Elektromobilität Lucid-Chef Peter Rawlinson: Elon Musks Rivale muss sich jetzt beweisen

Den Lucid-Chef verbindet mit Elon Musk eine lange Geschichte.
San Francisco Peter Rawlinson ist kein Elon Musk. Das sichtbarste Zeichen dafür ist, dass sich der Chef des Elektroauto-Start-ups Lucid von Twitter komplett fernhält. Die Attacken, die Tesla-Gründer Musk ab und zu gegen seinen ehemaligen Chefingenieur reitet, ignoriert der höfliche Brite – oder er spottet darüber im kleinen Kreis.
Die Ambition, mit der Rawlinson die etablierte Autoindustrie herausfordert, ist aber ähnlich wie die seines ehemaligen Chefs. Er will Lucid als den Premiumhersteller des Elektro-Zeitalters positionieren – neben Mercedes, Audi und BMW oder gar an ihrer Stelle.
„Einige traditionelle Autohersteller verlieren den Anschluss, wenn sie bei der Elektrifizierung nicht aufs Gas treten“, sagte der Lucid-Chef kürzlich dem Handelsblatt. Wer aktuell noch eine benzinschluckende S-Klasse fährt, soll als Nächstes über einen Lucid Air nachdenken.
Auch nach Teslas Erfolg der vergangenen Jahre ist das noch immer ein verwegenes Vorhaben. Die Autoindustrie war noch nie gnädig mit Emporkömmlingen. Die jüngste noch existierende US-Automarke nach Tesla ist Jeep – gegründet im Jahr 1941.
Wenn der Markt es aber jemandem zutraut, dann Rawlinson. Mit 40 Milliarden Dollar bewertet die Börse Lucid – einem Vielfachen anderer Neo-Autobauer wie Fisker (fünf Milliarden) und Faraday Future (vier Milliarden). Das liegt wohl auch daran, dass sich Lucid und Tesla in vielen Details ähneln: Lucid baut eigene Fabriken – die erste steht in Arizona, die zweite soll in Europa oder im Nahen Osten entstehen.
Lucid setzt unter Rawlinson, der Chef und gleichzeitig Cheftechnologe ist, auf Eigenentwicklung und vertikale Integration: Batterie, Antrieb, Design – alles wird in der Zentrale im kalifornischen Newark entwickelt, eine kurze Autofahrt von Teslas größter Fabrik in Fremont.
Rawlinson lernte bei Oberklasse-Herstellern Jaguar und Lotus
Die Parallelen sind kein Zufall, Musk und Rawlinson verbindet eine lange Geschichte. Der Tesla-Chef hatte den Ingenieur 2009 aus der englischen Provinz als Vizepräsident für Fahrzeugtechnik nach Kalifornien geholt, um das Projekt „White Star“ technisch voranzubringen – drei Jahre später sollte es in der Oberklasse-Limousine Model S, Teslas erstem Großserienmodell, münden.
„In Rawlinson fand Musk einen Ingenieur, der es liebt, sich in die Details einzubohren, wie ein Auto funktioniert und verbessert werden kann“, schreibt der Autor Tim Higgins in seinem Buch „Power Play“ über Teslas Geschichte. Der gebürtige Waliser hatte sich als Chefingenieur bei den britischen Oberklasse-Herstellern Jaguar und Lotus einen Ruf als Generalist und Digitalisierer des Designprozesses erworben.
Auch bei Tesla traf er Entscheidungen, die dessen Modelle bis heute prägen – etwa das Fahrzeug durch die Batterie strukturell zu verstärken und so sicherer zu machen. Doch mit der Zeit ermüdeten die Auseinandersetzungen mit dem kapriziösen Musk Rawlinson. Gegen die sich nach oben öffnenden „Falkenflügeltüren“ des Model X etwa kämpfte der Ingenieur vergeblich.
Kündigung überraschte Elon Musk – und die Börse
Nach drei Jahren, kurz bevor das Model S fertig wurde, verließ der Brite Tesla. Die Kündigung überraschte Musk – und die Börse. Die Aktie des seit 2010 notierten Autoherstellers stürzte nach Bekanntgabe von Rawlinsons Abgang um 20 Prozent ab. „Er ließ uns im Stich, als es hart wurde, was nicht cool war“, schrieb Musk noch vergangenen September über Rawlinson auf Twitter.

An der Börse wird der Elektroautohersteller bereits mit 40 Milliarden Dollar bewertet.
Rawlinson wechselte zu Atieva, damals ein Entwickler von Batterien und elektrischen Antriebssträngen für Busse. Erst als Technologievorstand, seit 2019 zusätzlich als CEO, baute er das Unternehmen zum Premium-Elektroautohersteller um und nannte die Firma Lucid.
Unsicher im Umgang mit den Aktionären
Auch heute noch stattet das Unternehmen die gesamte Formel E mit Batterien aus, was wiederum beim Lucid Air helfe, bei Effizienz und Batterie-Reichweite selbst vor Tesla zu liegen. Das ist das Terrain, auf dem Rawlinson zu Hause ist.
An die Kapriolen der Märkte, die Musk inzwischen meisterhaft bespielt, muss sich der frischgebackene Chef eines börsennotierten Unternehmens derweil noch gewöhnen. Dass die Aktien des Börsenmantels, mit dem Lucid später fusionierte, von Reddit-Tradern begeistert gekauft wurden, schmeichelt ihm einerseits. Andererseits habe diese „Spekulation“ wenig mit Lucid zu tun gehabt.
Wie Lucid mit seinen ungewöhnlich vielen Kleinanlegern umgehen soll, darüber rätselt Rawlinson nun. Musk beantwortet deren Fragen in Quartalspressekonferenzen direkt und spürbar lieber als die von Bank-Analysten. Rawlinson hadert dagegen mit der Idee: „Es sind dann vielleicht nicht immer die sinnvollsten Fragen“, sagt er.
Peter Rawlinson ist kein Elon Musk. Ein erfolgreicher Auto-CEO wird aus dem Briten vielleicht. Ein Volkstribun seiner Fangemeinde eher nicht.
Mehr: Lucid oder Tesla? Die Aktien der Elektroautobauer im Vergleich
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