Kommentar: Tue nichts ohne Rat: Das Wirtschaftsweisen-Patt zeigt, dass es ein neues Gremium braucht

Kann die Regierung sich nicht darauf verlassen, sich auf eine Mehrheitsmeinung stützen zu können, droht die ökonomische Sicht ignoriert zu werden.
Wenn man sich bei den Wirtschaftsweisen auf etwas verlassen konnte, dann, dass es nur eine Weisheit gab. In ihrem Jahresgutachten legte der „Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung“ stets eine Mehrheitsmeinung zu den aktuellen Fragen der Wirtschaftspolitik dar. Minderheitsvoten wurden da schnell zur Nebensache.
Jetzt ist alles anders. Erstmals in der fast 60-jährigen Geschichte des Rates ist es im aktuellen Jahresgutachten zu einem Patt gekommen. Monika Schnitzer und Achim Truger sprechen sich für eine Reform der EU-Schuldengrenzen und die Finanzierung von Investitionen neben der Schuldenbremse aus – Veronika Grimm und Volker Wieland dagegen. Dieses Vorgehen ist Fortschritt und Dilemma zugleich. Und es zeigt, dass es eine Neuaufstellung der ökonomischen Politikberatung in Deutschland braucht.
Die Koalitionsverhandler von SPD, Grünen und FDP scheinen sich im Zwist um Schuldenbremse und EU-Schuldenregeln festgefahren zu haben. So dringend wie selten zuvor hätte ein klares Votum des höchsten Ökonomen-Gremiums geholfen. Das ist ausgeblieben. Vorwerfen kann man das den Weisen nicht – im Gegenteil.
Der Rat galt lange als der Ordnungspolitik verschrieben. Die Gutachten waren selten überraschend. Davon verabschiedet sich das Gremium nun. Das ist richtig so, denn die Weisen sind eben nicht Berater der Regierung. Sie sind Begutachter der Lage – und zwar unabhängige. Und begutachten bedeutet eben, auch einmal klarzustellen, dass es gerade nicht die eine richtige Lösung gibt.
Ratsmitglied Truger wirbt schon lange dafür. Das tat er auch bei der Vorstellung des Gutachtens, man könne doch Pro und Kontra diskutieren und hinterher klären, wo wer steht. Ein paar Schmunzler manch seiner Kolleginnen und Kollegen handelte er sich damit ein. Doch zeigt das aktuelle Gutachten, dass das die Richtung ist, in die es geht.
Deutschland muss es wie die USA machen
Ein Problem hat die Entwicklung dennoch. Kann die Regierung sich nicht darauf verlassen, sich auf eine Mehrheitsmeinung stützen zu können, droht die ökonomische Sicht ignoriert zu werden. Natürlich wird die Regierung von weiteren Wirtschaftswissenschaftlern beraten, aber die institutionelle Organisation hat einen besonderen Stellenwert.




Die sich wandelnde Ausrichtung der Weisen zeigt, dass Deutschland es wie die USA machen sollte. Dort schart der Präsident im „Council of Economic Advisers“ seine ökonomischen Gefolgsleute gleich im Weißen Haus um sich.
Bei den wichtigen Themen sind sie natürlich auf einer Linie mit dem Chef. Deswegen muss Deutschland dringend am Sachverständigenrat festhalten. Aber bei konkreten Konzepten könnte ein weiteres Gremium nach US-Vorbild der Stimme der Ökonominnen und Ökonomen einen beträchtlichen Stellenwert verleihen. Ganz getreu der Maxime „Tue nichts ohne Rat, so reuet es dich nicht nach der Tat.“
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