Wiederaufbaufonds: Warnung vor Geldverschwendung bei Corona-Fonds
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Klaus-Heiner Lehne im InterviewDamit 750 Milliarden Euro nicht versickern: EU-Rechnungshofchef warnt vor Verschwendung der Corona-Hilfen
Hunderte Milliarden Euro und eine neue Finanzierungsmethode sollen die Wirtschaft in der EU anschieben. Doch der Europäische Rechnungshof ist unterbesetzt.
„Auch das Europaparlament hat mehr Stellen gefordert, die Mitgliedstaaten haben aber noch nicht zugestimmt. Aber wir brauchen das jetzt.“
(Foto: imago/tagesspiegel)
Brüssel Auf Klaus-Heiner Lehne kommt viel Arbeit zu. Der Präsident des Europäischen Rechnungshofs prüft mit seinen Leuten jährlich den Haushalt der EU auf Fehler und auf die Wirksamkeit der Mittel. Nun soll sein Amt auch die Mittel des Corona-Wiederaufbaufonds überwachen, was die Summe verdoppelt.
Die EU-Kommission hat für die Kontrolle dieser Mittel bisher nur sieben zusätzliche Stellen genehmigt. „Das halte ich ehrlich gesagt für einen schlechten Witz“, sagte Lehne dem Handelsblatt. Er bemängelt außerdem die vielen Widersprüche in den Projekten, die der Rechnungshof Jahr für Jahr prüft: So subventioniere die EU Fleischexporte und die landwirtschaftliche Nutzung von Moorflächen, obwohl beides dem Klima schade.
Anhand der EU-Mittel, die von den EU-Mitgliedstaaten abgerufen werden, kann Lehne beurteilen, wie gut die Verwaltungen in den Staaten funktionieren. Komplizierte Strukturen halten die Prozesse auf, digitalisierte Verfahren beschleunigen sie. Um besser zu werden, solle Deutschland weniger nach Estland schauen als nach Frankreich. Die Franzosen hätten vorgemacht, wie man seinen Status deutlich verbessert.
Lesen Sie hier das gesamte Interview:
Herr Lehne, geht die EU gut mit dem Geld der Steuerzahler um? Langfristig gesehen gibt es eine deutliche Verbesserung, wie mit Geld umgegangen wird. Aber es gibt noch Handlungsbedarf. In unserem aktuellen Bericht und im Jahr davor mussten wir eine negative Stellungnahme abgeben, weil bei zu vielen Ausgaben die Vorschriften nicht eingehalten wurden.
Warum wird es wieder schlechter? Es wurde zuletzt mehr Geld für die Kohäsion in der EU ausgegeben – also dafür, benachteiligte Regionen zu fördern. Investiert wird dabei zum Beispiel in Infrastruktur. Und das ist der Bereich, in dem die meisten Fehler passieren.
Wird mit EU-Geld schlechter umgegangen als mit nationalen Mitteln? Meine Vermutung ist, dass das keinen Unterschied macht. Allerdings ist der europäische Haushalt manchmal sehr komplex, das macht ihn anfällig. Im Agrarbereich ist das übrigens anders, dort hat man die Regeln vereinfacht, nach denen das Geld ausgeschüttet wird. Darum passieren dort wenige Fehler, was nicht heißen muss, dass das Geld auch gut angelegt ist.
Vita Klaus-Heiner Lehne
Der Anwalt Klaus-Heiner Lehne wurde 1992 für die CDU in den Bundestag gewählt. Er bliebt dort aber nur zwei Jahre lang und wechselte ins Europaparlament. Dort war er 20 Jahre lang Abgeordneter, davon fünf als Vorsitzender des Rechtsausschusses.
Seit 2014 arbeitet Lehne für den Europäischen Rechnungshof. Seit 2016 ist er dessen Präsident.
Also könnte man mit Reformen die Fehlerquote senken? Ja, das ist so.
Was ist ihre Empfehlung dafür? Wir müssen die Ausschreibungen einfacher machen. Und vielleicht auch die pauschalen Zuweisungen ausweiten, dann passieren weniger Fehler. Allerdings ist das auch immer eine Gratwanderung. Bei manchen Förderungen etwa für die Landwirtschaft ist die Performance ein Desaster. Man muss also eine Balance finden, damit das Geld nicht nur formal korrekt, sondern auch sinnvoll ausgegeben wird.
Aus dem Corona-Wiederaufbaufonds fließen jetzt Hunderte Milliarden an die Mitgliedstaaten. Wie viele Fehler werden passieren? Wir gehen davon aus, dass es hier eher zu weniger Fehlern kommt als bei Zuweisungen auf die klassische Art. Denn der Fonds funktioniert nach einem anderen Prinzip. Die Mitgliedstaaten haben Pläne vorgelegt, wie sie das Geld ausgeben wollen, und bekommen es dann vorab. Die entscheidende Frage ist vielmehr: Wird das Geld auch entsprechend den vorher definierten Zielen eingesetzt?
Man muss also darauf vertrauen, dass es richtig investiert wird? Ja. Das kann auch gut funktionieren, aber es bedarf natürlich entsprechender Kontrolle. Unsere Leute müssen im Nachhinein vor Ort prüfen können, ob die Mittel richtig ausgegeben wurden und ob sie ihre Wirkungen erzielt haben.
Sind Sie darauf vorbereitet? Nein. Dazu sind wir zu wenige. Wir prüfen normalerweise mit rund 600 Leuten einen Haushalt von etwa 145 Milliarden Euro pro Jahr. Nun wird die Summe für vier bis sechs Jahre doppelt so hoch sein. Eigentlich ist vollkommen klar, dass wir die gleiche Kontrolldichte brauchen. Wir haben also um 40 zusätzliche, temporäre Stellen gebeten, die EU-Kommission hat aber nur sieben bewilligt. Das halte ich ehrlich gesagt für einen schlechten Witz. Damit wäre ein zusätzlicher Prüfer für etwas mehr als 100 Milliarden Euro zuständig.
Montage eines Windrades
Ein gutes Drittel der Wiederaufbau-Gelder soll in Projekte fließen, die zum Klimaschutz beitragen.
(Foto: dpa)
Ist das das letzte Wort? Hoffentlich nicht. Auch das Europaparlament hat mehr Stellen gefordert, die Mitgliedstaaten haben aber noch nicht zugestimmt. Aber wir brauchen das jetzt. Wenn diese 750 Milliarden Euro nach sechs Jahren einfach weg sind, ohne dass wir die Ziele im Bereich Klima, Digitalisierung und Infrastruktur geschafft haben, dann wird die gesamte Finanzierung der EU grundsätzlich infrage gestellt werden. Das wäre ein politisches Desaster.
Können Sie sicherstellen, dass 37 Prozent der Gelder in den Klimaschutz fließen und 20 Prozent in die Digitalisierung, wie es vorgegeben ist? Das können wir schon, wenn wir ausreichend Leute haben, die sich die Projekte ansehen. Wir finden bei so etwas auch oft Widersprüche.
Inwiefern? Die EU subventioniert zum Beispiel den Export von Fleisch, obwohl der Konsum von Fleisch dem Klima schadet. Außerdem sollten Moorflächen renaturiert werden, damit dort CO2 gebunden wird – gleichzeitig gibt es Unterstützung für Bauern, die diese Flächen nutzen. Die EU fördert auch die industrielle Agrarproduktion, obwohl der Auftrag eigentlich ist, die bäuerlichen Strukturen in den Dörfern zu erhalten. Und wir produzieren Umweltschäden, die wir dann durch Umweltprogramme wieder kompensieren wollen.
Die Mitgliedstaaten haben insgesamt 300 Milliarden Euro Fördergelder der EU nicht abgerufen. Das ist rund das Doppelte eines EU-Jahreshaushalts. Warum bleibt das Geld liegen? Es gibt verschiedene Gründe. Einer ist, dass das zur Verfügung gestellte Budget immer etwas höher angesetzt wird als die tatsächlichen Ausgaben. 2011/2012 hatte die EU sogar ein paar Monate lang Liquiditätsengpässe, weil die Mitgliedstaaten ausnahmsweise zeitgleich viele Gelder abriefen.
Was passiert mit nicht abgerufenen Geldern? Die gehen nach einer Frist von drei Jahren zurück in den EU-Haushalt, und letztlich profitieren die nationalen Finanzminister davon, denn entsprechend mindert sich der Beitrag zum europäischen Haushalt.
Warum gibt es beträchtliche Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten beim Abrufen der Mittel? Was macht Finnland, das die höchste Ausschöpfungsquote hat, anders als Italien mit der niedrigsten Quote? Die EU-Mitgliedstaaten haben höchst unterschiedlich funktionierende Verwaltungsstrukturen. Manche haben planungsreife Projekte in der Schublade und können sofort loslegen, wenn Geld bereitgestellt wird. In anderen Ländern müssen viele Verwaltungsebenen zusammenarbeiten. Das ist vor allem dann ein Problem, wenn sie nicht digital miteinander vernetzt sind. Da ist Finnland eben besser aufgestellt als Italien. Deutschland ist im Mittelmaß – das sieht man auch bei den Ausschöpfungsquoten.
Digitalisierung ist das Zauberwort? Es ist ein Teil der Zauberformel. Neben der Digitalisierung gehört dazu die Vereinfachung von Verwaltungsabläufen und vorausschauende Planung.
Kleineren Staaten fällt es offenkundig leichter, das umzusetzen. Natürlich, eine föderale Struktur und ein komplexes Verwaltungssystem verkomplizieren einiges. Wir sollten uns daher nicht in erster Linie fragen, was Deutschland von Estland lernen kann, sondern von Frankreich. Die Franzosen haben in den vergangenen Jahren erhebliche Fortschritte bei der Digitalisierung gemacht und dadurch ihren Status deutlich verbessert. Wenn der Gesetzgeber entschieden handelt und entsprechende Systeme vorschreibt, geht es also. Herr Lehne, vielen Dank für das Interview.
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