Afghanistan Johnson und Macron in der Kritik – Wie westliche Staaten ihre Bürger evakuieren

Wie Deutschland versuchen auch andere Staaten, ihre Evakuierungsmissionen zu schützen.
Istanbul, Brüssel, Tokio, Paris, Madrid, London Wie Deutschland versuchen auch andere westliche Staaten, ihre Staatsbürger mit Luftbrücken aus Kabul herauszubekommen, solange das noch möglich ist. Frankreich hat zwei Transportflugzeuge seiner Luftwaffe geschickt, die zwischen Kabul und Abu Dhabi pendeln sollen. Am Dienstagvormittag wurden mit einem ersten Flug 45 Franzosen und einige Afghanen ausgeflogen. Sie sollten am Nachmittag weiter nach Paris gebracht werden.
Die Zahl der Franzosen, die noch in Afghanistan leben, wollte Verteidigungsministerin Florence Parly nicht nennen. Laut dem Fernsehsender LCI befinden sich noch 200 Franzosen in Kabul, davon 20 in der Botschaft, zusammen mit einigen Afghanen. Darüber hinaus sollen „mehrere Dutzend“ Ortskräfte evakuiert werden. 1000 Visa wurden ausgestellt.
Schon im April hatte Präsident Emmanuel Macron die in Afghanistan lebenden Franzosen aufgerufen, das Land zu verlassen. Seit Wochen half die Regierung bei der Ausreise, auch den afghanischen Ortskräften. Die Oppositionsparteien halten sich bisher mit Kritik zurück.
In Großbritannien läuft bereits seit Dezember ein Programm, das gefährdeten afghanischen Ortskräften den Umzug ins Vereinigte Königreich erlaubt. Vergangene Woche wurden laut Außenministerium 289 Afghanen ausgeflogen. Seit dem Wochenende wurden 900 britische Soldaten entsandt, um bei der Evakuierung zu helfen.
In den kommenden 24 Stunden wolle man 350 britische Staatsbürger und afghanische Helfer ausfliegen, sagte Außenminister Dominic Raab am Dienstagmorgen. Am Sonntag waren 150 Briten in einer ersten Maschine ausgeflogen worden. Vizeadmiral Ben Kay von der Royal Navy sagte dem Sender Sky News, man rechne aktuell damit, 6000 Menschen zu evakuieren. Diese Zahl ändere sich aber ständig, weil mehr Menschen mit der Regierung in Kontakt träten.
Scharfe Kritik gibt es am Rückzug selbst. Auch führende Abgeordnete der Konservativen attackieren die Regierung von Premier Boris Johnson. Der Fall Kabuls sei das größte außenpolitische Desaster für Großbritannien seit der Suezkrise 1956, sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Tom Tugendhat. Er zeige die Unfähigkeit des Landes, unabhängig von den USA die eigenen Linien zu halten. Es dürfe nie wieder passieren, dass Großbritannien ohnmächtig zusehe, wie Gewalt gegen eigene Staatsbürger und Alliierte verübt werde.
Der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Tobias Ellwood, nannte den Rückzug einen „monumentalen strategischen Fehler“. Mehrere konservative Abgeordnete sind Veteranen mit Afghanistan-Erfahrung und empfinden den Abzug als Schmach.
Spanien schickte am Dienstag zwei Militärflugzeuge nach Dubai. Von dort sollen sie nach Kabul fliegen, um Mitarbeiter der Botschaft, Staatsangehörige und Ortskräfte auszufliegen. Spanien ist damit später dran als Länder wie Deutschland oder Italien, was für Kritik der Opposition sorgt. Premier Pedro Sánchez ist noch im Urlaub und hat sich bis zum Dienstagmittag nicht öffentlich zur Lage in Afghanistan geäußert. Der konservative Oppositionsführer Pablo Casado kritisierte das.
Die Türkei flog laut Medien noch am Montag Staatsangehörige sowie Ortskräfte mit einer Linienmaschine von Turkish Airlines aus, darunter Mitarbeiter der insgesamt rund 70 türkischen Firmen, die in dem Land aktiv sind. Allgemein wurde die Rettungsaktion als erfolgreich beschrieben.
Maas: „Evakuierungsaktion in Kabul ist jetzt voll angelaufen“
Die Türkei ist wohl das einzige Land, das seine Staatsbürger mit einem zivilen Flugzeug evakuieren konnte. Turkish Airlines war jahrelang dreimal täglich von Istanbul nach Kabul geflogen. Nach dem Evakuierungsflug wurde die Verbindung gestoppt. Am Dienstag meldete der Nachrichtensender TRT, dass 42 weitere türkische Staatsangehörige aus Afghanistan in die Türkei gebracht worden seien.
Mitarbeiter der japanischen und der südkoreanischen Botschaft ließen sich am Montag „mit einem Militärflugzeug einer befreundeten Macht“ ausfliegen, wie es hieß. Japans Außenministerium hat in der türkischen Metropole Istanbul ein Büro eingerichtet, von dem aus sich Botschaftspersonal um den Schutz japanischer Staatsangehöriger bemühen soll.
Macron will Flüchtlinge abwehren
Diskutiert wird nun auch, was mit einer größeren Zahl von Flüchtlingen passieren würde, sofern sie es bis nach Europa schaffen. Frankreichs Präsident Macron sagte, er wolle Bedürftige schützen, ungeregelte Flüchtlingsbewegungen aber aufhalten. Linke Politiker warfen ihm daraufhin einen Mangel an Solidarität vor.
In Großbritannien fordern die Labour-Opposition und die schottische Regionalregierung eine großzügige Aufnahme von Flüchtlingen. Die Regierung, die unter Premier Johnson eine strikte Einwanderungspolitik verfolgt, hält sich bisher mit Zusagen bedeckt. Großbritannien sei eine „großherzige Nation“, sagte Außenminister Dominic Raab. Man werde ein Flüchtlingsprogramm auflegen. Details nannte er aber noch nicht.
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Laut Medienberichten soll sich das neue Flüchtlingsprogramm an der Regelung für Syrienflüchtlinge orientieren. Die britische Regierung hat von 2014 bis Anfang 2021 rund 20.000 Menschen aus Lagern an der syrischen Grenze direkt nach Großbritannien geflogen. Dort bekamen sie zunächst eine fünfjährige Aufenthaltserlaubnis. Erst danach konnten sie Asyl beantragen. Es wird erwartet, dass Johnson das Thema am Mittwoch in einer Regierungserklärung zu Afghanistan anspricht.
In Spanien erklärte sich die Regionalregierung von Aragonien bereit, insbesondere Frauen aufzunehmen. Eine nationale Debatte darum gibt es aber noch nicht.
Sollten sich Afghanen in großer Zahl auf den Weg machen, würden sie wohl über den Iran in die Türkei reisen. Schon seit der Ankündigung zum Truppenabzug im April kommen immer mehr afghanische Flüchtlinge über den Iran in der Türkei an. Die Regierung weiß nicht, wie sie mit den unregistrierten Migranten umgehen soll. Die Opposition will daraus Kapital schlagen und heizt die Stimmung gegen die Fliehenden an.
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