Morning Briefing: An diese drei Kurven knüpft Merz sein politisches Schicksal
Wirtschaftslage: Die Grafik, die alles sagt / Manipulationsvorwürfe: BBC-Chef tritt zurück
Guten Morgen liebe Leserinnen und Leser!
Drei Kurven machen Karriere: Anfang Oktober hielt Clemens Fuest einen Vortrag zur wirtschaftlichen Lage im Land. Auf einer Folie zeigt der Ifo-Präsident drei Zeitreihen: Der Staatskonsum steigt, das Bruttoinlandsprodukt (BIP) stagniert, die privaten Investitionen fallen.
Öffentlich zugängliche Daten, keine Geheimnisse. Doch schon die kleine Runde bei dem Vortrag sei angefixt gewesen, erinnert sich Handelsblatt-Reporter Julian Olk, der dabei war. Denn in Kombination zeigen die drei Parameter den Kern der deutschen Misere.
In dieser Woche nun hat Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) die drei Kurven zum Richter über sein politisches Schicksal gemacht. Er präsentierte die Fuest-Grafik der Unionsfraktion, heißt es von Insidern. Merz soll demnach gesagt haben: Wenn sich diese Linien in der laufenden Legislatur nicht wieder annäherten, dann müsse man sagen:
Ich glaube, ich war noch nie so sehr einer Meinung mit unserem Bundeskanzler. Übrigens – wer will, kann die Grafik noch um eine vierte Kurve ergänzen: die Stimmanteile der AfD.
Kapital fürs Klima gesucht
Dringender Bedarf für mehr Investitionskapital besteht zum Beispiel bei den deutschen Stadtwerken und Regionalversorgern. Sie müssen bis 2045 rund 535 Milliarden Euro in die Transformation zur Klimaneutralität investieren.
Doch diese Summe können die Unternehmen größtenteils nicht selbst aufbringen. Das geht aus einer Analyse der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PwC Deutschland für die staatliche Förderbank KfW hervor, die unserem Energie-Reporter Klaus Stratmann vorliegt.
PwC beziffert die Finanzierungslücke auf 346 Milliarden Euro. Nur etwa ein Viertel der Mittel können die Stadtwerke und Regionalversorger demnach aus eigener Kraft stemmen, weitere zehn Prozent können sie durch öffentliche Förderung einnehmen.
Für den Rest – rund 65 Prozent der benötigten Summe – fehlt bislang eine Lösung. Henry Otto, Leiter Energy Consulting bei PwC Deutschland, hält neben klassischen Bankkrediten „neue Finanzierungsinstrumente, Partnerschaften und innovative Modelle“ für nötig.
Konfliktträchtige Klimazölle
Bundesumweltminister Carsten Schneider rechnet wegen der geplanten EU-Klimazölle mit einem transatlantischen Konflikt. „Ja, das wird eine Auseinandersetzung mit den USA geben, gar keine Frage“, sagte der SPD-Politiker am Sonntag in der ARD. Diesen Kampf müsse Europa jedoch suchen, da sonst eine Dekarbonisierung der heimischen Industrie nicht möglich sei.
Hintergrund ist das europäische CO₂-Grenzausgleichssystem, das ab 2027 Abgaben auf Importe aus Ländern mit geringeren Klimaschutzstandards vorsieht. Dies würde auch die USA treffen.
Koalitionsstreit ums Bürgergeld
Politiker von CDU und CSU haben mit Unverständnis auf den Vorstoß der SPD-Linken reagiert, die Reform des Bürgergelds per Mitgliederentscheid zu stoppen. Union und SPD setzten nur den Koalitionsvertrag um, dem die Mitgliedschaft der SPD bereits einmal klar zugestimmt habe, sagte der CDU-Arbeitsmarktpolitiker Markus Reichel dem Handelsblatt.
Dennis Radtke, Vorsitzender des Arbeitnehmerflügels der CDU, nannte das Verhalten „bizarr“: Ein Großteil der SPD-Wähler attestiere Reformbedarf am Bürgergeld, „während die SPD-Funktionäre offenbar fröhlich Politik an ihrer eigenen Wählerschaft vorbei betreiben wollen“.
Am Freitag war bekannt geworden, dass SPD-Mitglieder offenkundig erfolgreich Unterschriften gesammelt haben, um innerhalb der Partei über die geplanten Verschärfungen beim Bürgergeld abstimmen zu lassen. Heute will Franziska Drohsel, ehemalige Vorsitzende der Jungsozialisten, dem SPD-Parteivorstand mehr als 4000 Unterschriften übergeben. Dies entspreche mehr als dem nötigen ein Prozent der Mitglieder.
BBC-Chef tritt zurück
Der Generaldirektor der britischen Rundfunkanstalt BBC, Tim Davie, ist unter anderem wegen des Vorwurfs zurückgetreten, der Sender habe Aussagen von US-Präsident Donald Trump verfälscht. Auch die BBC-Nachrichtenchefin Deborah Turness gibt nach Angaben des Senders ihren Posten ab. Die Zeitung „Daily Telegraph“ hatte zuvor über ein internes BBC-Dokument berichtet, das Fehler auflistete.
Dabei ging es auch um Trump. Demnach waren in einer Sendung zwei Teile einer Rede Trumps vom 6. Januar 2021 so geschnitten, dass der Eindruck entstand, er habe zum Sturm auf das Kapitol in Washington aufgerufen.
In der Dokumentation wurde Trump mit den Worten an seine Anhänger gezeigt: „Wir werden zum Kapitol hinuntergehen“ und dass sie „kämpfen würden wie die Hölle“. Die Aussagen stammten jedoch aus unterschiedlichen Teilen seiner Rede. Tatsächlich hatte Trump nach der Aufforderung, zum Kapitol zu gehen, gesagt, man werde dort „unsere tapferen Senatoren und Kongressabgeordneten anfeuern“.
Taugen Stiftungsfonds für Privatanleger?
Sogenannte Stiftungsfonds richten sich vor allem an – Sie ahnen es – Stiftungen. Aber auch Privatanleger können in diesen Investmentfonds ihr Geld anlegen. Es handelt sich dabei um Mischfonds, die typischerweise zwei Ziele zu vereinen suchen:
- Den Kapitalerhalt durch eine konservative Anlagestrategie sicherzustellen,
- und zugleich möglichst gleichmäßige Ausschüttungen zu gewährleisten.
Spitzenrenditen können die Stiftungsfonds nicht bieten. Aber sie können geeignet sein für Menschen, die aus ihrem Vermögen ein regelmäßiges passives Einkommen beziehen möchten, und nicht die Zeit haben, um einen eventuellen Kursverlust auszusitzen – zum Beispiel, weil sie schon älter sind.
Das Analysehaus Fondsconsult hat die Renditen, Ausschüttungen und Kosten von mehr als zwei Dutzend Stiftungsfonds untersucht. 2024 stiegen die durchschnittlichen Ausschüttungsquoten, also der Anteil der laufenden, ausgezahlten Erträge, für defensiv ausgerichtete Fonds laut der Auswertung auf mehr als 2,2 Prozent, nach 2,1 Prozent im Vorjahr. Für eher offensive Strategien kletterte der Wert von 2,5 auf knapp drei Prozent.
Welche Fonds am besten abgeschnitten haben, können Sie hier nachlesen.
Neuer Parteiname gesucht
BSW-Chefin Sahra Wagenknecht will heute erklären, welche Rolle sie künftig in der Partei spielen möchte. Zu Spekulationen über ihren möglichen Rückzug vom Bundesvorsitz hat die 56-jährige Gründerin bisher nur gesagt, sie werde sich weiter in „führender Position im BSW engagieren“.
Bei einer Pressekonferenz in Berlin mit Wagenknecht und ihrer Co-Vorsitzenden Amira Mohamed Ali soll nun ein „Vorschlag zur personellen Aufstellung des Präsidiums“ vorgestellt werden. Die Neuwahl ist für den BSW-Parteitag am 6. und 7. Dezember in Magdeburg geplant.
In Magdeburg wird auch über einen neuen Namen der Partei entschieden. Bei dem Kürzel BSW soll es bleiben. Die Langform soll aber nicht mehr für Bündnis Sahra Wagenknecht stehen. Die Parteispitze will stattdessen: „Bündnis Soziale Gerechtigkeit und Wirtschaftliche Vernunft“. Dem Landesverband Rheinland-Pfalz ist das zu wenig griffig, er wirbt für den Gegenvorschlag: „Bürger schaffen Wandel – Vernunft und Gerechtigkeit“.
Auch das finde ich nicht wirklich catchy, deshalb hier drei schnelle Alternativvorschläge. Nichts zu danken, Frau Wagenknecht!
- Bündnis sozialistischer Wertkonservativer
- Bargeld, Sozialismus, Wodka
- Bomben stoppen, Wladimir!
Okay, Vorschlag drei ist raus, fürchte ich. Aber man müsste ja nur „Wladimir“ gegen „für Wolodymyr“ austauschen, und schon wäre man ganz nah an der Seele der Partei.
Ich wünsche Ihnen einen unverwechselbaren Wochenauftakt.
Herzliche Grüße,
Ihr
Christian Rickens
Textchef Handelsblatt