Kommentar Mit seinem Führungsstil riskiert Erdogan die nächste Lira-Krise

Der türkische Präsident setzt auf niedrige Zinsen.
Wie erklärt man einem autoritär regierenden Staatschef, dass er einen Fehler gemacht hat? Anleger haben da seit jeher ihre eigene Methode: Sie erklären nichts, sondern ziehen ihre Gelder ab. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan sollte dies als Warnung verstehen – und endlich auf die gesamte Wirtschaft hören statt nur auf seine Wahlkampfberater.
Mit dem neuerlichen Rauswurf des Notenbankchefs Mitte März – an einem Freitagabend, per schriftlichem Dekret in der Staatsgazette bekanntgemacht – hat Erdogan den türkischen Finanzmärkten einen Milliardenschaden zugefügt.
Türkische Aktien haben binnen zwei Wochen fast 20 Prozent an Wert verloren, der wichtigste Aktienindex ISE100 sackte ab. Die Lira verlor zwölf Prozent an Wert.
Investoren zogen noch eine Woche nach der Abberufung von Naci Agbal innerhalb von fünf Arbeitstagen 1,9 Milliarden US-Dollar aus dem Land ab. Sie alle sorgen sich darum, dass der neue Zentralbank-Gouverneur Sahap Kavcioglu die Zinsen senkt und damit die Renditen in dem Land in den Keller treibt.
Profitieren davon würden Baulöwen, ebenso wie Exporteure aus der Landwirtschaft und die Tourismusbranche. Die Inflation ist derweil über 16 Prozent angestiegen. Für Zwischengüter in der Industrie liegen die Preissteigerungen sogar bei über 30 Prozent – das lässt Schlimmes für die künftige Preisentwicklung ahnen.
Erdogan ist an der Spitze der Macht der Kompass für die Wirtschaft verloren gegangen. Für ihn scheint nur noch das Mantra zu gelten: Eine gute Wirtschaftspolitik ist eine, die meine Stammwähler bedient.
Doch der türkische Staatspräsident wird sich an eine für ihn unbequeme Wahrheit gewöhnen müssen: Niedrige Zinsen sind nicht gut für die türkische Wirtschaft. Sie verwässern den Wert der Währung.
Dass die Exporte dadurch beflügelt werden, ist ein zweischneidiges Schwert. Wer nämlich Güter verkauft, weil sie im Ausland billiger werden, der hat kein Interesse daran, innovativ zu sein und neue Produkte mit besserer Wertschöpfung zu entwickeln. Langfristig schadet das der türkischen Wirtschaft, die dringend auf ebendiese höhere Wertschöpfung angewiesen ist.
Hohe Zinsen helfen nicht
Allerdings sollten auch seine Kritiker akzeptieren: Hohe Zinsen sind kein Allheilmittel. Sie bremsen die Kreditaufnahme – und genau die ist wichtig für die Innovation und Entwicklung besserer Produkte. Wer gezwungen ist, die Hochzins-Kredite aufzunehmen, der gibt die gestiegenen Finanzierungskosten an die Kunden weiter, was die Inflation antreibt.
Das Problem sind daher nicht die Zinsen. Das Problem ist Erdogans Führungsstil. Oberste Maxime darf es nicht sein, nur die eigene Wählerschaft oder seine persönliche Weltanschauung zu versorgen. Wirtschaft, insbesondere die Finanzmärkte, brauchen Vertrauen und Planbarkeit. Das hat einen weiteren Effekt, der auch Erdogan gefallen müsste: Denn damit lassen sich auch Wahlen gewinnen.
Mehr: Was ist aus den konfiszierten Firmen in der Türkei geworden?
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- Fortsetzung -
Wäre Erdogan tatsächlich ein großer STAATSMANN wie sein angebliches Vorbild Mustafa Kemal Atatürk, dann würde er sofort von seinem islamistischen Kurs abschwören und vielmehr wieder die SÄKULARISIERUNG der Türkei voranbringen. Das würde Vertrauen schaffen, wieder Devisen ins Land bringen, und dem Land die Tür nach Europa nicht verschließen. Es muss jedoch stark bezweifelt werden, dass ein Machtmensch wie er dazu fähig ist.
Ich brauche nur meinen Kommentar von gestern zu wiederholen, denn offenbar wird jetzt bereits das Tafelgold der Türkei verscherbelt:
"Exakt das habe ich bereits vermutet: dass nämlich die Türkei nun nicht ihr Tafelsilber, sondern vielmehr ihr Tafelgold verscherbeln muss. Ich erinnere an meine Kommentare vom 15.02. und 22.03.:
"Das Hauptproblem der Türkei ist die exorbitante Verschuldung in FREMDwährung. Und da der wichtigste Devisenbringer, nämlich der Tourismus, erst durch Erdogans "Allüren" eingebrochen ist, und nun durch Corona am Boden liegt, ist hier keine Besserung in Sicht. (...)
Wie sieht es jedoch mit einem Staat aus, der fast auschließlich in eigener Währung verschuldet ist, wie die USA? Das hat ausgerechnet Alan Greenspan unmissverständlich klargestellt:
"The United States can pay any debt it has, because we can always print money to do that. So there is zero probability of default!"
Alles klar? ;-) Man kann Staatsschulden in eigener Währung also im Zweifelsfall mit der Druckerpresse einfach weginflationieren.
Die türkische Notenbank kann [jedoch] ausschließlich Lira drucken, aber eben keine US-Dollar!!
Sind ihre Devisenreserven (und "harten Assets") aufgebraucht, ist "Schicht im Schacht". Und das kann u.U. sehr schnell gehen."
https://www.handelsblatt.com/finanzen/maerkte/devisen-rohstoffe/devisen-tuerkische-lira-stuerzt-nach-absetzung-des-notenbankchefs-durch-erdogan-ab/27027012.html
Nun sind also bereits die "harten Assets" dran. Was bedeutet das?
Wenn kein Wunder geschieht - und damit ist eigentlich nicht zu rechnen - wird die Türkei also in Bälde den Staatsbankrott anmelden müssen."
https://www.handelsblatt.com/finanzen/maerkte/devisen-rohstoffe/goldpreis-aktuell-tuerkei-verkauft-goldreserven-im-grossen-stil-goldpreis-schwaechelt-leicht/26961416.html