Benachrichtigung aktivieren Dürfen wir Sie in Ihrem Browser über die wichtigsten Nachrichten des Handelsblatts informieren? Sie erhalten 2-5 Meldungen pro Tag.
Fast geschafft Erlauben Sie handelsblatt.com Ihnen Benachrichtigungen zu schicken. Dies können Sie in der Meldung Ihres Browsers bestätigen.
Benachrichtigungen erfolgreich aktiviert Wir halten Sie ab sofort über die wichtigsten Nachrichten des Handelsblatts auf dem Laufenden. Sie erhalten 2-5 Meldungen pro Tag.
Jetzt Aktivieren
Nein, danke

Energiewende Polen will seine Kohleförderung per Verstaatlichung retten – und riskiert erneut Streit mit Europa

Für Polen sind die EU-Klimaziele ein Problem – denn das Land setzt auf Kohle. Als Alternative liebäugelt die Regierung mit Atomkraft. Doch auch da lauern Schwierigkeiten.
22.10.2021 - 20:00 Uhr Kommentieren
PGE ist einer der drei großen Energie-Anbieter in Polen. Quelle: Reuters
PGE-Kohlekraftwerk in Polen

PGE ist einer der drei großen Energie-Anbieter in Polen.

(Foto: Reuters)

Wien Welch lenkende Wirkung ein hoher CO2-Preis im europäischen Emissionshandel entfaltet, sieht man derzeit am Beispiel von Polens Energieunternehmen. Bei den drei großen Anbietern Polska Grupa Energetyczna (PGE), Tauron und Enea beruhen zwischen 70 und 85 Prozent der Energieproduktion auf Braun- und Steinkohle. Diese rentiert aber kaum mehr, nachdem der Preis für eine Tonne CO2 auf 60 Euro gesprungen ist und sich somit seit 2017 rund verzwölffacht hat.

Die Zertifikate, um den CO2-Ausstoß abzugelten, sind für die Unternehmen eine schwere Last geworden. Polens Premierminister Mateusz Morawiecki möchte den finanziellen Druck, der von den Emissionszertifikaten ausgeht, reduzieren, wie er beim Herbstgipfel der EU sagte. Die Energiefirmen des Landes laufen Gefahr, sehr viel Geld zu verlieren, vor allem wenn der CO2-Preis weiter steigt.

Für Polen wäre das eine Katastrophe, denn die drei Anbieter sind Großfirmen und für das Land „too big to fail“. PGE beispielsweise, Europas größtes Kohlebergbauunternehmen, hat über 40.000 Angestellte und versorgt mehr als fünf Millionen Haushalte und Firmen mit Strom.

Kurzfristig hat Polen für das Problem des drohenden Bankrotts seiner Energiefirmen im Sommer eine Lösung gefunden: Die drei Unternehmen werden einen großen Teil der Kohleförderung und der Kraftwerke, die den Brennstoff verbrauchen, an eine eigens gegründete Einheit in Staatsbesitz auslagern. Diese fungiert als eine Art Bad Bank für ein Geschäft, das viele Orte kulturell und gesellschaftlich geprägt hat, das nun aber kein privater Geldgeber mehr betreiben will.

Die privaten Investoren der Kohleanbieter jedenfalls, die etwa an PGE einen Anteil von 43 Prozent halten, sind erleichtert, dass ein solches Konstrukt zustande kommen wird. Jüngst sind die Aktienkurse der Firmen wieder gestiegen; diese können die Transformation hin zu erneuerbaren Energieformen verstärkt weiterführen, sobald die Transaktion mit dem Staat abgeschlossen ist.

Polen kann sich nicht leisten, auf Kohle zu verzichten

Neben dem hohen CO2-Preis dürften die teilweise privaten Investoren der zweite Grund für den eingeleiteten Kohleausstieg sein. Robert Maj vom Warschauer Aktienbroker Ipopema Securities sagt: „Es ist ein Glück, dass die Aktien der Unternehmen kotiert sind.“ Diese Zulassung von Wertpapieren an der Börse setzt sie einem gewissen Druck von Geldgebern aus.

Der Bergbau hat ganze Regionen kulturell geprägt. Quelle: imago images/NurPhoto
Polnische Bergbauarbeiter protestieren für den Erhalt ihrer Jobs

Der Bergbau hat ganze Regionen kulturell geprägt.

(Foto: imago images/NurPhoto)

Viele von Polens staatsnahen Betrieben gelten als schlecht geführt, weil sie auch als Auffangbecken für die Klientel der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) dienen. Gerade der Chef des Branchenführers PGE genießt aber bei den Investoren einen guten Ruf und verfolgt einen Kurs unabhängig von der Regierung.

Langfristig betrachtet ist das Problem der verpönten Energiequelle Kohle mit der Auslagerung an den Staat allerdings nicht gelöst, dieser wird die Verluste des Geschäfts tragen müssen und dadurch mit der EU in einen Konflikt geraten. Immerhin will der Staatenbund mit dem Programm „Fit for 55“ erreichen, dass die Länder den Ausstoß von Treibhausgasen bis 2030 stark reduzieren. Bis 2050 strebt er gar die Klimaneutralität an.

Grafik

Aber Polen kann es sich vorerst schlicht nicht leisten, dem Energieträger Kohle zu entsagen. Zwischen 70 und 80 Prozent des Stroms stammen aus Kraftwerken, die entweder Stein- oder Braunkohle verbrennen. 

Dieser in Europa einmalig hohe Anteil wird zwar automatisch sinken, weil gewisse Minen mit den Jahren erschöpft sein werden. PGE will etwa den großen Komplex Belchatow voraussichtlich bis spätestens 2036 schrittweise stilllegen.

Grafik

Noch fördert das Unternehmen dort aber in großem Stil Braunkohle im Tagebau und produziert gleich am Ort etwa 20 Prozent des polnischen Stroms. In rund 15 Jahren wird aber keine Kohle mehr vorhanden sein. Dann will PGE das Gelände mit einem See und einem Jachthafen wiederbeleben.

Regierung will Atomkraftwerke bauen

Trotzdem wird es dem Land vorerst nicht gelingen, die Energiepolitik mit der Klimastrategie der EU in Einklang zu bringen – weil es zum Energieträger Kohle eben kaum Alternativen gibt. Die großen Energieunternehmen haben zwar Pläne, wie sie etwa die Windenergie auf dem Land und auf dem Meer, on- und offshore, forcieren möchten. Aber das sind eher langfristige Vorhaben. Und Wasserkraft hat im Unterschied zur Schweiz oder zu Österreich in Polen keine Bedeutung.

Daher will die Regierung Atomkraftwerke bauen. Solche gibt es in Polen bis jetzt nicht. Noch unter kommunistischer Herrschaft war mit der Planung eines Atomkraftwerks begonnen worden, Proteste der Bevölkerung verhinderten aber die Fertigstellung.

Die Spaltung nimmt zu. Quelle: imago images/ZUMA Wire
Klimaaktivisten demonstrieren für einen Kohleausstieg in Warschau

Die Spaltung nimmt zu.

(Foto: imago images/ZUMA Wire)

Auch heute dürfte ein solches Vorhaben auf starken Widerstand stoßen. Energieprojekte haben es in Polen wie in jedem europäischen Land generell schwer. In der Nähe der Stadt Lodz hätte beispielsweise eine neue Tagebaumine für Braunkohle entstehen sollen.

Die Anwohner wehrten sich jedoch gegen das Projekt, und vor Kurzem ist es von PGE endgültig aufgegeben worden. Das Umweltbewusstsein nehme auch in Polen zu, sagt Maj von Ipopema Securities. „Den Leuten wird bewusst, dass etwas passieren muss.“ 

Trotzdem will die Regierung mangels realistischer und finanzierbarer Alternativen bis 2049 am Energieträger Kohle festhalten. Damit verstrickt sich das Land aber in einen weiteren Konflikt mit der EU.

Polen kann es sich vorerst schlicht nicht leisten, dem Energieträger Kohle zu entsagen. Quelle: Reuters
Braunkohle-Förderung in Polen

Polen kann es sich vorerst schlicht nicht leisten, dem Energieträger Kohle zu entsagen.

(Foto: Reuters)

Klimaneutralität, wie sie der Staatenbund bis 2050 anstrebt, bedeutet: Es gilt, sämtlichen CO2-Ausstoß zu kompensieren – entweder mit technischen Lösungen oder mittels Absorption durch Wälder. Zumindest aus heutiger Sicht scheint das im Fall von Kohle unmöglich zu sein.

Spannungen werden weiter zunehmen

Hinzu kommt, dass Polen die Energiegewinnung aus Kohle subventionieren muss. Sie ist nicht wettbewerbsfähig, und die Regierung will den Verbrauchern keine starke Strompreiserhöhung zumuten.

Aber die EU wird es dem Land kaum erlauben, den Kohleabbau großzügig zu unterstützen und so den Wettbewerb zu verzerren. Polen würde damit einen völlig anderen Weg einschlagen als die anderen EU-Mitglieder.

Die Spannungen zwischen den beiden Parteien werden daher weiter zunehmen: Polen kann sich die rasche Transformation nicht leisten, während die EU bei der Klimapolitik ein globaler Vorreiter sein will.

Mehr: Klimaschutz ist nicht der Grund für die hohen Energiepreise – er könnte aber deren Opfer werden. Ein Kommentar.

Startseite
Mehr zu: Energiewende - Polen will seine Kohleförderung per Verstaatlichung retten – und riskiert erneut Streit mit Europa
0 Kommentare zu "Energiewende: Polen will seine Kohleförderung per Verstaatlichung retten – und riskiert erneut Streit mit Europa"

Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.

Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%