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Morning BriefingAcht Corona-Widersprüche

Hans-Jürgen Jakobs 19.10.2020 - 06:00 Uhr Artikel anhören

Guten Morgen liebe Leserinnen und Leser,

das sind die Widersprüche unserer Zeit: Dass wir soziale Kontakte meiden, aber solidarisch sein sollen. Dass uns steigende Rekordzahlen bei Neuinfektionen nicht schrecken, weil wir ja besser testen. Dass Leichensäcke in Bergamo und New York uns berühren, Horror-Statistiken aus Frankreich und Großbritannien aber nicht. Dass die Freiheit des Einzelnen nicht länger endet, wo die Freiheit des Anderen beginnt. Dass die Freiheit im Westen zum Risiko wird und die chinesische Unfreiheit zum Schutz. Dass die meisten die Corona-Regeln einhalten, wir aber über jene reden, die das nicht tun. Dass Krawalle bei Anti-Corona-Demonstrationen der neueste Kollateralschaden der Pandemie sind. Dass wir uns auf Antigen-Schnelltests verlassen, die nicht halten, was sie versprechen.

Beruhigend will in dieser Lage FDP-Chef Christian Lindner wirken. Er kritisiert, dass in der Coronakrise allgemein nur auf Neuinfektionen geschaut wird, etliche Experten aber auch die Situation in den Arztpraxen und bei der stationären Versorgung in Spitälern berücksichtigt wissen wollen. „Insofern rate ich zur Vorsicht, wir sollten aber auch nicht überdramatisieren“, sagt der Liberale. Aus ihm spricht die Klugheit des Moments, der jedoch bei weiter exponentiell ansteigenden Infektionszahlen bald ein ganz anderer sein kann. Wer Frühindikatoren falsch deutet, muss sich über Spätindikatoren nicht wundern.

Foto: AFP

Wenn wir ehrlich sind, ist das ganze Sommergerede vom „New Normal“ längst Folklore und die Gefahr groß, dass überforderte Gesundheitsämter trotz Bundeswehrhilfe in immer mehr rot eingefärbten Zonen Ansteckungsketten nicht mehr zurückverfolgen können.

Veranstaltungen, wie wir sie kannten, bleiben für die nächsten Monate eine Illusion. Dies erkennt auch die allen Stürmen des Zeitgeists trotzende Regierungspartei CDU. In ihr mehren sich die Stimmen, den Krönungsbundesparteitag im Dezember mit 1001 Delegierten nicht als Live-Real-Ereignis abzuhalten, sondern allenfalls virtuell. „Es ist politisch nicht zu vermitteln, dass wir uns zu einem Parteitag treffen, während der Rest des Landes zu Hause bleiben muss“, sagt uns ein Mitglied der Parteiführung.

Die Republik stecke in der größten Krise seit ihrer Gründung, führt Fraktionschef Ralph Brinkhaus im „Tagesspiegel“ aus, „unter den Top fünf unserer Agenda steht da nicht, wer Parteivorsitzender wird“. Mein Fazit: So räumt man Themen ab und zerschlägt die Hoffnungen von Armin Laschet, Friedrich Merz, Norbert Röttgen oder Herrn X oder Frau Y, schon bald zum neuen Chef der Christdemokraten zu werden.

Wenn es um Corona geht, sind bisher jene Interessensvertreter, die am lautesten riefen und damit die Politik beeindrucken konnten, relativ gut weggekommen. Der Profifußball vorneweg, von Kultur war viel weniger die Rede. Umso beeindruckender ist die Idee der in München lebenden Schwestern Anne Solveig Weber und Alice Weber, über ihren vor ein paar Monaten gegründeten Verein Coupon Concerts für vergleichsweise niedriges Honorar Spitzenmusiker für Hauskonzerte zu vermitteln. Schirmherr: das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks.

Gestern Abend hörte ich die Geigerin und die Bratschistin in einem Salon Bach, Mozart und Bartók spielen – und über ihr eindrucksvolles Start-up-Projekt reden. 150 Konzerte haben die beiden Gründerinnen inzwischen vermittelt und 40.000 Euro an derzeit beschäftigungslose Musiker überwiesen. Ein schöner Gedanke: „Die Musik spricht für sich allein. Vorausgesetzt, wir geben ihr eine Chance“, hatte Violin-Legende Yehudi Menuhin erkannt.

Foto: Reuters

Neulich hatte ich die Aufgabe, für unsere Zeitung ein Hybrid-SUV zu testen. Irgendwann fragt man sich bei einem solchen Unterfangen unweigerlich, was man da eigentlich tut. Zwei Motoren durch die Gegend zu fahren, in einem 2,5-Tonnen-Koloss, und dann auch noch große Ladezeiten und kleine Elektroreichweite lassen manches mit Umweltprämien betankte Geschäftsmodell nicht gerade als zukunftssicher erscheinen.

Nun zeigt sich, dass die Hybrid-Sonderkonjunktur generell eine dunkle Seite hat. Batteriehersteller schaffen es kaum noch, die lebhafte Nachfrage zu decken. Woraus Qualitätsmängel erwachsen, wie wir in unserer Titelstory schildern. Und so müssen nun mit Ford und BMW die ersten Autofirmen ihre so begehrten Plug-in-Hybride wegen Brandgefahr in die Werkstatt zurückrufen. Ford wird deshalb die neuen CO2-Emissionsgrenzen der EU verfehlen und sich nochmals die Regeln von Altmeister Henry Ford zu Gemüte führen müssen: „Der größte Feind der Qualität ist die Eile“.

Über den Umbau der Automobilbranche, über Hybrid-Hype, Verbrenners Tod und Google im Cockpit reden wir vom 4. bis 6. November beim Handelsblatt Auto-Gipfel, einem Klassiker unseres Veranstaltungskanons. Ich lade Sie ein, dieses Jahr digital dabei zu sein. Wir diskutieren mit vielen führenden Vertretern der Zunft, etwa mit BMW-Vorstandschef Oliver Zipse, VW-CEO Herbert Diess oder Porsche-Steuermann Oliver Blume. Details können Sie unserem Programm entnehmen. Wenn Sie dabei sein wollen, schreiben Sie mir an jakobs@morningbriefing.de. Ich habe ein Dutzend Tickets hinterlegt.

Foto: dpa

Ökonomen schauen heute gespannt nach China. Die Volksrepublik veröffentlicht neue Zahlen zum Bruttoinlandsprodukt (BIP). Nach einem Einbruch um zehn Prozent in den ersten drei Monaten hatte sich das BIP im zweiten Quartal mit einem Plus von 11,5 Prozent wieder deutlich erholt. Nun rechnen Experten mit 5,2 Prozent Wachstum gegenüber dem Vorjahreszeitraum.

Die chinesische Zentralbank stellt aktuell in Aussicht, dass die Wirtschaft des Landes 2020 insgesamt um rund zwei Prozent wachsen werde – das ist wenig gegenüber den gewohnten Raten von sechs plus X Prozent im Reich der Mitte, aber viel im Vergleich zu den Minuswerten in vielen Ländern der Welt. Das Problem Corona, das in China seinen Anfang nahm, scheint dort ein Ende gefunden zu haben.

Und dann ist da noch Khalifa bin Zayed al Nahyan, Präsident der Vereinigten Arabischen Emirate, den Kundige für einen der mächtigsten Männer der Welt halten. Auf jeden Fall gehört der Emir von Abu Dhabi in London mit einem Immobilienvermögen von 5,5 Milliarden Pfund zu den reichsten Landlords, wie der „Guardian“ ermittelte.

Das Imperium wurde auf leise, diskrete Art über viele Jahre zusammengekauft – via Briefkastenfirmen in Steueroasen und mithilfe von Top-Anwälten. 170 Objekte gehören zu Khalifas Konglomerat, von der Groß-Villa bis zum Bürokomplex für Hedgefonds. Doch Dokumente zeigen auch, wie sein Halbbruder, Kronprinz Mansour bin Zayed al Nayhan, nach der Macht und den Immobilien greift. Der de-facto-Anführer der Vereinigten Emirate ist als Besitzer des Fußballklubs Manchester City in England bestens eingeführt.

Ich wünsche Ihnen einen munteren Start in die Woche.
Es grüßt Sie herzlich

Verwandte Themen Ford BMW China Ralph Brinkhaus Oliver Blume Herbert Diess

Ihr

Hans-Jürgen Jakobs
Senior Editor

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