Coronakrise Pandemiebekämpfung: Der Bund greift nach mehr Macht

Schon Ende März 2020 hat der Bund mit dem „Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ mehr Kompetenzen an sich gezogen.
Berlin Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) will dem Bund notfalls mehr Kompetenzen bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie geben, sollten die Länder nicht wie erhofft mitziehen. „Wir müssen mit einer großen Ernsthaftigkeit jetzt die geeigneten Maßnahmen einsetzen“, sagte Merkel am Sonntagabend in der ARD-Sendung „Anne Will“.
Einige Bundesländer täten dies, andere noch nicht. Wenn die Umsetzung der Notbremse nicht „in sehr absehbarer Zeit“ erfolge, müsse sie sich überlegen, wie sich dies vielleicht auch bundeseinheitlich regeln lasse, so die Kanzlerin. Doch wie das genau ablaufen soll, ist umstritten.
Merkel und die Ministerpräsidenten hatten bei ihren Besprechungen am 3. März eine „Notbremse“ vereinbart, sollte die Zahl der Neuinfektionen je 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen an drei aufeinanderfolgenden Tagen auf über 100 steigen. Für diesen Fall sollen etwa erfolgte Lockerungen wieder zurückgenommen werden.
Am 22. März hatten die Regierungschefs aus Bund und Ländern diese Entscheidung nochmals bekräftigt. Doch es halten sich nicht alle Bundesländer daran. So hat beispielsweise der Senat in Berlin beschlossen, Geschäfte geöffnet zu halten, dies aber mit einer Testpflicht versehen.
Angesichts der steigenden Infektionszahlen und der Äußerungen der Kanzlerin ist nun eine Debatte über mehr Durchgriffsrechte für den Bund beim Infektionsschutz entbrannt. Der Bund habe „von jeher die Gesetzgebungskompetenz auf diesem Gebiet“, sagte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) der „Süddeutschen Zeitung“. Man müsse nur davon Gebrauch machen.
“Eine Möglichkeit ist, dann noch mal das Infektionsschutzgesetz anzupacken und ganz spezifisch zu sagen, was muss in welchem Fall geschehen”, warnt Angela #Merkel, wenn die Infektionszahlen nicht sinken. #AnneWill pic.twitter.com/teYgDpXJ6C
— ANNE WILL Talkshow (@AnneWillTalk) March 28, 2021
Laut Seehofer kann somit entweder das Infektionsschutzgesetz präzisiert oder ein eigenes Gesetz beschlossen werden, in dem genau geregelt werde, welche Maßnahmen bei welchem Infektionsgeschehen ergriffen werden müssen. Der Bund müsse „einheitlich festlegen, was bei welcher Inzidenz zu geschehen hat“, sagte der Minister.
Änderung würde an Bundesrat scheitern
Auch die gesundheitspolitische Sprecherin der Unionsfraktion, Karin Maag (CDU), fordert mehr Zuständigkeiten für den Bund, sieht aber kaum Realisierungschancen. „Es kann nicht sein, dass sich einzelne Bundesländer über die beschlossenen Maßnahmen – insbesondere die Notbremse – hinwegsetzen“, sagte sie dem Handelsblatt. Eine Änderung des Infektionsschutzgesetzes würde jedoch aller Wahrscheinlichkeit nach am Widerstand der Bundesländer im Bundesrat scheitern.
Der CDU-Politiker Erwin Rüddel warnte die Länder davor, sich einer Kompetenzverlagerung zu verweigern. „Gelingt das nicht, müssen sich der Bund und die Kanzlerin aus der Ministerpräsidentenkonferenz zurückziehen - mit der Folge, dass die Länder auch jegliche Konsequenzen ihres Handelns selbst übernehmen.“ Es könne nicht sein, dass die Länder sich über die Regeln hinwegsetzen, der Bund aber für die finanziellen Folgen - wie durch die Hilfspakete - aufkommen sollte.
Die SPD forderte mehr Details zu Merkels Plänen. „Noch habe ich keinen Vorschlag auf dem Tisch“, sagte Fraktionsvize Dirk Wiese. Zudem bedürfe eine Änderung des Infektionsschutzgesetzes der Zustimmung des Bundesrates. „Das kann man nicht einfach bei Anne Will mal eben so entscheiden.“
Der Leipziger Staatsrechtler Christoph Degenhart hält eine Änderung des Infektionsschutzgesetzes durchaus für einen gangbaren Weg. Ob die Länderkammer zustimmen müsse, hänge von der konkreten Fassung des Gesetzes ab. Sollte das Gesetz eine Ermächtigung zum Erlass von Verordnungen durch die Bundesregierung enthalten, müsse der Bundesrat sogar zustimmen.
“Das Land hat eine Umsetzung gewählt, die zu viel Ermessungsspielraum mit sich bringt”, kritisiert Bundeskanzlerin Angela #Merkel den derzeitigen Weg von NRW-Ministerpräsident Armin #Laschet. #AnneWill pic.twitter.com/1qPjNeEmCA
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Alternativ könnte der Bund einen flächendeckenden Lockdown, also Ausgangssperren oder die Schließung von Läden, für einen bestimmten Zeitraum auch durch ein sogenanntes „Maßnahmegesetz“ verhängen. Möglich sei auch, durch ein Bundesgesetz die Bundesregierung hierzu zu ermächtigen. Der Bund müsse sich dabei aber immer „im Rahmen der Verhältnismäßigkeit“ bewegen.
Vor Corona war der Infektionsschutz weitgehend Ländersache. Schon Ende März 2020 hatte der Bund mit dem „Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ mehr Kompetenzen an sich gezogen. So kann das Bundesgesundheitsministerium bei einer solchen epidemischen Lage durch Anordnung oder Rechtsverordnung Maßnahmen zur Sicherstellung der Versorgung mit Arzneimitteln oder der medizinischen Versorgung treffen, ohne dass der Bundesrat zustimmen muss.
“Deshalb war ich nicht so ganz glücklich”, kritisiert Angela Merkel die Ankündigung von Saarlands Ministerpräsident Tobias Hans, sein Land als Modellprojekt zu öffnen. #AnneWill pic.twitter.com/eYFijRHkkL
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Im November 2020 war das Infektionsschutzgesetz dann erneut geändert worden. Ein neuer Paragraf konkretisiert die rechtlichen Grundlagen für Maßnahmen der Länder wie beispielsweise Abstandsgebote, Maskenpflicht, Ausgangsbeschränkungen oder Reiseverbote. Grundrechtseinschränkungen sind an bestimmte Inzidenzen gebunden.
Regierungssprecher: „Notbremse“ ist „kein zahnloser Tiger“
Werden mehr als 50 Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen registriert, „sind umfassende Schutzmaßnahmen zu ergreifen, die eine effektive Eindämmung des Infektionsgeschehens erwarten lassen“, heißt es im neuen Paragrafen 28a. Werde der Schwellenwert in ganz Deutschland überschritten, seien bundesweit abgestimmte Schutzmaßnahmen „anzustreben“.
Nach Einschätzung von Staatsrechtler Degenhart kann der Bund die Umsetzung der Maßnahmen durch die Länder nicht erzwingen. „Zwar unterliegen sie hier der Aufsicht des Bundes, die Möglichkeiten des Bundes, die Länder zu zwingen, sind jedoch sehr begrenzt und auch wenig praktikabel.“
Der Verfassungsrechtler Rupert Scholz sieht indes keinen großen Regulierungsspielraum. „Es ist ja ohnehin schon so, dass das Infektionsschutzgesetz die tatsächliche Regelungskompetenz sehr stark auf die Exekutive und deren Rechtsverordnungskompetenz legt“, sagte Scholz. „Ich bin nicht sicher, ob der Bundestag und die Landtage hier noch mehr Durchgriffsrechte exekutivischer Art akzeptieren würden.“
Regierungssprecher Steffen Seibert betonte denn auch, die von den Regierungschefs aus Bund und Ländern vereinbarte „Notbremse“ sei „kein zahnloser Tiger“. Es werde konkret vorgeschrieben, wann bestimmte Lockerungen wieder zurückgenommen werden müssten, sofern die Infektionszahlen deutlich stiegen. Viele Bundesländer, die dafür zuständig seien, würden dies nun auch umsetzen.
Mehr: Staatsrechtler Degenhart: Bund könnte flächendeckenden Lockdown verhängen.
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Schande!
Das einzige was zentralisiert werden sollte, wäre das Bildungsministerium! Nur so kann man tatsächliche Chancengleichheit für Schüler Bundesländer übergreifend sicherstellen.
Das ist auch richtig so, mit dem Ministerpräsidentengeplänkel
kommt das Land nicht weiter. In Krisensituationen wie dieser
kann man keine Profilierungsveranstaltungen der MP gebrauchen.
Da muß zentral und eindeutig gehandelt werden. Die Verantwortlichkeit
muß geklärt sein.
Wenn die es besser machen würden, dann gerne! Aber das kriegt der Bund nicht hin, wie verrschiedene Beispiele zeigen: Maskenbeschaffung, Schnelltestbeschaffung, Impfstoffbeschaffung.