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Morning BriefingDie neue Bundesregierung und der Rausch der großen Zahlen

Teresa Stiens 04.03.2025 - 06:30 Uhr aktualisiert Artikel anhören
Handelsblatt Morning Briefing

Finanzierungsproblem: Milliardenloch im Haushalt / Ostseepipeline: Verwirrung um Nord Stream 2

04.03.2025
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Guten Morgen liebe Leserinnen und Leser!

Die neue Bundesregierung ist noch nicht im Amt und steht schon jetzt vor einem gigantischen Finanzierungsproblem. Für die Haushaltsplanung der Legislaturperiode fehlt die enorme Summe von 130 bis 150 Milliarden Euro, wie meine Berliner Kollegen von Insidern der Sondierungsrunde zwischen Union und SPD erfahren haben. Bundesfinanzminister Jörg Kukies soll diese Zahl demnach in einer internen Runde in den Raum gestellt haben. Zur Erinnerung: Bei der Ampelregierung reichten 60 Milliarden fehlende Euro aus dem „Klima- und Transformationsfonds“, um die Finanzierungsgrundlage der Koalition zu sprengen und schließlich die Ampel selbst.

Jens Hogrefe, Haushaltsexperte am Kiel Institut für Weltwirtschaft, schätzt die Finanzierungslücke für die kommenden Jahre sogar noch größer ein:

Berücksichtigt man auch Finanzlöcher von Kommunen und Sozialversicherungen, für die der Bund eigentlich geradestehen sollte, beträgt die Haushaltslücke des Bundes bis einschließlich 2028 eher um die 200 Milliarden Euro.

Wie also regieren, wenn die Schuldenbremse im Grundgesetz einen Haushalt auf Pump weitgehend verbietet? Die Antwort lautet „Sondervermögen“. Neben einem solchen Spezialtopf für die Bundeswehr fordert die SPD auch Sondervermögen für Bildung und Infrastruktur. Die Ökonomen Clemens Fuest, Michael Hüther, Moritz Schularick und Jens Südekum reichen die passenden astronomischen Summen nach: Für die Bundeswehr biete sich ein Volumen von 400 Milliarden Euro an, für ein Sondervermögen Infrastruktur „eher 400 bis 500 Milliarden Euro“, heißt es in einem Papier für die Sondierungsgespräche, das meine Kollegen einsehen konnten.

Schon jetzt steht der künftige Kanzler Friedrich Merz vor einem Finanzproblem. Foto: IMAGO / photothek

Handelsblatt-Finanzpolitikexperte Martin Greive nennt diese umhergeworfenen Milliardenbeträge den „Rausch der großen Zahlen“. Er warnt den künftigen Kanzler Friedrich Merz (CDU) davor, diesem Rausch zu verfallen und den „großen Schluck aus der Pulle“ zu nehmen. Zwar habe sich die geopolitische Lage grundlegend verändert, zwar werde die junge Generation profitieren, wenn die Infrastruktur auf Vordermann gebracht werde, doch eine „schuldenfinanzierte 180-Grad-Wende“ sei nicht generationengerecht und schaffe neue Pfadabhängigkeiten. Mein Kollege fordert deshalb, den Haushalt auf Zukunftsfelder zu konzentrieren und die Zinslast neuer Schulden aus dem Kernhaushalt zu finanzieren. Die Bürgerinnen und Bürger müssten mit der unausweichlichen Wahrheit konfrontiert werden:

Krisen haben ihren Preis. Genau wie Schulden.

Die neue Einigkeit der Europäer im Ukrainekrieg hat keine 24 Stunden gehalten. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte von einer einmonatigen Waffenruhe „in der Luft, auf See und im Bereich der Energieinfrastruktur“ gesprochen, die er zusammen mit dem britischen Premier Keir Starmer vorgeschlagen habe. Doch der wollte von den Plänen gestern nichts wissen und distanzierte sich von Macrons Aussagen. „Es liegen verschiedene Optionen auf dem Tisch, vorbehaltlich weiterer Gespräche mit den USA und den europäischen Partnern, aber ein einmonatiger Waffenstillstand ist nicht vereinbart worden“, hieß es in britischen Regierungskreisen. Die Idee des französischen Präsidenten sei kein Vorhaben von Großbritannien.

Macron und Starmer schlugen noch am Sonntag eine einmonatige Waffenruhe in der Ukraine vor. Foto: dpa

Ich weiß nicht, wie es Ihnen ging. Aber als ich von den mutmaßlichen amerikanischen Plänen gehört habe, über die Köpfe der Europäer hinweg die Pipeline Nord Stream 2 wiederzubeleben, war meine erste Reaktion große Verwirrung. Welches Kalkül könnte für die Amerikaner dahinterstecken, eine Ostseepipeline zu fördern, die russisches Gas nach Zentraleuropa bringt? Schließlich exportieren die USA verflüssigtes Erdgas („liquefied natural gas“ – LNG) in den deutschen Markt und würden sich so ihr eigenes Geschäft kaputtmachen.

Nord Stream 2 könnte Gegenstand von Verhandlungen im Ukrainekrieg werden, der russische Präsident hätte sicherlich nichts dagegen. Handelsblatt-Energieexperte Klaus Stratmann warnt die Bundesregierung jedoch eindringlich vor einem solchen Deal. Für die Russen gehe es mit Blick auf Europa um geopolitische, nicht um energiewirtschaftliche oder ökonomische Interessen. Die Bundesregierung hat bereits erklärt, dass sie eine Wiederaufnahme von russischen Gaslieferungen über die Nord-Stream-Pipelines in der Ostsee ablehne.

Die Nordstream 2 könnte Gegenstand der Verhandlungen im Ukrainekrieg werden. Foto: Reuters

Berater Hermann Simon hat sein Leben lang sein Geld damit verdient, einen Blick auf die deutsche Wirtschaft zu werfen und Handlungsempfehlungen abzuleiten. Im Handelsblatt-Interview beruhigt er all jene, die wegen der beginnenden Deindustrialisierung den Abgesang der deutschen Wirtschaft anstimmen. „Es ist historisch betrachtet völlig normal, dass Industrien verschwinden“, sagt Simon und mahnt:

Wenn wir in der Vergangenheit versucht haben, Altes zu erhalten, dann war das immer rausgeschmissenes Geld.

Im Großraum Köln etwa warteten viele Unternehmer nur darauf, dass der Braunkohle-Tagebau schließe – weil ihnen dann Tausende technologisch hochqualifizierte Fachkräfte zur Verfügung stünden. Als neues deutsches Erfolgsprodukt sieht er die Kombination unersetzbarer Produkte mit unersetzbaren Dienstleistungen.

Wir haben noch immer ein immenses technisches Know-how, müssen es aber in neue Geschäftsmodelle packen.

Investmentprofis wie Warren Buffet oder Bill Ackman gelten als Börsengurus, an deren Portfolios sich Anlegerinnen und Anleger gerne orientieren. Noch schlauer als einzelne Investmentprofis sind allerdings sehr viele Investmentprofis – die Logik der sogenannten Schwarmintelligenz. Das Handelsblatt-Datenteam hat deshalb jetzt erstmalig die Portfolios der 1000 wichtigsten institutionellen Anleger ausgelesen und ihre knapp 140.000 Investmentpositionen ausgewertet.

Ein Ergebnis: Technologie ist für die institutionellen Investoren der wichtigste Sektor, gefolgt von Industrie und Finanzdienstleistungen. Neben den wichtigen Einzelaktien der „Magnificent Seven“, der großen Technologiewerte, halten die Profis auch noch einige andere spannende Einzelwerte in ihren Depots. Wenn Sie wissen möchten, welche das sind, empfehle ich Ihnen die Analyse meiner Kollegen.

Zum Abschluss noch ein kurzer Blick auf die Unzulänglichkeiten des menschlichen Gehirns. Wissenschaftler haben herausgefunden, dass Menschen offenbar ganz besonders schlecht einschätzen können, welche Knoten fest sitzen und welche nicht. Wenn Sie es selbst einmal ausprobieren möchten, empfehle ich Ihnen den Artikel von Scientific American. Die gute Nachricht ist, dass wir Menschen andere physikalische Probleme deutlich besser lösen können – etwa die Frage, welcher Stapel mit dreckigem Geschirr als nächstes umfallen wird.

Als Mensch, der keine Spülmaschine besitzt, kann ich bestätigen, dass diese Fähigkeit in der Küche im Zweifel Leben retten kann.

Ich wünsche Ihnen einen guten Tag, an dem sich Ihr Abwasch von selbst erledigt.

Verwandte Themen Emmanuel Macron Friedrich Merz Bundeswehr SPD Nord Stream 2 USA

Es grüßt Sie herzlich
Ihre

Teresa Stiens
Redakteurin Handelsblatt

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