Morning Briefing: Selenskyjs Coup – „Erwarte Putin in der Türkei, persönlich“

Am Donnerstag in Istanbul: Selenskyjs Gipfel-Vorstoß
Liebe Leserinnen und Leser,
wir erleben spannende Stunden und Tage in der Ukraine-Diplomatie. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat es in seiner abendlichen Videoansprache bekräftigt: Er werde am Donnerstag in die Türkei reisen, um sich dort mit Kremlchef Wladimir Putin zu Friedensgesprächen zu treffen.
Selenskyj forderte Moskau zwar auch zu einer ab heute beginnenden 30-tägigen Waffenruhe auf, als Vorbedingung für direkte Gespräche nannte er sie aber nicht mehr explizit – und begibt sich damit in Widerspruch zu seinen europäischen Verbündeten. Bundeskanzler Friedrich Merz erklärte noch am Sonntag in Berlin:
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron äußerte sich ähnlich:
Aber warum denn eigentlich nicht? In vielen Kriegen begannen die Gespräche über einen möglichen Frieden, während das Töten weiterging. Im Vietnamkrieg vergingen fast drei Jahre zwischen dem ersten Treffen von US-Außenminister Henry Kissinger mit seinem nordvietnamesischen Gesprächspartner Lê Dúc Thọ und dem Pariser Abkommen, das den Krieg beenden sollte. In all der Zeit wurde weiter gekämpft.
Ich hoffe inständig, dass es im Fall der Ukraine schneller geht. Ob ein direktes Treffen zwischen Putin und Selenskyj dabei helfen kann, weiß ich nicht. Aber mir fällt auch kein Szenario ein, in dem es schaden kann.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan jedenfalls ist bereit, das Treffen am 15. Mai in Istanbul auszurichten. Und Putin? Der hat den Vorschlag für Verhandlungen in der Türkei ab Donnerstag zwar selbst gemacht. Dass es sich gleich um ein Gipfeltreffen mit Selenskyj persönlich handeln soll, war allerdings nicht seine Idee.
Es bleibt also eine spannende Frage, wer auftaucht, wenn der ukrainische Präsident in drei Tagen in Istanbul wartet. Immerhin: Dort lässt es sich hervorragend abwarten und Tee trinken.
Angeblich Einigung im Handelsstreit USA-China

In einem anderen, zum Glück unblutigen Konflikt sollen die Gespräche angeblich zum Erfolg geführt haben: Die USA haben sich nach Angaben des Weißen Hauses bei den Gesprächen in Genf mit China im Zollstreit geeinigt – und damit einen möglichen Durchbruch im festgefahrenen Handelskonflikt erzielt. Beide Seiten kündigten für Montag eine Erklärung an. Der chinesische Auslandsfernsehsender CGTN meldete „einen wichtigen Konsens“. Das Weiße Haus veröffentlichte eine Mitteilung, die mit „USA kündigen China-Handelsabkommen in Genf an“ überschrieben war. Konkreter wurde die Mitteilung aber nicht.
Esken gibt SPD-Parteivorsitz ab

Saskia Esken, Co-Parteichefin der SPD, will sich nicht erneut um das Amt an der Parteispitze bewerben. In der ARD sagte Esken am Sonntag:
Damit endet die lange, quälende Debatte über Eskens zukünftige Rolle. Sie war bei der Vergabe von Posten in der neuen Bundesregierung leer ausgegangen. Weder ein Ministeramt noch eine führende Rolle in der SPD-Fraktion gingen an die 63-Jährige.
Euro-Höhenflug und die Folgen

Donald Trumps chaotische Wirtschaftspolitik beschert dem Euro einen echten Lauf. Seit Jahresbeginn hat die Gemeinschaftswährung um bis zu elf Prozent auf 1,15 Dollar zugelegt. Auch wenn sich der Dollar zurzeit etwas gefangen hat: Die Analysten von Morgan Stanley und Société Générale halten perspektivisch einen Wechselkurs von 1,20 Dollar zum Euro für realistisch. Die Deutsche Bank prognostiziert sogar 1,30 Dollar. So hoch war der Wechselkurs zuletzt vor elf Jahren.
Das hat mehr als nur eine Folge für die deutsche Wirtschaft:
Eine Hoffnung dürfte sich nach Ansicht unseres Autorenteams allerdings nicht so schnell erfüllen: dass der Euro den Dollar als Welt-Leitwährung ablöst. Hauptgrund für die Dollarschwäche ist zwar ein Vertrauensverlust in die Zuverlässigkeit der USA als Schuldner. Damit der Euro zur führenden Reservewährung aufsteigen kann, fehlt in Europa aber ein Anlagevehikel, das es in Sachen Liquidität und Volumen mit US-Staatsanleihen aufnehmen könnte.
Rechnungshof kritisiert KfW

Der Bericht des Bundesrechnungshofs über die staatliche Förderbank Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) döste schon seit Januar irgendwo im Outback des Internets vor sich hin. Öffentlich berichtet hat über ihn offenbar niemand. Jetzt nahm sich Handelsblatt-Bankenreporterin Yasmin Osman das Gutachten mal gründlich vor – und stieß auf Spannendes: Der Rechnungshof hat an der KfW so manches auszusetzen – unter anderem die Bezahlung ihres Chefs. Der heißt Stefan Wintels und bezog 2024 ein für Banken-CEOs relativ überschaubares Grundgehalt von 838.700 Euro. Hinzu kamen aber Bezüge aus Nebentätigkeiten, vor allem für Aufsichtsratsmandate bei Deutscher Post und Deutscher Telekom, von 328.600 Euro.
Die KfW hält und verwaltet größere Aktienpakete an Post und Telekom – und zwar im Auftrag des Bundes. Aus Sicht des Rechnungshofs sollten daher für den KfW-Chef für diese Mandate die gleichen Regeln gelten wie für die direkt von der Bundesregierung in die Aufsichtsräte entsandten Vertreterinnen und Vertreter, zum Beispiel Ministerialbeamte. Sie dürfen die Aufsichtsratsvergütungen größtenteils nicht behalten. Fazit des Rechnungshofs:
Eine KfW-Sprecherin erklärte auf Anfrage: Zwischen der Bundesregierung und der KfW bestehe Einigkeit darüber, dass die Verordnung, die unter anderem die Vergütung von Nebentätigkeiten von Bundesbeamten regle, auf Vorstände der KfW nicht anwendbar sei:
Eine hübsche definitorische Unterscheidung, die Wintels pro Jahr nebenbei etwa so viel einbringt wie der Bundeskanzler an Grundgehalt bezieht.
Was der Rechnungshof sonst noch an der KfW zu bemängeln hat, lesen Sie hier.
Ich wünsche Ihnen einen unabhängigen und persönlichen Wochenauftakt.
Herzliche Grüße
Ihr
Christian Rickens






PS: Im Morning Briefing vom Freitag ist mir leider ein Fehler unterlaufen. Der neue Papst stammt zwar aus Chicago. Bischof war er allerdings nicht dort, sondern in Chiclayo. Liest sich auf den ersten Blick ähnlich, ist aber ganz woanders, nämlich in Peru.
Und nun noch ein Hinweis: Wenn Sie wissen wollen, wohin die Milliarden für Verteidigung fließen, welche sicherheitspolitischen Fragen derzeit relevant sind und wie sich das alles auf den Standort Deutschland auswirkt, dann abonnieren Sie am besten direkt unseren neuen Newsletter Handelsblatt Defense Briefing. Am 14. Mai erscheint die erste Ausgabe. Jetzt kostenlos anmelden.





