Leserforum: Muss die Pflegeversicherung reformiert werden?

Steigende Preise und die alternde Gesellschaft in Deutschland machen sich bemerkbar: Der Pflegeversicherung fehlt Geld. Für 2024 rechnen die Kassen mit einem Defizit von 1,5 Milliarden Euro, für 2025 sogar mit 3,5 Milliarden.
Wir haben unsere Leserschaft gefragt: Welche strukturelle oder finanzielle Reform braucht es für die Stabilisierung der Pflegeversicherung?
Um das finanzielle Loch zu stopfen, schlagen viele Leserinnen und Leser vor, dass zukünftig auch Selbstständige und insbesondere Beamte einzahlen sollen. Dass das noch nicht der Fall ist, empfinden viele als „zutiefst ungerecht“, wie eine Leserin schreibt. Ein anderer Leser schlägt vor, Besserverdienende und große Vermögen höher zu besteuern.
» Lesen Sie auch: Der nächste Offenbarungseid von Karl Lauterbach
Ein anderer Leser stimmt zu und argumentiert: Damit könnte die „hart arbeitende Mitte tatsächlich spürbar entlastet werden“.
Gleichzeitig müsse in der Pflegeversicherung auch strukturell einiges reformiert werden, finden viele Leserinnen und Leser. So sollten zum Beispiel strengere Kontrollen etabliert werden, um „zigtausendfachen Sozialbetrug“ zu unterbinden, schreibt ein Leser. So könnten vorhandene Mittel besser eingesetzt werden, argumentiert ein anderer Leser.
Auch sollte zum Zwecke der „Effizienzsteigerung“ das ganze Pflegesystem stärker digitalisiert werden und „von der überbordenden Bürokratie und dem Dokumentationswahn“ befreit werden, so ein weiterer Vorschlag aus der Leserschaft.
Für die aktuelle Ausgabe unseres Leserforums haben wir aus den unterschiedlichen Zuschriften eine Auswahl für Sie zusammengestellt.
Demografische Überraschung
„Der bevorstehende Beitragsschock ist zurückzuführen auf zweierlei: den demografischen Wandel mit seiner ansteigend alten, nicht erwerbstätigen Bevölkerung, der jede neue Regierung wieder völlig zu überraschen scheint, und auf die gleichzeitig steigenden Systemkosten. Diese immer wieder gänzlich unvorhersehbare Herausforderung erfordert eine stärkere Förderung und Einforderung von privater Vorsorge, inklusive einer zumindest teilweise kapitalgedeckten Pflegeversicherung.
Außerdem: Effizienzsteigerung durch Digitalisierung, zentral gesteuerte Kostenoptimierung und an die Alterserwartung gekoppelte Beitragserhöhungen mit sozialem Ausgleich.
Zudem ist eine ausgewogene Balance zwischen marktorientierten Maßnahmen und sozialer Gerechtigkeit essenziell, um das System zukunftssicher zu gestalten. Meine aus der Vergangenheit gestützte Erwartung ist jedoch, dass die dafür notwendige Konsequenz in Berlin auch in Zukunft gescheut werden wird und dafür ein Weiter-so garniert mit wachsenden Bürokratiemonstern und in die jeweils nächste Legislatur verschobenen Schockbeitragssteigerungen das Mittel der Wahl sein wird.“
Oliver Dange
Bundesregierung in der Pflicht
„Die Bundesregierung hat die Pflegerücklagen ge‧plündert in Coronazeiten und zahlt die wohl nicht zurück. Jetzt soll also die Allgemeinheit dafür aufkommen.
In erster Linie ist die Bundesregierung gefragt, die Verpflichtungen einzugehen. Und eine angespannte Lage des Bundeshaushalts ist kein Argument. Es gibt genug Geld und Vermögen in wenigen Händen in Deutschland.
Und hier kann der Staat sofort zugreifen: Besteuerung von hohen Einkommen und Vermögensabgaben, zum Beispiel Erbschaftsteuer oder direkt auf Vermögenswerte. Bis in die 1980er wurden hohe Einkommen und Vermögen höher besteuert, und die Welt ist nicht untergegangen.“
Klaus Fuchs
Reformen wurden jahrelang aufgeschoben
„Die Politik muss hier ehrlich sein ... seit Jahren wurden die notwendigen Reformen nicht umgesetzt, um weiterhin bei den Bürgern in der Gunst zu bleiben. Ohne Beitragserhöhung wird es nicht gehen.
Dies sollte sozialverträglich umgesetzt werden, alle müssen ihren möglichen Teil dazu beitragen, unsere Pflegebedürftigen pflegen zu können. Auf der Kostenseite müssen auch entsprechende Reformen kommen.“ Alexander Kleerbaum
» Lesen Sie auch: Mehr Patienten, mehr Kosten: Diese Reformen wären dringend nötig
Ausnahmslos alle sollten einzahlen
„Für mich ist es eine dringende Option, dass wir alle in die Kranken- und Pflegeversicherung einzahlen. Und dies bedeutet für mich, dass ab möglichst sofort auch alle Beamten in diese beiden Versicherungsarten einzahlen.
Die Zeiten haben sich gewandelt. Wir müssen dringend darüber sprechen – insbesondere deshalb, da viele versuchen, aus wirtschaftlichen Sicherheitsgründen in den Beamtenstatus einzuziehen, und die Bundesländer ihrerseits aufgrund von Personalnotstand mit diesem Beamtenstatus locken. Dieses Prinzip empfinde ich in heutiger Zeit als zutiefst ungerecht.“
Katrin Gugl

Bye-bye Vollversorgung
„Langfristig sehe ich die einzige Möglichkeit, Pflege-, aber auch Krankenversicherung überhaupt nachhaltig absichern zu können, indem sich Deutschland von der Vollversorgungsmentalität verabschiedet.
Es bedarf einer Diskussion über den Umfang von notwendigen Grundleistungen und von den Bürgern selbst abzusichernde Zusatzleistungen.“
Hendrik Meyer
Beamtenprivilegien einschränken
„Meines Erachtens wird es Zeit für einen partiellen Systemwechsel. Dies wird erreicht, indem Beamte an der Finanzierung der Sozialversicherung beteiligt werden.
Dies kann zu reduzierten Tarifen und stufenweise über mehrere Jahre erfolgen, um Härten zu vermeiden. Zudem sollte der Kreis der Beamten eingeschränkt werden. Lehren ist meines Erachtens keine hoheitliche Aufgabe.“
Michael Ade
Höhere Einkommen stärker belasten
„Mit der Pflegeversicherung verhält es sich wie mit unserem gesamten Sozialversicherungssystem: Solange die höchsten Einkommen und die größten Vermögen nicht adäquat an der Finanzierung beteiligt werden, lässt sich das Dilemma nicht lösen.
Alle Einkunftsarten sollten sozialversicherungspflichtig sein. Darüber hinaus sind zigtausendfacher Sozialbetrug und zigtausendfacher Steuerbetrug mit aller Macht zu unterbinden. Auf diesem Weg könnte die ‚hart arbeitende Mitte‛ tatsächlich spürbar entlastet werden. Unrealistisch, bloße Utopie? Ich glaube, man muss es nur wollen und machen.“
Peter Bürger
Die Lösung ist so einfach
„Um die Sozialversicherungen dauerhaft ausreichend, solidarisch und fair mit Mitteln auszustatten, gibt es eine überaus einfache Lösung: Es müssen von jedem Bürger von allen Einkünften Beiträge erhoben werden – ohne Beitragsbemessungsgrenze, denn warum sollten ausgerechnet die hohen Einkommen anteilig geringer herangezogen werden als die kleinen Einkommen?
Jeder Bürger zahlt auf jeden Euro Einkommen den gleichen, dann ganz sicher sogar geringeren Prozentsatz, um die solidarische Krankenversicherung und Pflegeversicherung dauerhaft in die Lage zu versetzen, die Gesellschaft gesund zu erhalten und wenn nötig zu pflegen.“
Stefan Bluemer
Es darf keine Beitragserhöhungen geben
„Die Reform der Pflegeversicherung darf nicht zu weiteren Steuer- oder Beitragserhöhungen führen, da diese die ohnehin hohe Belastung von Bürgerinnen und Bürgern sowie Unternehmen nur weiter verstärken würden.
Stattdessen brauchen wir eine effizientere Nutzung der vorhandenen Mittel durch den Abbau von Bürokratie und eine konsequente Digitalisierung in der Pflege.
Die Eigenverantwortung der Menschen muss gestärkt werden, etwa durch gezielte Anreize für private Vorsorge, um die staatliche Pflegeversicherung langfristig zu entlasten. Zudem müssen wir Modelle entwickeln, die pflegende Angehörige stärker unterstützen, um die teure stationäre Pflege zu entlasten.
Unsere Aufgabe ist es, finanzielle Stabilität zu schaffen, ohne dabei die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft zu gefährden.“
Elias Plattfaut
Pflege darf nicht in die Privatwirtschaft
„Die Pflegeversicherung ist staatlicherseits verpflichtend. Dann sollte auch der Staat die Pflege organisieren und nicht der profitorientierten Privatwirtschaft mit teilweise ausbeuterischen Arbeitsbedingungen überlassen werden.
Ob der Staat es allerdings günstiger und dann auch besser kann, steht auf einem anderen Blatt.“
Michael Fenner
Pflege sollte von kleinen Unternehmen betrieben werden
„Die Erhöhung des Pflegeversicherungsbeitrags sollte aus meiner Sicht nur der letzte Schritt sein. Stattdessen: Pflegeheime sollten bevorzugt von kleineren Unternehmen betrieben werden, um übermäßigen Profitdruck zu vermeiden.
Krankenhäuser sollten staatlich betrieben werden, um zu verhindern, dass Investoren den Fokus nur auf Gewinnmaximierung legen. Der verstärkte Aufkauf von Arztpraxen durch große Investoren sollte intensiver untersucht werden, um sicherzustellen, dass die Abrechnungen gegenüber den Krankenkassen im rechtlichen Rahmen bleiben und keine übermäßige Gewinnerzielung angestrebt wird.
Jede Großstadt sollte mindestens ein Pflegeheim in öffentlicher Hand haben, dessen Kapazität an die Größe der Bevölkerung angepasst ist. Insgesamt müssen Kontrolle und Transparenz in der Pflege und Gesundheitsversorgung gestärkt werden, um die Qualität und Fairness zu gewährleisten.“
Ali Karaman
Überbordende Bürokratie eindampfen
„Mein Vorschlag für strukturelle Änderungen, die erheblich die Kosten reduzieren: Sozialversicherungspflicht für alle, also auch Beamte, Selbstständige, Soldaten, Richter, Politiker.
Das hilft nicht nur der Kranken- und Pflegekasse, sondern auch der Rentenkasse. Schluss mit dem Verhau der unzähligen Krankenkassen, eine reicht völlig aus. Das Gesundheits- und Pflegewesen von der überbordenden Bürokratie und dem Dokumentationswahn befreien.
Qualitätsstandards auf ein vernünftiges Maß zurückfahren, da sich die meisten Standards auf die Prozessqualität und nicht auf die Ergebnisqualität beziehen.“
Hans Jung




Wenn auch Sie sich im Forum zu Wort melden möchten, schreiben Sie uns per E-Mail an forum@handelsblatt.com oder auf Instagram unter @handelsblatt.






