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  4. Pipeline: Nord Stream 2 spaltet Europa und erzürnt die USA

KommentarSoll Nord Stream 2 gebaut werden? Ein Pro und Contra

Die Gaspipeline zwischen Russland und Deutschland spaltet Europa. Auch in Berlin wächst der Widerstand. Was für das Projekt spricht – und was dagegen.Klaus Stratmann, Moritz Koch 18.12.2018 - 04:22 Uhr Artikel anhören

Die Ostseepipeline hat nicht nur unter den Lobbyisten in Washington viele Gegner.

Foto: dpa

Pro: Nord Stream 2 ist ein Gewinn für Europa

Wer Nord Stream 2 ablehnt, muss sagen, wo der Ersatz herkommen soll. Verflüssigtes Erdgas dient nur der Absicherung im Notfall, sagt Klaus Stratmann.

Die Gaspipeline Nord Stream 2 steht im Fokus einer geopolitischen Debatte. Doch dort hat sie nichts zu suchen. Wer sich mit den energiewirtschaftlichen Realitäten befasst, kommt schnell zu dem Ergebnis, dass die EU und insbesondere Deutschland allen Grund haben, sich für das Projekt einzusetzen.

Günstiges russisches Pipelinegas ist ein Garant für die internationale Wettbewerbsfähigkeit ganzer Branchen. Die deutsche Chemieindustrie etwa, durch kostenträchtige Sonderwege in der deutschen Energiepolitik gebeutelt genug, profitiert enorm davon, durch Pipelines an die russischen Gasvorkommen angebunden zu sein.

Wenn nun fünf Unternehmen aus der EU und der russische Gazprom-Konzern Milliarden in die Hand nehmen, um die Gasversorgungsinfrastruktur zu verbessern, kommt das einer Selbstverpflichtung gleich. Nur wenn sie via Nord Stream 2 über Jahre kontinuierlich Gas nach Europa schicken, rechnet sich die Leitung. Das sichert die Gasversorgung für private Verbraucher und die Wirtschaft in ganz Europa.

Die Mär, das Nord-Stream-2-Gas sei „für Deutschland“ bestimmt, hält sich hartnäckig. Sie hat mit der Realität eines zusammenwachsenden europäischen Binnenmarktes für Gas nichts zu tun. Ein großer Teil des Gases dürfte in Zentraleuropa verbraucht werden. Ein anderer Teil könnte etwa nach Österreich geleitet werden, am Ende aber über die Grenze nach Deutschland zurückfließen und dort verbrannt werden. Wo das Gas eingesetzt wird, entscheidet der Markt.

Sollten die Russen eines Tages wider jede wirtschaftliche Vernunft am Gashahn drehen, wäre das zwar misslich, aber keine Katastrophe. Die Terminals für verflüssigtes Erdgas („liquefied natural gas“, kurz LNG) an Europas Küsten sind zu weniger als 30 Prozent ausgelastet. Es gibt also noch reichlich Spielraum. Allerdings ist LNG teuer und eher eine Notfalllösung für den Übergang.

Wer auf Nord Stream 2 verzichten will, sollte darum sagen, woher er dauerhaft preisgünstigen Ersatz beschaffen will. Dabei sollte man im Hinterkopf haben, dass die Niederlande, Deutschlands zweitwichtigster Gaslieferant hinter Russland, beschlossen haben, ihre Produktion ab 2022 um zwei Drittel zu drosseln und 2030 ganz einzustellen. Europa muss größtes Interesse haben, sich langfristigen Zugriff auf Erdgas zu sichern.

Das Argument, wenn Nord Stream 2 fertiggestellt werde, könnten die Russen den Ukrainern den Gashahn zudrehen, läuft ins Leere. Schon in den Jahren 2016 und 2017 hat die Ukraine keinen einzigen Kubikmeter russisches Erdgas für den eigenen Bedarf importiert.

Und was den Transit betrifft: Nord Stream 2 kann die Durchleitung durch die Ukraine nur etwa zur Hälfte ersetzen. Es wird also auch weiterhin den Transit russischen Gases durch das Land geben.

Contra: Nord Stream 2 geht auf Kosten Europas

Deutschland hält gern den Multilateralismus hoch, setzt sich mit der Pipeline aber über die Ängste seiner Nachbarn hinweg – und untergräbt die gemeinsame Außenpolitik der EU, sagt Moritz Koch.

Heiko Maas hat am Wochenende an den Jahrestag des Marshall-Plans erinnert. „Wie uns damals geholfen worden ist“, schrieb der deutsche Außenminister auf Twitter, „müssen wir uns auch heute noch ins Gedächtnis rufen.“ Maas sieht Berlin in besonderer Verantwortung.

Der Sozialdemokrat will eine „Allianz für den Multilateralismus“ schmieden, das Ideal einer Weltgemeinschaft in Zeiten hochhalten, in denen in Washington, Moskau und Peking unverhohlen die Rückkehr zum Recht des Stärkeren propagiert wird. Ein nobles Ziel – aber mit der Praxis der bundesrepublikanischen Außenpolitik leider nur bedingt vereinbar.

Es ist schwer, ein Bündnis für internationale Solidarität zu schmieden, wenn sich in europäischen Hauptstädten der Eindruck festsetzt, dass Deutschland in entscheidenden Fragen auf internationale Solidarität pfeift. Womit man am Greifswalder Bodden wäre. Hier endet die Nord-Stream-2-Pipeline, die die Erdgasmengen verdoppeln soll, die auf direktem Weg von Russland nach Deutschland gelangen. Das Investitionsvolumen beträgt 9,5 Milliarden Euro. Doch die wahren Kosten der Pipeline sind nicht in Euro aufzurechnen: Auf dem Spiel steht das Vertrauen in die deutsche Außenpolitik.

Ostseepipeline

Nord Stream 2 spaltet Europa – Jetzt wächst auch in Berlin der Widerstand

Nord Stream 2 hat viele Gegner, nicht nur in Washington, wo Lobbyisten die Chance wittern, teures Flüssiggas loszuschlagen. Die Osteuropäer wollen die Pipeline verhindern, die Briten und Dänen auch, und in Brüssel opponieren Kommission und Parlament in seltener Eintracht gegen das Projekt.

Deutschland rechtfertigt sich: Eine einseitige Abhängigkeit von Moskau ergebe sich nicht, und die gesteigerte Versorgungssicherheit komme letztlich auch Osteuropa zugute. Das mag stimmen, lenkt aber vom Kern des Problems ab: Die neue Pipeline sichert dem Kreml zusätzliche Devisen – und das in einer Zeit, in der Moskau Rohstoffgewinne für Militäraktionen, Desinformationskampagnen und Rüstungsprojekte investiert, die Europas Sicherheit untergraben.

Verwandte Themen Erdgas Russland Europäische Union Europa Ukraine

Dass Berlin jahrelang behauptet hat, Nord Stream 2 sei ein rein privatwirtschaftliches Vorhaben, war Ausdruck einer Arroganz, die man für historisch überwunden hielt. Die Pipeline wird nur in Betrieb gehen können, wenn Deutschland seine Interessen gegen seine Nachbarn durchboxt. Dabei sucht die Bundesregierung gerade den Schulterschluss mit anderen EU-Staaten, um sich der Sanktionspolitik der USA zu widersetzen.

Schleierhaft, wie das gelingen soll, wenn die Berliner Antwort auf „America first“ in Energiefragen auf „Deutschland zuerst“ hinausläuft. Ein Stopp der Pipeline wäre keine Kapitulation vor dem polternden US-Präsidenten Donald Trump, wie Nord-Stream-2-Unterstützer gern behaupten – im Gegenteil: Er wäre die Voraussetzung für eine Außenpolitik der EU, die der Trump-Regierung die Stirn bieten kann.

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