Ifo-Bildungsbarometer und Bitkom Umfrage belegt: Deutsche wollen dauerhaft digitale Schulen

Vor allem Kinder aus schwierigen sozialen Verhältnissen fallen durch Corona noch weiter zurück.
Berlin Unterricht findet wieder in der Schule statt – doch die große Mehrheit der Deutschen möchte, dass digitales Lernen dennoch von der Notlösung zum Normalzustand wird. Natürlich will kaum jemand zurück zum Distanzunterricht, aber die Schulen sollen auch nach dem Ende der Pandemie verpflichtend Computer im Unterricht verwenden, fordern 77 Prozent der Deutschen.
Das zeigt das neue „Bildungsbarometer“ des Ifo-Instituts, für das rund 4000 Bürger befragt wurden. Ähnlich groß ist die Zustimmung zu digitalen Lernplattformen, zu Onlinesprechstunden zwischen Lehrkräften und Eltern sowie zur Bereitstellung von Videomaterial mit Erklärungen durch die Lehrkräfte. Auch Onlinesprechstunden mit Schülern befürworten 73 Prozent. Sollte es wieder zu Schulschließungen kommen, wollen drei Viertel der Befragten verpflichtenden Onlineunterricht.
Nach einer Umfrage des Branchenverbands Bitkom wollen 80 Prozent sogar einen Rechtsanspruch auf digitalen Unterricht. Dieser solle nicht nur in einer Notlage wie der Pandemie gelten, sondern auch, wenn Lernende etwa wegen Krankheit oder anderer Einschränkungen eine Bildungseinrichtung nicht aufsuchen könnten, sagte Bitkom-Präsident Achim Berg, der dazu gar eine Verfassungsänderung fordert.
Eine große Mehrheit fordert zudem Informatik als Pflichtfach ab Klasse 5. Bisher zählt Informatik nur in wenigen Bundesländern zum Standardangebot. Und es gibt große Probleme, genügend Lehrkräfte dafür zu finden.
„Wenn Deutschland ein digitaler Spitzenstandort werden will, brauchen die Beschäftigten von morgen die notwendigen Fähigkeiten – und Informatik bildet dafür die Basis“, sagt Bitkom-Präsident Berg.
Nicht alle Milliarden aus dem Digitalpakt wurden abgerufen
Aktuell sind in Deutschland mehr als 86.000 IT-Stellen unbesetzt – Tendenz steigend. „Wer bereits in der Schule programmieren lernt, hat später beste Berufsaussichten. Es ist Aufgabe der Politik, unseren Kindern solche Chancen zu eröffnen“, so Berg. Bislang orientierten sich die Lehrpläne jedoch „zu sehr an den Bedürfnissen von gestern und Nöten von heute – und viel zu wenig an den Erfordernissen von morgen und übermorgen“.
Ende 2020 waren von dem 6,5 Milliarden Euro schweren „Digitalpakt“ des Bundes nur 1,36 Milliarden Euro abgeflossen. Die Kultusminister hatten in der Pandemie zwar eine „irre Aufholjagd“ versprochen, doch ob diese gelingt, werden erst Anfang 2022 neue Zahlen zeigen.
Die Schüler selbst werten ihre eigene Ausstattung in Umfragen noch als weit besser als die der Schulen und Lehrkräfte. Um die Digitalisierung der Schulen voranzutreiben, fordern 67 Prozent der vom Bitkom Befragten mehr Kompetenzen für den Bund im Bildungswesen.
Doch ein weiteres zentrales Problem ist, dass viele Lehrer sowohl technisch als auch pädagogisch große Defizite haben, die Vorteile digitaler Medien überhaupt sinnvoll zu nutzen. Acht von zehn Befragten fordern nach dem Bildungsbarometer daher verpflichtende Fortbildungen für Lehrkräfte. Die Kultusminister versprechen Besserung: Ihre Präsidentin Britta Ernst hat soeben im Handelsblatt-Interview mehr Pflichtfortbildungen angekündigt. „Darüber müssen wir nach der Pandemie in der Tat noch mal reden“, sagte sie und räumte zugleich ein, dass Länder und die Schulen ihrerseits das Angebot ausweiten müssten.
Bürger machen sich Sorgen um Folgen von Corona für schwächere Schüler
Neben der Digitalisierung macht sich eine große Mehrheit der Bürger Sorgen über die Folgen der Pandemie vor allem für schwächere Schüler: Drei Viertel fordern daher spezielle Angebote durch die Schulen, um vor allem Kindern aus problematischen Familien zu helfen – bis hin zu Förderkursen in den Ferien.
Die große Mehrheit setzt dabei auf freiwillige Angebote. Diese werden allerdings meist nicht von denen angenommen, die sie besonders nötig haben, warnen die Ifo-Forscher. Die jüngste Elternbefragung der Münchener Forscher hatte gezeigt, dass bisher nur zwei Prozent der Nicht-Akademiker-Kinder an Ferienkursen teilgenommen haben, während es unter Akademikerkindern immerhin elf Prozent waren.
Die Länder hatten in der Vergangenheit allerdings auch nicht allzu viele Angebote gemacht. In den Sommerferien gab es nur für wenige Prozent der Schüler Angebote, zeigte eine Handelsblatt-Umfrage.
Nun hat der Bund eine Milliarde Euro für Nachholkurse in den nächsten beiden Jahren zur Verfügung gestellt. Eine weitere Milliarde steht für soziale Aktivitäten oder Schwimmkurse bereit. Studien hatten gezeigt, dass vor allem ohnehin schwächere Schüler in der Pandemie weit zurückgefallen sind. Die Länder wollen nach den Ferien zunächst das Wissen der Schüler testen – und dann entscheiden, wer speziell gefördert wird.
Die Präsidentin der Kultusministerkonferenz geht davon aus, dass mindestens 20 bis 30 Prozent spezielle Hilfe brauchen. Diese Hilfe sollen die Schulen dann vor allem auch mit externen Nachhilfeanbietern organisieren.
Mehr: Bildungsministerin Karliczek kritisiert die langsame Digitalisierung der Schulen
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Die Elternpflegschaftskonferenz meines Sohnes (Klasse 7 / Gymnasium NRW) hat die bittere Wahrheit schon ans Licht gebracht. Die beiden anwesenden Lehrerinnen haben die Forderung nach mehr digitalem Unterricht rigerros abgelehnt. So wünschen sich den Unterricht zurück, wie er vor der Pandemie war: mit Büchern, mit Tafel, mit Stift und Papier. Um nur Aufgaben von Lernplattformen zu verwalten, wäre nicht das, was sie dazu bewogen hat, den Lehrerberuf zu ergreifen. Die beiden Damen sind irgendwo zwischen 30 und 40 und offensichtlich nicht mehr bereit, sich in diese Richtung fortzubilden. Ich befürchte das trifft auf einen sehr großen Teil der zur Zeit verfügbaren Lehrerschaft zu. Was wir brauchen, ist eine radikale Reform der Lehrpläne mit einer einhergehenden Reform des Lehramtsstudiums. Dieser Weg kann nicht in wenigen Monaten beschritten werden, sondern wird ein Prozess von vielen Jahren. Somit betrachte ich die jetzige Schülergenertaion leider auf verlorenem Posten. Einzig die individuelle Förderung in VHS Kursen oder sonstigen kostenpflichtigen Angeboten scheint die Lücke schließen zu können. Dies dann aber nur für die Priviligierten, die das nötige Kleingeld haben. Somit geht die Schere immer weiter auseinander.