Kommentar: Wie eine Python drückt Russland der Ukraine die Luft zum Atmen weg
Mehr als 20 ukrainische Matrosen hält das russische Militär fest.
Foto: dpaDer Konflikt zwischen Russland und der Ukraine um die annektierte Halbinsel Krim wird nun wieder zur Glaubensfrage: Ist es die böse Nato, die Kiew darin bestärkt, sich Russland im Schwarzen Meer entgegenzustellen? Oder ist es Kremlherr Wladimir Putin, der nun weitere Teile der Ukraine destabilisieren oder sich am Ende gar selbst das ganze Land einverleiben will?
Im Asowschen Meer bahnt sich seit Monaten ein neuerlicher Großkonflikt an, der jetzt durch die russischen Attacken eskaliert. Im östlich der Krim gelegenen Gewässer kontrolliert Russland faktisch den Zugang durch seine Megabrücke, die von Kertsch auf der annektierten Krim ins russische Festland führt. Moskau hat festgelegt, welche Schiffe dort noch hindurchfahren dürfen – wegen angeblicher Sicherheitsbedenken.
Damit schneidet der Kreml geschmeidig die im von Kiew kontrollierten Teil der umkämpften Ostukraine gelegenen Stahlwerke, Kohlegruben, Mais- und Weizenfelder vom Zugang zu großen Transportschiffen ab und treibt die ohnehin ökonomisch schwache Ukraine noch weiter in die Enge.
Außerdem stoppt die russische Küstenwache seit Monaten Frachter, die ukrainische Häfen am Asowschen Meer anlaufen. Damit werden die ökonomisch dringend nötigen Stahlexporte weiter verzögert und verteuert. Wie eine Python drückt Russland langsam aber beharrlich der Ukraine die Luft zum Atmen weg.
Putin hingegen wirft der Ukraine wegen der Verlegung von Patrouillenbooten ins Asowsche Meer „Provokation“ vor. Der Präsident der Ukraine, Petro Poroschenko, hat wegen des Beschießens und Festsetzens der ukrainischen Schiffe durch die russische Armee für 30 Tage den Kriegszustand ausgerufen.
Poroschenko, das werfen ihm Politiker in Moskau jetzt vor, habe wegen der Präsidentenwahl im März den Konflikt gezielt vom Zaun gebrochen. Die Eskalation mit Moskau solle dem zunehmend unpopulären ukrainischen Staatschef aus dem Umfragetief verhelfen. Dieselben Moskauer PR-Strategen verschweigen indes, dass auch Putins Umfragewerte erheblich abgerutscht sind.
Denn am beliebtesten war Putin gleich nach der Einnahme der Krim, was Russland ein überbordendes Wir-Gefühl bescherte. Bei den ökonomischen Schwierigkeiten aus Sanktionen und Missmanagement hat das Ansehen des Kremlchefs seither arg gelitten. Ein kleiner, neuer, erfolgreicher Krieg poliert Putins Image deutlich mehr auf als das von Poroschenko.
Außenpolitische Konflikte, die innenpolitisch motiviert sind, sind immer brandgefährlich. Denn bei ihnen fehlt oft jede Ratio. So ist es nun auch beim ersten „offiziellen“ militärischen Aufeinandertreffen beider Staaten. Im Krieg im Donbass versteckt sich Russland ja hinter angeblich unabhängig kämpfenden Separatisten.
Bei der Annexion der Krim hinter „grünen Männchen“ – Soldaten ohne Hoheitsabzeichen –, von denen Putin allerdings später einräumte, sie seien „natürlich“ russische Militärs gewesen. Nun aber erstmals die direkte Konfrontation ukrainischer und russischer Kanonenboote.
Auch jetzt bezichtigt Putin Kiew der militärischen Aggression. Und im Windschatten dieser Vorwürfe destabilisiert der Kreml wieder die Ukraine, die sich wirtschaftlich zuletzt etwas erholt hat. Zugleich lenkt Moskau davon ab, dass die im Donbass selbst ernannten Separatisten-Republiken politische Diktaturen und ökonomisch ein Desaster sind. Auch die Eroberung der Krim kostet den Kreml bis heute Milliarden. Geld, das Russland dringend für den Umbau der heimischen Wirtschaft und Sozialsysteme bräuchte.
Ob andererseits Poroschenko ein Militärabenteuer wirklich nützt, wie ihm Kritiker in Russland, aber auch Europa, als Motivation unterstellen, darf bezweifelt werden. Denn seine Armee ist zwar deutlich kampftauglicher geworden, aber bis heute der Großmacht Russland hoffnungslos unterlegen. Militärische Niederlagen aber führen zu politischen Demütigungen und mitnichten zu Erfolgen an der Wahlurne.
Indes gelingt es Russland, nach der Krim nun auch noch das Asowsche Meer unter seine Kontrolle zu bringen und den Osten der Ukraine immer weiter zu destabilisieren. Eben wie eine Python. Militärisch wird es für die Ukraine keine Lösung geben. Aber Kiew jetzt auch noch Aggression vorzuwerfen ist infam. Denn das macht Opfer zu Tätern.
Die EU braucht endlich eine gemeinsame Ostpolitik, die eine europäische Strategie für die Kooperation sowohl mit Russland wie auch Russlands ehemals sowjetischen Nachbarn definiert. Dabei darf der immer wieder aufflammende Konflikt zwischen Russland und der Ukraine die EU nicht ermüden. Oder zu Abwehrreaktion führen, damit nichts mehr zu tun haben zu wollen.
Putin wird alles dafür tun, dass die Ukraine scheitert. Denn würde sie sich zu einem wenig korrupten, modernen und wirtschaftlich prosperierenden Staat entwickeln, hätten seine Oligarchenseilschaften im eigenen Land keine Rechtfertigung mehr. Wird aber die Ukraine wieder zu Moskaus Vasallenstaat, würde Europas Sicherheitsarchitektur nachhaltig gestört. Das Schicksal der Ukraine darf Europa also keineswegs gleichgültig sein.