Kommentar: Warum Europa ökonomisch immer weiter hinter die USA zurückfällt


Lars Klingbeil steht am Mittwoch vergangener Woche vor dem Weißen Haus in Washington. „Eine Pressekonferenz aus dem Gebäude hinter mir“, sagt der Bundesfinanzminister mit finsterer Miene, „und schon kommt es zu neuen Turbulenzen in der Weltwirtschaft.“
Die Szene beschreibt treffend die aktuelle Rolle Europas in der Welt. Wie Klingbeil vor dem Weißen Haus ist Europa im Spiel der Großmächte nur noch ein Zaungast. Ob Handelspolitik, Ukrainekrieg oder globale Finanzpolitik – US-Präsident Donald Trump setzt die Agenda, ohne seine einstigen Partner aus Europa.
Dass Deutschland versucht, vom Multilateralismus zu bewahren, was noch zu retten ist, ist aller Ehren wert. Auf absehbare Zeit ist das aber keine Strategie, um auf globaler Bühne vom Katzen- an den Entscheidertisch zurückzukehren.
Dies wird Europa nur gelingen, wenn europäische Souveränität kein Schlagwort bleibt – und es wieder zu solch einer starken Wirtschaftsmacht wird, dass auch die USA und China nicht an der EU als Ordnungsmacht vorbeikommen.
Jede Woche wird offensichtlicher, wie sehr die USA die Axt an den Multilateralismus legen. Die US-Politik beschränkt sich dabei längst nicht mehr auf das Offensichtliche, die Handelspolitik. Stück für Stück demontiert Trump das, was sich Europäer und USA einst mühsam aufgebaut haben.
Trump überträgt seine „America first“-Politik auf die internationalen Organisationen
Zwar steigen die USA anders als noch im Frühjahr von manchen befürchtet nicht aus IWF und Weltbank aus. Aber vor allem deshalb nicht, weil Trump erkannt hat, dass er beide Organisationen für seine Zwecke einspannen und seine „America first“-Politik auf sie übertragen kann.
Statt das Klima zu schützen, soll die Weltbank etwa nach Trumps Willen wieder fossile Energieträger wie Kohle fördern. Und der IWF könnte noch als Back-up herhalten müssen, sollten die hohen Kredite, die Trump seinem argentinischen Freund Javier Milei gewährt hat, im Strudel der gescheiterten Reformpolitik des einstigen Kettensägenmanns untergehen.
Auch die mühsam erarbeiteten globalen Kompromisse der vergangenen Jahre stellt Trump infrage. Die globale Mindeststeuer ist tot, seitdem sich die USA im Sommer Sonderrechte herausverhandelt haben. China und Indien drängen nun ebenfalls auf Ausnahmen, ohne die drei Großmächte ergibt die Mindeststeuer aber keinen Sinn mehr.
Neue US-Deregulierungsagenda
Ein noch größeres Problem könnte für Europa die neue Deregulierungsagenda der US-Regierung werden. Trump will alle Lehren der Finanzkrise von 2008 über den Haufen werfen und die Bankenregulierung zurückdrehen, um seinen Freunden von der Wall Street zu gefallen.
Das würde europäische Banken im Wettbewerb mit den US-Finanzhäusern noch weiter zurückwerfen. Und über alledem hängt der schwelende Handelskonflikt zwischen den USA und China wie ein Damoklesschwert über der Weltwirtschaft.
Nach dem bisherigen Verlauf dürfte sich Trump jedenfalls ermuntert fühlen, mit seiner Zollpolitik weiterzumachen. Der IWF hat seine Konjunkturprognose für die USA trotz der Handelsstreitigkeiten erhöht. Und an den Finanzmärkten, von denen man sich eine disziplinierende Wirkung auf Trump erhoffte, ist ein gewisser Gewöhnungseffekt eingetreten. Die Ausschläge hielten sich bei den jüngsten Zolldrohungen Trumps in Grenzen. In der Bundesregierung besteht deshalb nicht ohne Grund die Sorge, das angesetzte Treffen von Trump und Xi Jinping könnte zulasten Europas gehen.






Solange Europa militärisch abhängig von den USA ist, wird die EU nicht aus ihrem Modus der Anbiederung an Trump herauskommen können. Will Europa aber wieder auf globaler Bühne ein Wörtchen mitreden, muss es zu eigener Stärke zurückfinden. Klingbeil beschwor vergangene Woche in Washington einen „europäischen Patriotismus“. Der ist sicher notwendig. Am Ende kommt es aber vor allem auf eines an: auf wirtschaftliche Stärke.







