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KommentarSoll die Industrie nur produzieren, wenn der Wind weht und die Sonne scheint?

Der Vorschlag zur Reform der Stromnetzgebühren ist heftig umstritten. Es geht um die Gesetze der Physik, Betriebswirtschaft und klimafreundliches Verhalten. Ein Pro und Contra.Klaus Stratmann, Catiana Krapp 17.09.2024 - 03:52 Uhr
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Die Bundesnetzagentur will Anreize schaffen, die unternehmerische Produktion an das schwankende Stromangebot von Wind und Sonne anzupassen. Foto: obs

Pro: Ohne Flexibilisierung geht’s nicht

Von Catiana Krapp

Um eines gleich klarzustellen: Nein, die Industrie sollte nicht nur produzieren, wenn der Wind weht. Der Vorstoß der Bundesnetzagentur, Unternehmen zu belohnen, die genau das können, ist aber trotzdem richtig.

Auf die Differenzierung kommt es hier an. Niemand will der Industrie verbieten, rund um die Uhr durchzuproduzieren, so wie es für viele Betriebe am effizientesten ist. Und erst recht geht es nicht darum, dass zu bestimmten Uhrzeiten kein Strom zur Verfügung stehen soll. Strom soll auch nach der Energiewende immer in ausreichenden Mengen für alle da sein – daran arbeitet die Bundesregierung hart.

Worum es wirklich geht, ist, welches Verhalten der Staat finanziell bezuschusst. Auch künftig dürfen Unternehmen produzieren, wann sie wollen. Sie erhalten nur keine Subventionen mehr dafür. Belohnt wird stattdessen, wer dazu beiträgt, dass Strom in Zukunft aus grünen statt fossilen Quellen stammen kann.

Der Staat will künftig klimafreundliches statt klimaschädliches Verhalten belohnen. Dass das unfair ist, kann man nur finden, wenn man der Meinung ist, dass der Staat schuld an der Energiewende ist und die Industrie im Gegenzug vor ihren Folgen beschützen muss.

Die Energiewende aber ist eine grundlegende Notwendigkeit. Ohne sie folgt eine Klimakrise, die die Industrie und die Gesellschaft viel mehr kosten wird als alle Maßnahmen, die sich die Bundesregierung zwischenzeitlich ausdenken kann.

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Es ist deshalb nicht Aufgabe des Staates, Konditionen zu schaffen, unter denen eine Industrie langfristig überlebensfähig ist, die ohne fossile Brennstoffe nicht existieren kann.

Bevor das falsch verstanden wird: Das ist kein Plädoyer für eine Deindustrialisierung oder für ein langfristiges Schrumpfen der Wirtschaft in Deutschland. Wer Wohlstandsverluste fordert, nimmt einen gesellschaftlichen und politischen Aufruhr in Kauf, den dieses Land nicht stemmen kann.

Deshalb muss der Staat der Industrie helfen, in einer neuen, klimafreundlicheren Welt profitabel zu sein. Und genau das tut er, wenn er finanzielle Anreize verschiebt, wie es die Bundesnetzagentur gerade plant.

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Es ist ein bisschen so, wie einem Schulkind lange Nachmittage am Schreibtisch aufzubürden, damit es in der nächsten Mathe-Klausur eine gute Note schreibt. Die aktuellen Vorstöße sind eine heftige Zumutung, ja! Aber diese Zumutung einfach vom Tisch zu nehmen ist keine nachhaltige Lösung.

Überlegenswert ist es natürlich, der Industrie nicht nur Privilegien zu streichen, sondern Transformation auch durch neue Staatshilfen anzureizen. Aber: Das geht nur, wenn die Gesamtwirtschaft aus sich heraus wieder profitabler wird. Der Staat hat schlicht nicht das Geld, um angesichts der aktuellen Transformation die gesamte Wirtschaft finanziell durchzuschleppen.

Contra: Flexibilität steht nicht allen offen

Von Klaus Stratmann

Mit wachsendem Anteil von Strom aus erneuerbaren Quellen wird die Stromerzeugung immer volatiler. Für viele Unternehmen und auch für immer mehr private Verbraucher ist es lukrativ, Strom dann zu verbrauchen, wenn die Sonne scheint und der Wind weht. Denn dann sinken die Strompreise massiv. Wer in diesen Phasen die Produktion hochfährt oder Stromspeicher lädt, fährt damit sehr gut und stützt zugleich das System.

Doch die flexible Fahrweise steht nicht allen offen. Einige Hundert große Stromverbraucher aus der Industrie müssen ihre Anlagen statisch fahren. Sie produzieren durchs ganze Jahr auf gleichbleibendem Level. Damit folgen sie den Gesetzen der Physik und der Betriebswirtschaft.

Viele Industrieanlagen lassen sich nur effizient betreiben, wenn sie möglichst gleichbleibend voll ausgelastet sind. Eine flexible Fahrweise belastet die Anlagen, senkt die Effizienz, treibt damit die CO2-Emissionen und drückt die Qualität der Produkte. Zudem sorgt sie wegen der sinkenden Auslastung für steigende Kosten. Das wiederum schwächt die Wettbewerbsfähigkeit.

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Das ist für Unternehmen, die gegen Hersteller aus China oder anderen Weltregionen antreten, pures Gift. Angesichts der gigantischen Strommengen, um die es in den betroffenen Branchen geht, stoßen Stromspeicher und andere Flexibilitätslösungen schnell an Grenzen.

Im Moment zahlen diese Unternehmen nur einen Bruchteil der Stromnetzentgelte. Dieses Privileg stammt aus einer Zeit, als die verlässliche Fahrweise noch als systemdienlich galt. Heute ist der unflexible Strombezug nicht mehr gewollt. Also sollen sie das Privileg verlieren.

Die Konsequenzen wären immens. Je nach Fallkonstellation würden sich die Stromnetzentgelte für die Betroffenen um den Faktor fünf bis zehn erhöhen. Das würden manche Unternehmen nicht überleben. Eine Entlastung bei den Netzentgelten ist also unumgänglich, sie wird in Zukunft sogar immens an Bedeutung gewinnen.

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Die Stromnetzentgelte in Deutschland gehören schon heute zu den höchsten in Europa. Sie übersteigen den reinen Großhandelspreis für Strom in vielen Fällen bei Weitem. Und weil in den kommenden Jahren in Deutschland dreistellige Milliardenbeträge in den Ausbau der Netze investiert werden sollen, werden sie weiter in die Höhe gehen. Für große Teile der Industrie ist das nur schwer zu verkraften, für einige gar nicht.

Hier geht es um die Kosten des von der Politik vorangetriebenen Transformationsprozesses, für den sie den Unternehmen einen Ausgleich zahlen muss, wenn sie der Deindustrialisierung nicht freien Lauf lassen will. Es hilft dem Klima nicht, wenn die Grundstoffindustrie ins Ausland abwandert, weil sie hierzulande mit der Transformation alleingelassen wird.

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