Abwahlversuch für Gavin Newsom Verliert Kaliforniens Gouverneur sein Amt? Joe Bidens Schicksalswahl im linksliberalen Powerhaus

Der Gouverneur Kaliforniens kämpft nicht nur gegen seine Abwahl, sondern auch für die demokratische Mehrheit im US-Kongress.
New York, San Francisco Um 6 Uhr morgens brach US-Vizepräsidentin Kamela Harris am Mittwoch in Washington DC auf, um nach rund fünf Stunden Flug auf dem Oakland International Airport zu landen. Hier, in der „East Bay“ des Silicon Valley in Kalifornien trat sie an, um ihrem Parteifreund Gavin Newsom Schützenhilfe zu leisten. Ihm droht am 14. September die Abwahl. Republikanische Gruppen hatten genug Stimmen gesammelt, um die Bürger an die Wahlurnen zu rufen und über sein Schicksal zu entscheiden.
In der „East Bay“ leben viele People of Color und Latinos, die bei der Präsidentenwahl 2016, für die Demokraten völlig unerwartet, ins Trump-Lager umgeschwenkt waren. Hier weist Harris, die erste Latino-asiatische Vizepräsidentin der USA, auf die Brisanz der Abstimmung für ganz Amerika hin: „Was in Texas, in Georgia und anderen Bundesstaaten passiert, mit Politik, die Frauenrechte angreift, Wahlrecht und Arbeiterrechte aushöhlt“, warnt sie in San Leandro, „das glauben sie (die Republikaner), überall machen zu können, wenn sie Kalifornien gewinnen. Aber wir werden ihnen zeigen: Nicht hier, niemals!“
Als die Republikaner ihren Abwahlversuch starteten, konnten sie nicht ahnen, in welch brisanter Zeit sie die Bürger zur Wahl rufen werden. Mitten in einer Pandemie, die die USA im Griff hält, nur Monate nach einer verlorenen Wahl für den vorherigen Präsidenten Donald Trump und der versuchten Erstürmung des Capitols in Washington durch seine Anhänger.
Wenn die Bürger ihren Stimmzettel abgeben, dann werden nicht wenige von ihnen Existenzangst haben. Gerade wurden die monatlichen Corona-Hilfsgelder für Arbeitslose abgeschafft und das oberste Gericht hat entschieden, dass Millionen Menschen in den kommenden Monaten wieder wegen Mietschulden auf die Straße gesetzt werden dürfen. Und der demütigende Rückzug nach 20 Jahren Krieg in Afghanistan traumatisiert die gesamte Supermacht.
Das ist der Hintergrund, in dem Gavin Newsom um Vertrauen bittet. Es hat seit 1911 zahlreiche Versuche gegeben, Gouverneure aus dem Amt zu werfen. Die meisten scheiterten schon im Vorfeld, der Rest ging meist an den Wahlurnen unter. Doch ein spezielles Wahlsystem in Kalifornien ist wie eine entsicherte Handgranate, die jederzeit explodieren kann.
Republikaner bereiten die nächste Dolchstoßlegende vor
Newsom braucht 50 Prozent der Stimmen, um im Amt zu bleiben. Bekommt er die nicht, gibt es aber keine Neuwahlen. Nachfolgen wird automatisch derjenige der 46 Kandidaten und Kandidatinnen auf dem Stimmzettel, der die meisten Stimmen erhalten hat. Und seien es nur fünf Prozent.

Harris weist auf die Brisanz der Abstimmung für ganz Amerika hin.
Das hat erst ein einziges Mal die politische Landschaft im bevölkerungsreichsten Bundesstaat der USA auf den Kopf gestellt. 2003 musste der unbeliebte Demokrat Gray Davis gehen und schon war ein Nachfolger im Amt, mit dem niemand gerechnet hatte: Arnold Schwarzenegger, ein Schauspieler aus Österreich. Wie viele damals aus reinem Jux den Hollywood-„Terminator“ und Republikaner als Gouverneur angekreuzt hatten, wird wohl für immer ein Geheimnis bleiben. Aber die Konsequenzen waren real.
Am 14. September könnte eine andere Art von Terminator an die Macht gelangen: Larry Elder. Der Trump-Fan und Radiomoderator könnte Umfragen zufolge bis zu 26 Prozent der Stimmen auf sich vereinen. Er gab schon klar die Richtung vor, in die er Kalifornien lenken will: „Am ersten Tag nach meiner Wahl“, rief er jubelnden Gläubigen in einer Kirche in San Jose zu, „werde ich als Erstes alle Covid-Mandate außer Kraft setzen. Und danach werde ich erst einmal ausgiebig frühstücken gehen.“
Kalifornien ist bekannt für nach US-Verhältnissen strenge Covid-Maßnahmen, wie etwa Maskenpflicht in Schulen. Die hat geholfen, Zustände mit hohen Neuinfektionen wie in den republikanischen Staaten Texas, Florida oder Alabama zu verhindern, wo Covid-Schutzauflagen lax bis nicht vorhanden sind. Aber Elder sieht das nicht so. Sein Sieg würde eine tiefe Bresche in die Front der Covid-Bekämpfer in den USA reißen.
Die Recall-Befürworter bedienen sich dabei bewährter Mittel aus Donald Trumps Trickbuch: Der „San Francisco Cronicle“ hat zwei Monate lang Social-Media-Postings in teils privaten Gruppen mit Tausenden Mitgliedern analysiert. Da wird von Recallern bereits vorsorglich für den Fall einer Niederlage eine „Dolchstoßlegende“ verbreitet. Die Demokraten würden „auch diese Wahl stehlen“. Facebook ist wieder die aktivste Plattform für Verschwörungsideologen.
Die Demokraten brauchen ihre gesamte Partei-Prominenz
Aber niemand geht so weit wie der TV-Sender Fox: Die Moderatorin und Trump-Unterstützerin Tomi Lahren proklamierte, der „einzige Weg“ für Newsom noch mal davonzukommen, werde „Wahlbetrug“ sein. Sie forderte die Menschen auf, „wachsam zu sein und den Wahlbetrug zu beobachten“. Denn der werde Konsequenzen „für kommende Wahlen“ haben.
Lahrens Gründe vorzubauen, sind die derzeitigen Umfragewerte. Sie sehen Newsom nach einer Schwächephase im August wieder mit einer komfortablen Mehrheit von über 54 Prozent, während das Lager der Abwähler auf gut 42 Prozent abgerutscht ist. Das zeigt eine Analyse aktueller Wahlumfragen durch das Politik-Projekt „FiveThirtyEight“.
Mit dem Wahlkampf in der Zielgerade begeben sich führende Parteimitglieder an die Front. Die demokratischen Senatoren Bernie Sanders und Elizabeth Warren waren schon da. Kamela Harris auch. Nun eilt US-Präsident Joe Biden an die Westküste. „Gouverneur Newsom führt Kalifornien durch noch nie dagewesene Krisen“, warb Biden in einer Erklärung des Weißen Hauses. „Er ist ein wichtiger Partner bei der Bekämpfung der Pandemie. Er hilft, unsere Wirtschaft besser denn je wieder aufzubauen. Er nimmt sich der Klimakrise an und setzt sich für die Rechte von Frauen, Einwanderern und der LGBTQ-Community ein. Er weiß, was Arbeit heißt. Denn er erledigt sie.“
Der Aufmarsch der Partei-Prominenz ist notwendig. Gewissheiten scheint es in der US-Politik kaum noch zu geben. Florida, lange ein „Swing-State“, ist dank vieler Stimmen aus dem Latino-Lager nun fest in republikanischer Hand. Texas sollte mehrfach erobert werden, was immer fehlschlug. Im Bundesstaat Georgia gelang ein Achtungserfolg bei den Senatswahlen, doch häufig hängt die Macht an wenigen Tausend Stimmen.

Joe Biden fürchtet die Mehrheit im US-Kongress zu verlieren und damit viel Macht einzubüßen.
Der Schock von 2016, als reihenweise Staaten des Mittleren Westens an Trump gingen, sitzt tief. Kalifornien gilt als linksliberales Powerhaus – der Sieg eines Republikaners wäre gut ein Jahr vor den wichtigen Zwischenwahlen, „Midterms“ genannt, ein fatales Signal für die Demokraten.
Konkret fürchten die um den Verlust ihrer Mehrheit im Kongress – sogar noch vor den Midterms. Die Kammer hat 100 Sitze und ist fifty-fifty zwischen Demokraten und Republikanern aufgeteilt. Bidens Demokraten dürfen sich bei wichtigen Entscheidungen keinen Abweichler leisten. Und selbst dann können sie große Projekte nur mit der Extrastimme von Vizepräsidentin Harris durchsetzen, die mit ihrem Votum ein Patt auflösen kann.
Corona-Politik könnte wahlentscheidend sein
Ein Machtwechsel in Kalifornien könnte das filigrane Gebäude zum Einsturz bringen. Die kalifornische Senatorin Dianne Feinstein ist 88 Jahre alt. Ginge sie in den Ruhestand, könnte ein republikanischer Gouverneur einen republikanischen Nachfolger bestimmen. Dann hätten die Konservativen die Macht im Senat – und könnten sämtliche Projekte der Biden-Regierung blockieren.
„Nichts ist sicher bei dieser Wahl“, so der Stratege Lou Correa im Sender CNN. „Alles kommt auf die Wahlbeteiligung an.“ Rein theoretisch wäre die kein Problem. Auf einen republikanischen kommen zwei demokratische Wähler. Die Furcht ist, dass viele von ihnen sich ihrer Sache so sicher sind, dass sie zu Hause bleiben werden, während eine bis in die Haarspitzen motivierte republikanische Basis in voller Stärke aufmarschiert, um die Schmach der Präsidentenwahl 2020 auszulöschen.

Der Trump-Fan und Radiomoderator könnte Umfragen zufolge bis zu 26 Prozent der Stimmen auf sich vereinen.
Corona und die Folgen sind die wichtigsten Faktoren, sind Wahlforscher unisono sicher. Und die Zustimmung der Corona-Politik von Newsom ist laut FiveThirtyEight wieder gestiegen. Er hatte sich viele Sympathien, auch bei Demokraten, verscherzt, als er mitten während den striktesten Ausgehverboten 2020 eine große Party in einem Nobelrestaurant gefeiert hatte.
Doch das scheint vergessen. Eine „Denkzettel-Wahl“, wie sie Schwarzenegger an die Macht gespült hat, scheint trotz aller Probleme von Obdachlosigkeit über hohe Lebenshaltungskosten und Arbeitslosigkeit bis zu hohen Steuern, illegaler Einwanderung, Wassermangel und riesigen Waldbränden nicht in Sicht. Trotzdem touren Biden, Newsom, Harris und andere unermüdlich weiter. Präsident Barack Obama wandte sich per Videobotschaft an die Wähler in Kalifornien. Es geht um alles.
Für den Herausforderer Larry Elder auch: Am Donnerstag begann er seine „Recall Express Bus Tour“ im Süden, in Los Angeles, rauf in die Landeshauptstadt Sacramento im Norden. Schon beim ersten Stopp am Bodybuilder-Strand in Venice kam es zum Eklat. Elder wurde angepöbelt, Obdachlose wurden anscheinend handgreiflich, ein Ei soll den Kopf des Politikers nur knapp verfehlt haben, berichtet die „LA Times“. Die Polizei ermittelt.
Elder rettete sich in seinen SUV und verließ LA. Später twitterte er: „Noch bevor wir LA verlassen hatten wurden meine Sicherheitskräfte angegriffen, wurde mit Schleudern auf uns geschossen und Gegenstände flogen. Aber die intolerante Linke wird uns nicht aufhalten. Wir werden Newsom abberufen. Wir werden Kalifornien retten.“
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