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Morning Briefing Plus – Die WocheDeutschlands Wachstumsschwäche: Der Wochenrückblick der Vize-Chefredakteurin

In dieser Woche verging kein Tag ohne schlechte Konjunkturnachrichten. Besserung ist nicht in Sicht, diverse Frühindikatoren zeigen nach unten.Kirsten Ludowig 29.07.2023 - 08:00 Uhr
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Kirsten Ludowig ist Vize-Chefredakteurin des Handelsblatts. Foto: Marc-Steffen Unger

Guten Morgen allerseits,

Ende Juli ist es in Düsseldorf herbstlich und nass. Es wurde die letzten Tage gar nicht richtig hell. Grau in Grau, genauso wie die Wirtschaftslage in Deutschland. Am Ende dieser trüben Woche funktioniert sogar ein abgegriffenes Sprachbild. „Die Wolken am Konjunkturhimmel verdunkeln sich“, sagte Moritz Schularick, der Präsident des Kiel Instituts für Weltwirtschaft, nachdem am Freitag die neuesten BIP-Zahlen veröffentlicht wurden.

Danach stagnierte das Bruttoinlandsprodukt von April bis Juni im Vergleich zum ersten Quartal. Deutschland entkommt damit zwar der Rezession, wie die Grafik zeigt. Ende 2022 war das BIP um 0,4 Prozent gefallen, Anfang 2023 um 0,1 Prozent. Aber Besserung ist nicht in Sicht, diverse Frühindikatoren zeigen nach unten.

In dieser Woche verging kein Tag ohne Regen, wahlweise viel oder sehr viel, und schlechte Konjunktur-Nachrichten: Nach dem Einkaufsmanagerindex fiel auch der wichtige Ifo-Geschäftsklimaindex im Juli stärker als erwartet (siehe Grafik). Damit verschlechterte sich die Stimmung der deutschen Unternehmen das dritte Mal in Folge. Sie wollen auch weniger neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einstellen, das Ifo-Beschäftigungsbarometer tendiert ebenfalls deutlich nach unten.

Der Internationale Währungsfonds (IWF) meldete sich am Dienstag zu Wort und zeigte sich mit Blick auf Deutschland pessimistischer als noch vor ein paar Monaten. Im April hatten die Ökonominnen und Ökonomen noch geglaubt, die deutsche Wirtschaft schrumpfe um 0,1 Prozent in diesem Jahr. Nun gehen sie von einem Minus von 0,3 Prozent aus.

Die Inflation in Deutschland ist zwar im Juli leicht auf 6,2 Prozent gesunken, liegt aber weiterhin auf einem hohen Niveau. „Vorerst sinkt die viel zu hohe Teuerung nur in quälend gemächlichem Tempo“, sagt die Chefvolkswirtin der KfW, Fritzi Köhler-Geib. Da klingt ein wenig Frustration durch, wenn Sie mich fragen.

„Wir haben weniger eine Konjunkturschwäche, sondern vorrangig eine Wachstumsschwäche“, sagt Bert Rürup, Präsident des Handelsblatt Research Institute (HRI). Das HRI hatte bereits in seiner Frühjahrsprognose einen Rückgang der deutschen Wirtschaftsleistung in diesem Jahr um 0,2 Prozent vorhergesagt – und geht nun sogar von einem Rückgang um 0,7 Prozent aus.

Es gibt mehrere Gründe für Deutschlands Wachstumsschwäche. Welche das sind, beschreibt mein Kollege Julian Olk in seiner Analyse. Er war in dieser Woche mit Wirtschaftsminister Robert Habeck unterwegs und hat ihn gefragt, was er von einem Konjunkturpaket hält, das einige nun reflexartig fordern. Nichts, ließ Habeck durchblicken, denn: „Wer in Zeiten hoher Inflation Geld mit der Gießkanne verteilt, bringt nur eines zum Wachsen: die Inflation.“

Es ist nicht verwunderlich, dass er nun wieder kursiert, der Begriff vom „Kranken Mann Europas“. Als „Sick Man of Europe“ hatte das britische Wirtschaftsmagazin „Economist“ Deutschland um die Jahrtausendwende bezeichnet.

Was uns diese Woche sonst noch beschäftigt hat:

1. Auch die Notenbanken meldeten sich in dieser Woche zu Wort: Im Kampf gegen die Inflation hat die Europäische Zentralbank am Donnerstag ihren Leitzins noch einmal um 25 Basispunkte auf 4,25 Prozent angehoben. Am Mittwoch hatte die US-Notenbank Fed bereits mit einer weiteren Zinsanhebung im gleichen Umfang vorgelegt. Jetzt hoffen Finanzexperten auf eine Zinspause, also dass es erst einmal keine weiteren Erhöhungen geben wird.

EZB-Chefin Christine Lagarde.

Foto: AP

2. Das Handelsblatt Research Institute macht nicht nur Konjunkturprognosen, sondern noch viel mehr. Nun hat es auf Basis der Steuerdaten der Finanzämter ermittelt, wo in Deutschland besonders viele der knapp 30.000 Menschen wohnen, die mehr als eine Million Euro im Jahr verdienen. Eine Stadt im Süden zieht dabei besonders viele Reiche an.

3. In Deutschland muss jeder, ob reich oder nicht, Steuern zahlen – und zwar eine ganze Menge. Nicht einmal die Bundesregierung bestreitet, dass Deutschland für Bürgerinnen und Bürger sowie für Unternehmen ein Hochsteuerland ist. Hier lesen Sie, bei wem der Fiskus besonders kräftig kassiert – und wer gut wegkommt.

4. Es gibt einen unangenehmen Verdacht im Verkehrsministerium: Es geht um mutmaßliche Freundschaften eines Abteilungsleiters zu einem Unternehmer und einem Verbandschef, über die mehrere unabhängige Quellen innerhalb der Regierung berichten. Über ein Förderprogramm des Ministeriums für Wasserstoff sollen sie Zusagen über Gelder in zweistelliger Millionenhöhe erhalten haben. Eine Sprecherin des Ministeriums wollte die mutmaßlichen privaten Kontakte weder bestätigen noch dementieren. Ampel-Politiker und Opposition fordern Aufklärung von Verkehrsminister Volker Wissing.

Volker Wissing (FDP), Bundesminister für Verkehr und Digitales.

Foto: IMAGO/photothek

5. Stichwort Opposition: Friedrich Merz sorgte diese Woche mal wieder für Aufruhr – allen voran in der CDU. Mit seinen Aussagen zur Zusammenarbeit mit der AfD auf kommunaler Ebene löste er einen parteiinternen Aufstand aus. Wenig später wollte er es dann gar nicht so gemeint haben. „Es gibt zwei mögliche Interpretationen für das, was Friedrich Merz am Sonntagabend bei einem Fernsehinterview fabriziert hat“, schreibt mein Berliner Kollege Jan Hildebrand in seinem Kommentar. „Und bei beiden kommt der CDU-Chef nicht gut weg.“

6. Bislang wurde nur zitiert aus dem Schreiben, mit dem sich der Anwalt des flüchtigen Ex-Wirecard-Vorstands Jan Marsalek beim Münchener Landgericht gemeldet hat. Damit sich die Öffentlichkeit selbst ein Bild von der ungewöhnlichen Stellungnahme in Marsaleks Namen machen kann, veröffentlicht das Handelsblatt das Schreiben exklusiv im Wortlaut.

7: Während Millionen Menschen in Europa mit Sommerhitze und Dürren zurechtkommen müssen, machen sich viele Regierungen bereits um die Energieversorgung im kommenden Winter Gedanken. Denn seit der russischen Invasion in der Ukraine ist Gas knapp und teuer. Mit welchen Energiequellen die Deutschen aktuell heizen, wie das Bild im europäischen Vergleich ist und wie sich der Absatz von Wärmepumpen 2022 entwickelt hat, das zeigt unsere Grafik-Geschichte „So heizt Europa“.

Während in Deutschland derzeit stark über den Einbau von Wärmepumpen debattiert wird, zeigt sich der Energiemix hier und europaweit sehr divers.

Foto: HB, Imago [M]

8: Nun ist es amtlich: Nach Fehlbuchungen und einer geplatzten Kapitalerhöhung beantragt die Onlinefirma Social Chain von Georg Kofler und Ralf Dümmel Insolvenz in Eigenverwaltung. Die beiden Unternehmer, bekannt aus der TV-Sendung „Die Höhle der Löwen“, gaben sich kleinlaut: Kofler gab noch am selben Tag sein Amt als Vorstandschef ab und entschuldigte sich in einem Statement „bei allen, die mit der Insolvenz der Social Chain AG nun Verluste hinnehmen“ müssen. Was das alles mit dem prominenten Ex-Hertha-Investor Lars Windhorst zu tun hat, erfahren Sie hier.

9: Am Montag hat OpenAI-Chef Sam Altman den offiziellen Startschuss für das von ihm mitgegründete und ebenso komplexe wie umstrittene Kryptoprojekt „Worldcoin“ gegeben. Im Mittelpunkt: Ein Irisscanner aus Erlangen namens „Orb“ (was auf Deutsch „Kugel“ oder „Himmelskörper“ bedeutet), ein deutscher Physiker namens Alex Blania und viele offene Fragen zum Datenschutz. Unser Silicon-Valley-Korrespondent Stephan Scheuer hat Altman und Blania für unseren Wochenendtitel in San Francisco zum Interview getroffen und viele Fragen gestellt, vor allem unangenehme.

Sam Altman: Der Gründer von ChatGPT hat mit Worldcoin große Pläne.

Foto: Handelsblatt

Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende – und dass sich die Wolken verziehen! In Düsseldorf soll es zumindest am Sonntag mal nicht regnen. Für den Konjunkturhimmel gilt das leider nicht…

Herzliche Grüße
Ihre

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Kirsten Ludowig

Stellvertretende Chefredakteurin Handelsblatt

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