Kommentar: Robert Habeck entdeckt die Linkspartei – bloß zu spät


Der Wahlkampf der Grünen war in drei Phasen aufgeteilt. Als Robert Habeck am Freitag in der Hamburger Fischauktionshalle steht, etabliert er kurzerhand eine vierte Phase. Und das zwei Tage vor der Bundestagswahl.
In der ersten Phase hatte Habeck versucht, sein ramponiertes Image aufzupolieren. Danach nahm er es im Wahlkampf mit fast allen auf: der Union, der SPD, der AfD sowieso. Aber er hätte es mit allen aufnehmen müssen. Das hat Habeck jetzt erkannt, wie er in Hamburg deutlich machte. In den Wochen zuvor aber hat er die Flanke zur Linkspartei offengelassen – und das droht teuer zu werden.
In der Fischauktionshalle ging Habeck zuerst die SPD an. „Die SPD wird etwa zehn Prozent verlieren“, sagte Habeck mit Blick auf das mögliche Wahlergebnis der Sozialdemokraten und meinte eigentlich Prozentpunkte. „Sie wird nicht kraftvoll für ihre Inhalte verhandeln“, warnte er. Der Grüne hatte schon in Phase drei des Wahlkampfs versucht, die rot-grünen Wechselwähler für sich zu gewinnen.
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Dann war CDU/CSU dran. Habeck rief: „Sehr geehrte Damen und Herren, vor allem die Wählerinnen der Union, wenn Sie nicht glauben, dass das Wiederholen des Ewiggestrigen die Antwort für die Zukunft gibt, dann wählen Sie am Sonntag nicht die Union, sondern geben uns Ihre Stimme für die Veränderung.“ Der Grüne hatte schon in Phase zwei des Wahlkampfs versucht, enttäuschte Wähler von Ex-Kanzlerin Angela Merkel zu gewinnen.
Dann kam die neue, vierte Phase. „Liebe Wählerinnen und Wähler der Linkspartei, es ist gut, dass es eine laute Opposition gibt“, sagte er. „Wenn ihr aber nicht nur wollt, dass die Dinge laut benannt werden, sondern, dass sie versucht werden, auch Wirklichkeit zu werden, dann wählt am Sonntag die Grünen.“
Habeck kann den Linken-Aufstieg nicht auf Merz schieben
Habeck hat mittlerweile erkannt, dass er mindestens genauso so sehr gegen Union und SPD ankämpfen muss wie gegen die Linkspartei. Die Linken sind wie Phönix aus der Asche wieder auferstanden, in den Umfragen sind von drei auf zuletzt bis zu acht Prozent gestiegen und werden ziemlich sicher wieder in den Bundestag einziehen. Das voraussichtlich gute Ergebnis wird vor allem auf Kosten einer Partei gehen: den Grünen.
Habeck behauptet öffentlich, CDU-Chef Friedrich Merz habe den Linken die Renaissance verschafft, indem er seinen Migrationsantrag mithilfe der AfD durchbrachte. Das greift zu kurz, und Habeck dürfte das wissen.
Entweder hat er selbst Wähler verschreckt, womöglich mit seinem Zehn-Punkte-Papier zur Migrationspolitik und, das zwar nicht inhaltlich, aber im Ton ziemlich scharf war – und erst recht der wieder gelöschte Instagram-Post seiner Vertrauten und Parteichefin Franziska Brantner. Das könnte manchen zu den Linken getrieben haben. Oder die Linkspartei hat nach Merz' AfD-Stunt jene mobilisiert, die zuvor nicht wählen wollten. Aber auch da müsste Habeck sich vorwerfen, dass er diese Leute nicht zu sich geholt hat.

Nun ließe sich sagen: Die neunmalklugen Journalisten meinen hinterher natürlich immer, sie hätten es besser gewusst. Aber es ist nicht so, dass Habeck nicht gewarnt worden wäre. In den Führungsrunden der Partei haben einzelne Spitzenkräfte der Grünen durchaus darauf aufmerksam gemacht, dass die Linkspartei wieder ein Thema werden könnte, und es eine Reaktion darauf braucht.
Habeck und sein Team haben nicht darauf gehört. Er fürchtet schon immer, dass die Grünen wieder den Weg in die Bequemlichkeit suchen und ausschließlich auf Klimaschutz und Identitätspolitik setzen, um ihre Kernklientel zu bedienen. Es gibt nicht wenige im linken Flügel, die das gern genauso machen würden.
Mitte heißt nicht zwangsläufig links verlieren
Doch Habeck hat mit dieser Sorge ausgeblendet, dass er diese Seite nicht einfach ignorieren kann. Denn grundsätzlich kann seine Politik des „Ausgreifens“ es möglich machen, neue Milieus in der Mitte zu erreichen, ohne nach links zu verlieren. Das ist kompliziert, geht aber, wenn man sich mit unterschiedlichen Ansprachen und Inhalten an diese unterschiedlichen Personen wendet.
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Darauf haben Habeck und sein Team offensichtlich aber zu wenig Wert gelegt. Er hat zuletzt zwar den Klimaschutz wieder stark betont. Damit dringt er aber womöglich zu wenig durch, weil er das Klima zuvor lange als Randnotiz behandelt hatte – und weil es den Linken-Wählern wohl mehr um die starke Betonung einer humanen Asylpolitik geht.
„Das war der Wahlkampf, den ich führen wollte“, rief Habeck am Freitag in der Hamburger Fischhalle in die jubelnde Menge. Was den Zuspruch in den Hallen, die Neueintritte und Spenden betrifft, war das sicherlich so. Einen Wahlkampf, indem er zwei Tage vor der Wahl noch eine neue Phase mit einem neuen Gegner etablieren muss, wollte er aber sicherlich nicht führen.
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