Bildung Nachholkurse in den Sommerferien: Nur ein geringer Teil der Schüler profitiert

In vielen Bundesländern haben die Sommerferien bereits begonnen.
Berlin In den meisten Ländern haben die Sommerferien begonnen – in dieser Zeit sollen Schülerinnen und Schüler in Deutschland die Möglichkeit bekommen, Corona-Lücken aufzuholen. Doch wie viele der rund elf Millionen Schüler in Deutschland die Chance haben, an Nachholkursen teilzunehmen, ist völlig unklar. Eine Umfrage des Handelsblatts zeigt: Es wird nur ein Bruchteil aller Schüler sein – und somit weit weniger als die Gruppe der Risikoschüler umfasst, zu der etwa jeder fünfte zählt.
Konkrete Angaben machen nur eine Handvoll Länder. Am ambitioniertesten sind die Pläne in Hamburg: Der Senat geht davon aus, dass in den Sommerferien mehr als 10.000 Schüler und Schülerinnen an den zweiwöchigen „Lernferien“ teilnehmen, die in rund 150 Schulen angeboten werden. Das wären je nach Standort fünf bis zehn Prozent der Hamburger Schülerschaft.
In Berlin stehen für 360.000 Schüler rund 8400 Plätze bereit – das entspricht einer Quote von etwa 2,3 Prozent. Gut 1000 davon entfallen auf Berufsschulen. In Bremen werden rund 2500 Schüler und Schülerinnen an den „Lernferien“ teilnehmen, etwa 2,7 Prozent.
Das mit 1,5 Millionen Schülern ungleich größere Baden-Württemberg rechnet damit, dass ähnlich wie im Sommer 2020 etwa 61.000 Schüler die „Lernbrücken“ nutzen, die täglich vier Stunden Unterricht vorsehen.
Das wären etwa vier Prozent „Wir informieren in mehreren Sprachen, um auch möglichst viele Eltern zu erreichen“, teilt Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) mit. Alle anderen Länder nennen keinerlei Zahlen oder Ziele für die Stützkurse in den Ferien.
Aufholaktion in größerem Umfang im neuen Schuljahr geplant
Das Aufholen in größerem Umfang soll ohnehin erst im neuen Schuljahr beginnen. Der Bund hat den für die Schulen zuständigen Ländern schon Anfang Mai eine Milliarde Euro bereitgestellt. Damit sollen zusätzliche Lehrer und Hilfslehrer wie etwa Studenten eingestellt und zudem Kurse bei freien und privaten Trägern zugekauft werden. Zur Einordnung: 2019 beliefen sich die Gesamtausgaben für die Schulen in Deutschland auf 74 Milliarden Euro.
Seit März 2020 ist in den Schulen massenhaft Unterricht ausgefallen, der Distanzunterricht lief vor allem im ersten Lockdown sehr holprig. Teilweise war der Kontakt vor allem zu leistungsschwächeren Schülern oder solchen mit Sprachproblemen komplett abgebrochen, berichteten Praktiker.
Bei der Vorstellung des Aktionsprogramms „Aufholen nach Corona“ sagte Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU): „Das Mindeste, das wir nun tun können, ist, diesen Kindern das Aufholen ihrer Lernrückstände zu ermöglichen.“
Die Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Brandenburgs Kultusministerin Britta Ernst (SPD), versprach, man werde „Schülern mit Unterstützungsbedarf“ einzeln, in kleinen Gruppen und durch außerschulische Angebote helfen, versäumten Stoff in den Kernfächern Deutsch, Mathe und Sprachen nachzuholen – und sie „eng und gezielt begleiten“.
Wie viele Schüler im kommenden Schuljahr vom Gesamtprogramm profitieren, und wer überhaupt „Unterstützungsbedarf“ hat, ist unklar. Das Bundesbildungsministerium geht davon aus, dass die „pandemiebedingten Schulschließungen bei bis zu einem Viertel der Schülerinnen und Schüler zu deutlichen Lernrückständen geführt haben“.
Finanzielles Engagement der Länder ist unterschiedlich
Von den Ländern nennen nur drei Länder konkrete Ziele: In Baden-Württemberg heißt es: „Etwa 20 bis 30 Prozent gelten laut wissenschaftlichen Erkenntnissen – also nach den Iglu (Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung) – oder Pisa – als sogenannte Risikoschülerinnen und -schüler. Das nehmen wir als Richtwert.“
Hamburg teilt mit, die Förderangebote stünden grundsätzlich allen Schülern offen, sollen sich aber auf die rund 20 Prozent leistungsschwächeren Kinder und Jugendlichen konzentrieren. In der Hansestadt sollen diese insgesamt 80 Zusatzstunden erhalten – zwei pro Woche. Auch Berlin setzt sich zum Ziel, 20 Prozent zu erreichen.
Alle anderen Länder legen sich nicht fest oder haben noch keinen konkreten Plan: Entweder heißt es wie im Saarland, die geplanten Nachhilfestunden „richten sich an alle Schüler“ oder „das wird nicht erfasst“, wie in Sachsen. Hessen teilt mit, man könne das „weder jetzt noch in der Zukunft“ angeben. In der Regel werden den Schulen Budgets zugeteilt, mit denen sie dann Zusatzpersonal einstellen und Angebote freier Träger buchen können.
Sehr unterschiedlich ist auch das finanzielle Engagement der Länder. Bundesbildungsministerin Karliczek hatte gemahnt: „Ich gehe davon aus, dass die Länder die Milliarde für die Nachhilfe paritätisch aufstocken.“ Schließlich „ist Bildung zuallererst Ländersache“. Druckmittel hat der Bund jedoch nicht, denn das Geld fließt in Form eines höheren Anteils der Länder an der Umsatzsteuer.
Bremen und Nordrhein-Westfalen teilen ungefragt mit, die Bundeshilfe in gleicher Höhe zu ergänzen. Das Saarland will die 11,5 Millionen des Bundes sogar mit 16,5 Millionen Euro aufstocken.
Rheinland Pfalz hingegen erhält 63 Millionen – und will die eigenen Mittel zumindest in diesem Jahr nur um 17 Millionen Euro aufstocken – das Bundesprogramm läuft bis Ende 2022. Alle anderen Länder machen keine Angaben zu ihrem eigenen Beitrag.
Test, wem wie viel Wissen fehlt
Auch scheinen nicht alle Schulminister überzeugt, dass der ganze Aufwand überhaupt notwendig ist: So sagt etwa Niedersachsens Kultusminister Grant Hendrik Tonne (SPD): „Es stört mich der oft zu vernehmende Zungenschlag, die Schülerinnen und Schüler hätten wegen Corona nichts gelernt und seien schlecht gewappnet. Das halte ich für schlicht falsch und eine ganz fatale Botschaft.“ Er sei „überzeugt, dass auch ganz viel gelernt wurde. Inhaltlich in den Fächern, aber insbesondere auch was selbstorganisiertes und selbstverantwortetes Lernen angeht.“
Die meisten seiner Kollegen gehen jedoch wie Tonnes Parteifreundin, die saarländische Bildungsministerin Christine Streichert-Clivot (SPD) selbstverständlich davon aus, dass „in der Krise teilweise erhebliche individuelle Lernrückstände entstanden sind“.
Allerding wollen alle nach den Ferien erst einmal genauer testen, wem denn wie viel Wissen fehlt – und das möglichst schnell. Wie das geschehen soll, unterscheidet sich allerdings stark von Land zu Land: Viele nutzen die bundesweiten Vergleichsarbeiten „Vera“ – an denen einige Länder allerdings gar nicht teilnehmen. Viele bieten den Schulen zudem neue Onlinetools an, um den Wissensstand der Kinder und Jugendlichen zu messen.
Schließlich gibt es noch die traditionelle Klassenarbeit, das klassische Instrument, um Wissen zu testen. Sie hatte soeben auch die nationale Akademie Leopoldina als probates Mittel empfohlen.
Doch selbst das sehen nicht alle so: So werden in Niedersachen bis Ende September 2021 keine Klassenarbeiten oder Tests geschrieben, kündigte Minister Tonne an– danach sollen weniger geschrieben werden als in normalen Zeiten.
Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.