Haushaltsrede Großbritannien bekämpft die Versorgungskrise mit einem neuen Geldregen

Durch Milliarden-Ausgaben will London die heimische Wirtschaft stützen.
London Seit Monaten beherrscht die Versorgungskrise in Großbritannien die Schlagzeilen. Die Unternehmen klagen über akuten Arbeitskräftemangel, Lieferengpässe und steigende Energiepreise. Die konservative Regierung von Premier Boris Johnson pumpt daher nun weitere Milliarden in die Wirtschaft, um die Erholung nach der Coronapandemie zu unterstützen.
In seiner Haushaltsrede am Mittwoch verkündete Finanzminister Rishi Sunak neue Ausgaben in zweistelliger Milliardenhöhe, unter anderem für Infrastruktur, Investitionsförderung und den Gesundheitssektor. Allein das Forschungsbudget soll bis 2025 auf 1,1 Prozent der Wirtschaftsleistung steigen – und damit deutlich über den OECD-Durchschnitt von 0,7 Prozent.
Jedes Ministerium erhalte mehr Geld, erklärte Sunak stolz. Im Schnitt würden die Ausgaben in dieser Legislaturperiode real um 3,8 Prozent pro Jahr steigen. „Die Konservativen sind die wahre Partei des öffentlichen Dienstes.“
Es ist ungewöhnlich, dass ein Tory-Finanzminister seine Ausgabenfreude so herausstellt. In der Pandemie hatte Sunak die Staatsverschuldung bereits von 80 auf 96 Prozent der Wirtschaftsleistung erhöht. Doch verkaufte er den neuerlichen Geldregen als Investitionen in die Zukunft. Man bereite den Boden für eine „neue Wirtschaft nach Corona“, sagte er. „Das Wachstum steigt, die Zahl der Arbeitsplätze steigt, unser Plan funktioniert.“
Tatsächlich wird Großbritannien dieses Jahr wohl die am schnellsten wachsende Volkswirtschaft der führenden Industrienationen (G7) sein. Die Haushaltsbehörde erhöhte am Mittwoch die offizielle Wachstumsprognose von vier auf 6,5 Prozent in diesem Jahr. Allerdings hat das Land auch am meisten aufzuholen: Im vergangenen Jahr war die Wirtschaft um 9,7 Prozent geschrumpft. Zum Jahreswechsel soll nun das Vor-Corona-Niveau erreicht sein.
Inflation wird zunehmend zum Problem
Allerdings bleiben zwei Risiken: Erstens bremsen die akuten Engpässe bei Materialien und Personal den Aufschwung bereits. Bis vor Kurzem waren Ökonomen von mehr als sieben Prozent Wachstum in diesem Jahr ausgegangen, doch hat sich die Erholung im dritten Quartal verlangsamt. Unternehmen sind weniger optimistisch als im Sommer und erwarten, dass die Engpässe noch bis 2023 andauern.

Eine Zinserhöhung der britischen Notenbank könnte seinen Haushalt in Zukunft belasten.
Ab dem kommenden Jahr steigen obendrein die Sozialversicherungsbeiträge und die Unternehmensteuer. Erschwerend kommen die höheren Kosten durch den Brexit hinzu, die das Wachstum langfristig drücken.
Zweitens wird auch die Inflation zunehmend zum Problem. Im September betrug die Teuerungsrate 3,1 Prozent. Im kommenden Jahr könnte sie auf mehr als fünf Prozent steigen, warnte der Chefvolkswirt der Bank of England, Huw Pill, vergangene Woche in der „Financial Times“.
Die Lebenshaltungskosten der Briten steigen auf breiter Front: Die Tarife für Strom und Gas wurden Anfang Oktober um zwölf Prozent erhöht. Die Benzinpreise erreichten diese Woche ein neues Rekordhoch. Und auch die Lebensmittelpreise könnten bis Weihnachten um fünf Prozent steigen, warnt der Chairman der größten britischen Supermarktkette Tesco, John Allen.
Die Inflation sei eine „Herausforderung“, räumte Sunak ein. Im kommenden Jahr werde sie im Schnitt bei vier Prozent liegen. Es werde Monate dauern, bis der Druck durch Lieferengpässe und Energiepreise nachlasse, sagte er weiter. Um die steigenden Lebenshaltungskosten abzufedern, verkündete der Schatzkanzler eine Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns von 8,91 auf 9,50 Pfund pro Stunde.
Steuerentlastungen für einzelne Branchen geplant
Auch sollen die Gehälter der öffentlich Bediensteten nach mehreren Nullrunden wieder steigen. Zudem kündigte er Steuerentlastungen für einzelne Branchen an: So senkt er die Alkoholsteuer auf gezapftes Bier, um Pubs zu helfen. Auch erlässt er der Gastronomie ein Jahr lang die Hälfte der Gewerbesteuer.
Insgesamt liegt die steuerliche Belastung im Vereinigten Königreich jedoch auf dem höchsten Niveau der Nachkriegszeit. Sunaks Plan, vor der nächsten Unterhauswahl 2024 mit Steuersenkungen zu punkten, könnte durch die Inflation durchkreuzt werden.
Denn die Bank of England scheint kurz vor der Zinswende zu stehen. Schon bei der nächsten Sitzung des geldpolitischen Ausschusses kommende Woche könnte es so weit sein: Die Finanzmärkte preisen eine Erhöhung des Leitzinses von 0,1 auf 0,25 Prozent ein. Jeder Prozentpunkt mehr Zinsen kostet die Regierung 23 Milliarden Pfund pro Jahr.
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