zusätzlich zu allen anderen Gebühren, einschließlich der Kapitalertragsteuer von 25 Prozent. Dass Fonds auf andere Finanzplätze ausweichen, wo die Steuer nicht gilt, ist keineswegs sicher und auch nicht einfach, weil Aktien oft nur in den Heimatmärkten der Unternehmen liquide und jederzeit handelbar sind.
4) Damit es an der Börse zu fairen Preisen kommt, sind möglichst hohe Umsätze notwendig. Die neue Steuer trägt leider dazu bei, dass sich vor allem Profis, die täglich mit vielen Aktien handeln, überlegen werden, ob sie künftig lieber einmal weniger einen Kauf- oder Verkaufsauftrag erteilen.
Dadurch reduzieren sich die Umsätze, sodass es für ungeliebte Spekulanten einfacher wird, die Preise zu beeinflussen. Die Liquidität wird sinken. Dadurch weiten sich die Spreads aus, also die Spanne zwischen An- und Verkaufspreisen. Über diesen Umweg werden Aktien, über die Steuer hinaus, teurer.
Am Ende sind von der neuen Steuer nicht die Verursacher der Finanzkrise betroffen, sondern Kleinanleger, die vor zehn Jahren als Steuerzahler die Banken retten mussten. Sie werden jetzt zum zweiten Mal und dauerhaft zur Kasse gebeten. Jeder Aktionär darf sich angesprochen und beschimpft fühlen, wenn Olaf Scholz seine geplante Finanztransaktionssteuer lobt, um angeblich gierigen Spekulanten das Handwerk zu legen.
Besser wäre es, anstelle neuer Abgaben die Gewinne aus Aktien nach einer mehrjährigen Haltefrist von der Steuer zu befreien. Denn bei aller berechtigten Kritik an Mario Draghi, der für die Nullzinspolitik steht, in einem Punkt hat der frühere Chef der Europäischen Zentralbank recht: mit seinem alten Ratschlag, dass die Deutschen über Alternativen in der Geldanlage nachdenken sollten.
Doch es bleibt schwierig, die Bevölkerung von Chancen an den Finanzmärkten zu überzeugen, wenn nicht einmal der Finanzminister richtig dahintersteht.